Ausgerechnet seine größte parteipolitische Widersacherin sprach dem designierten Kanzler ein Lob aus. Unmittelbar nach der Fertigstellung des Koalitionsvertrages attestierte Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihrem wahrscheinlichen Nach-Nachfolger Friedrich Merz einen „absoluten Willen zur Macht“. Der hat den 69-Jährigen dahin geführt, wo er seit Jahren schon immer hinwollte. An die Spitze der Regierung. Wie lange er dort bleiben kann, hängt davon ab, ob Union und SPD die 140 Seiten des Koalitionsvertrages mit Leben füllen. Sollte er eine folgenlose Ansammlung von Wünschen und Ideen bleiben, könnte es mit dem Ansehen des Kanzlers schnell weiter bergab gehen: Einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge ist derzeit jeder und jede zweite Deutsche mit der Arbeit von Merz unzufrieden.
Meinungsumfragen weisen Fehlertoleranzen auf und können immer nur ein Indiz für die Stimmung im Land sein. Doch andere Erhebungen gehen in eine ähnliche Richtung, und die Sorge, dass die Alternative für Deutschland noch stärker wird, ist einer der Klebstoffe, die das neue Regierungsbündnis zusammenhalten. Ob das reicht? Einen Tag nach der Fertigstellung des Koalitionsvertrages jedenfalls wurde in beiden Lagern deutlich: Schon die Einigung auf das Papier war schwierig. Richtig ernst aber wird es erst, wenn die neue Regierung ihre Arbeit aufnimmt. Zum Schwur kommt es bereits nach der parlamentarischen Sommerpause. Die Aufstellung der Haushalte für dieses und fürs nächste Jahr, erklärten Vertreter beider Lager übereinstimmend, ist der erste Stresstest für den Einigungswillen von CDU, CSU und SPD. Dann wird sich das erste Mal schwarz auf weiß zeigen, welche der Projekte aus dem Koalitionsvertrag überhaupt finanziert werden können.
Merz und Klingbeil duzen sich
In der Union sind Abgeordnete und Funktionäre noch ganz zufrieden. CDU und CSU führen die Regierung an, stellen den Kanzler. „Im Koalitionsvertrag ist doch viel von uns drin“, ist ein Satz, der häufig fällt. Doch dass die SPD mit 16,4 Prozent sieben Ministerien und darunter das wichtige Schlüsselressort Finanzen bekommt, schmerzt. Aber Koalieren heißt nun einmal, Kompromisse eingehen zu müssen. „Regieren ist ein Rendezvous mit der Realität“, dieser Satz des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble wird ebenfalls oft zitiert in diesen Tagen.
Die vielen Verhandlungsstunden in Sondierungsrunden und Arbeitsgruppen haben die Koalitionspartner zusammengeschweißt. Merz und Klingbeil sind jetzt per Du. Andererseits hat man sich näher kennengelernt, als vielen lieb ist. Bei den Sozialdemokraten wird da auffallend oft in wenig positiven Zusammenhängen der Name Jens Spahn genannt. „Angeber“ ist noch eine der milderen Bezeichnungen für den aufstrebenden CDU-Politiker. Union und SPD haben zwar verstanden, dass es nichts nützt, auf Kosten des Koalitionspartners Stimmung zu machen, wie es in der abgewählten Regierung die FDP tat. Der stetige Streit nutzte keiner der drei Ampel-Parteien.
Doch statt der Freien Demokraten schwirren nun freie Radikale durch den Betrieb und ein ziemlich energiegeladenes Molekül ist der CSU-Vorsitzende Markus Söder. Einmal im Monat wird der Koalitionsausschuss tagen. Schon vor einigen Monaten hat der bayerische Ministerpräsident das Gremium zum eigentlichen Machtzentrum ausgerufen, das Kabinett ist in seinen Augen zweitrangig. Die SPD spielt das Thema noch herunter, macht sich über den Ausschuss lustig. Doch damit ist Schluss, wenn er wie von der CSU geplant bespielsweise Einfluss auf die Tagesordnungen des Kabinetts bekommt.
Die alte Fehde zwischen Merkel und Merz
Merkel erklärte zur alten Fehde mit Merz im Deutschlandfunk Kultur weiter: „Was ein bisschen zwischen uns stand, war einfach die Tatsache, die ja ganz oft im Leben vorkommt, dass wir beide Chef werden wollten“. Das lässt sich auch auf die neue Regierung übertragen. Merz auf der einen, Söder auf der anderen Seite. Dazwischen SPD-Chef Lars Klingbeil, der künftige Vizekanzler und mutmaßlich neue Chef des Bundesfinanzministeriums. Der setzt zunächst darauf, dass die SPD-Mitglieder zwar an einzelnen Punkten Kritik üben, dem Koalitionsvertrag in Gänze aber zustimmen. Anschließend, Ende April oder Anfang Mai, müssen der Öffentlichkeit überzeugende Namen für die Besetzung der vielen Regierungsposten präsentiert werden.
Die Osterferien verschaffen Schwarz-Rot die notwendige Atem- und Denkpause. Danach jedoch ist es mit der Ruhe vorbei. „Die übliche Schonfrist von 100 Tagen“, sagte ein altgedienter Sozialdemokrat in Berlin, „haben wir diesmal nicht.“
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