Und wieder ist die Welt ein Stück weit unsicherer geworden. Mit dem Schlag gegen den Iran mag der atomare Traum der Mullahs vorerst ausgeträumt sein, doch dafür rücken andere Risiken in den Vordergrund: Wird der Krieg den islamistischen Terror anheizen? Kann der Iran der ohnehin angeschlagenen europäischen Wirtschaft eine neue Ölkrise bescheren? Wen wird das iranische Regime, dem man immer das Schlimmste zutrauen muss, mit in den Abgrund reißen, sollte den USA und Israel tatsächlich ein Regime-Change gelingen? Werden vielleicht sogar die Europäer in den Krieg verwickelt, so, wie es in Afghanistan und im Irak der Fall war?
USA treten in Konflikt zwischen Israel und Iran ein – Europa steht staunend daneben
Zumindest die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte lehrt, dass die Bomben, die Washington auf den Iran regnen ließ, allenfalls der Anfang einer Entwicklung sind – wohl kaum aber, dessen Ende. Umso wichtiger wäre, dass die internationale Gemeinschaft zusammenrückt in diesen Tagen. Doch der aktuelle Konflikt hat einmal mehr unterstrichen: Egal, wo auf der Welt es brennt – die Europäer stehen nur noch staunend daneben. Eindrucksvoller jedenfalls hätte der US-Präsident seinen Partnern nicht vor Augen führen können, was er von ihnen hält. Noch während Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Genf mit dem iranischen Außenminister verhandelten, betankte er seine B-2-Tarnkappenbomber und traf eine Entscheidung, deren Folgen kaum jemand abschätzen kann. Unterrichtet wurden die europäischen Regierungschefs über die Luftschläge erst, als sie bereits erfolgt waren. Während in der Schweiz politische Floskeln formuliert wurden, schuf Washington Fakten.
Ob Nahost oder Ukraine-Krieg: Europa hat die Moral gepachtet, andere handeln
Die außenpolitische Schwäche Europas wird zum Dauerzustand. Egal, ob in Israel, im Krieg Russlands gegen die Ukraine, im Umgang mit dem Rivalen China – die EU sitzt am Katzentisch und ringt um Worte, denen ohnehin keine Taten folgen. Washington, Moskau, Peking und nun auch Tel Aviv machen den Lauf der Dinge unter sich aus, sie scheuen sich nicht, die politische Landkarte neu zu zeichnen. Mahnungen, Warnungen, Streit hinter den Kulissen: Zu mehr reicht die Kraft der Europäer nicht. Mit der Autorität eines Praktikanten treten die doch sonst so Mächtigen auf. Europa mag die Moral gepachtet haben, zu einem besseren Ort macht das die Welt aber leider nicht.
Das unheilvolle Zaudern überträgt sich auf die Nato. Selten war die Anspannung vor einem Gipfel des Bündnisses so groß wie in dieser Woche. Denn es geht um nicht weniger als um die Glaubwürdigkeit der einst so starken Allianz. Sollte Wladimir Putin zu der Überzeugung gelangen, dass die Beistandspflicht nicht mehr ist als eine Worthülse, wird er nicht zögern, die Schwäche ausnutzen. In fast schon alarmistischer Regelmäßigkeit warnen die Nachrichtendienste, dass Russland zu einem Angriff auf ein Nato-Land fähig wäre. Dass ausgerechnet Donald Trump sie zu Zusagen für Verteidigungsausgaben in Höhe von fünf Prozent und damit Selbstschutz drängt, wirkt da fast wie Ironie des Schicksals.
Für die regelbasierte Ordnung sind all das schlechte Nachrichten. Die Weltpolitik ist gerade geprägt von irrlichternden Figuren, die das eigene Ego über das Wohl der Menschen stellen. Denen Ideologie über Völkerrecht geht. Dabei wäre gerade jetzt der Moment, in dem die EU ihre Stärke ausspielen könnte. Als Friedensprojekt wollte sie in die Geschichte eingehen. Doch Frieden braucht Gestaltungskraft. Die wiederzufinden dürfte zu den wichtigsten Zielen jenseits aller Aufrüstungsversprechen zählen.

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