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„Die letzte Patrone der Demokratie“: Warnung oder Panikmache in Deutschland?

Kommentar

Das fragwürdige Gerede von „der letzten Patrone“ für die Demokratie

Simon Kaminski
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    Der bayerische Präsident Markus Söder (CSU) hält eine Regierung von Union und SPD für die „letzte Patrone“ der Demokratie.
    Der bayerische Präsident Markus Söder (CSU) hält eine Regierung von Union und SPD für die „letzte Patrone“ der Demokratie. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Wenn deutsche Politiker in Krisenzeiten Parallelen zur Weimarer Republik zogen, wurde ihnen zuverlässig vorgeworfen, eine Weltuntergangsstimmung zu erzeugen, die am ehesten den Gegnern der Demokratie nützt. Von dieser Zurückhaltung ist heute nichts mehr zu spüren. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erntete nach der Bundestagswahl mit Blick auf die erstarkte AfD und die Verhandlungen zwischen der Union und der SPD zur Regierungsbildung viel Zustimmung, als er von einer „letzten Patrone der Demokratie“ sprach.

    Das zeigt: Ein wachsender Anteil der deutschen Bevölkerung glaubt tatsächlich, dass das pluralistische System im Lande in akuter Gefahr ist. Und das mit guten Gründen, wie die Daten unterstreichen: 2017 noch erreichte die in Teilen rechtsextreme AfD bei der Bundestagswahl 12,6 Prozent, die Union erzielte 32,9 Prozent. 2018 sagte Friedrich Merz, der sich zu dieser Zeit um den Vorsitz seiner Partei bewarb: „Wir können wieder bis zu 40 Prozent erzielen und die AfD halbieren. Das geht!“

    Der Wahlerfolg der AfD wirkt nach

    Ein Ziel, das meilenweit verfehlt wurde. Denn während die Union mit ihrem Spitzenkandidaten Merz bei der Bundestagswahl im Februar mit bescheidenen 28,5 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte beklagen musste, schnellte die AfD auf ein Rekordniveau von 20,8 Prozent nach oben. In den fünf ostdeutschen Flächenländern lag die Partei gar zwischen 32 und 38 Prozent und war jeweils stärkste Partei. Ergebnisse, die tatsächlich alarmierend sind und durch ein Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht angesichts der russischen Bedrohung für das freie Europa noch verstärkt werden.

    Dennoch ist das Gerede von der „letzten Patrone“ kontraproduktiv. Denn es hieße ja, dass die Demokratie in Deutschland vorerst Geschichte ist, wenn eine schwarz-rote Koalition nicht die Kraft zu dringend notwendigen Reformen auf den Gebieten Migration sowie Wirtschafts- und Sicherheitspolitik findet oder gar krachend scheitert. Doch auch für den Fall, dass es der AfD bei Wahlen im Jahr 2029 oder früher tatsächlich gelingen sollte, stärkste Partei zu werden, wäre aufgeben für Demokraten ja wohl keine ernsthafte Option. Im Gegenteil, gerade dann müsste der Kampf für Freiheit und Pluralismus weitergeführt werden.

    Untergangsangst bleibt ein schlechter Ratgeber

    Merz liegt mit seiner Formulierung richtig, dass der Wahlerfolg der AfD ein „letztes Warnzeichen“ an die Parteien der Mitte ist. Schwarz-Rot ist zum Erfolg verdammt - das Land ist von innen und außen bedroht, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch Untergangsangst bleibt ein schlechter Ratgeber.

    Das gilt auch für den Satz des Historikers Sönke Neitzel, der darüber spekulierte, dass Deutschland einen „letzten Sommer in Frieden“ erleben könnte, weil er bereits im Herbst eine Attacke Russland auf Nato-Territorium für möglich hält. Neitzel hat seine Warnung erkennbar aus Sorge in die Debatte geworfen, dass viele Deutsche nicht wahrhaben wollen, wie groß die Bedrohung aus Moskau tatsächlich ist. Das Problem dieser Szenarien ist, dass sie dem eigentlichen Anliegen schaden können. Wer einmal einen Weltuntergang prophezeit, der dann ausbleibt, dem glaubt man eine erneute Ankündigung dieser Art nicht mehr und gibt Verharmlosern gute Argumente, von unverantwortlicher Panikmache zu sprechen.

    Markus Söder also sollte sein Pulver trocken halten und mithelfen, dass eine neue Koalition endlich moderne und effektive Politik macht, statt „letzte Patronen“ zu verteilen.

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