Herr Professor Neumann, ist die AfD eine rechtsextremistische Partei?
PETER NEUMANN: Ja. Die AfD hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wendepunkt war der Parteitag in Riesa 2022. Seitdem dominiert der offiziell aufgelöste völkisch-nationalistische Flügel um Björn Höcke den Bundesvorstand und damit die gesamte AfD. Diese Gruppe ist stark beeinflusst von neurechten Akteuren wie dem Publizisten Götz Kubitschek und die sind nun wirklich gesichert rechtsextrem. Aus einer liberalkonservativen Anti-Euro-Partei haben diese Leute eine rechtsextreme Gruppierung gemacht.
Der Verfassungsschutz hat für die These, die Sie nun in knapp einer Minute aufgestellt haben, mehr als 1000 Seiten Gutachten gebraucht…
NEUMANN: Ich sage meinen Studenten immer: Beantwortet die Frage! Es geht nicht darum, bei einer Prüfung alles abzuspulen, was man weiß, und dann darauf zu hoffen, dass die Antwort auf die Frage irgendwo zu finden ist. Es geht um eine präzise Antwort auf eine präzise Frage. Und die Frage war, ob die AfD als ganze Partei rechtsextremistisch ist. Die Antwort darauf ist aus meiner Sicht klar und sie steckt auch in dem Gutachten, aber man muss lange danach suchen. Ich hoffe, die Richter, die darüber zu befinden haben, tun das auch. Die AfD jedenfalls nutzt das Gutachten bis dahin für ihre Zwecke.
Inwiefern?
NEUMANN: Es finden sich auf diesen vielen Seiten massenhaft Positionen der AfD, die zwar politisch rechts, aber eben nicht extremistisch sind. Dass sie beispielsweise fordert, illegale Migranten konsequent abzuschieben. Solche Passagen nutzt die AfD nun, um das Gutachten als Ganzes zu diskreditieren. Nach dem Motto: Heute gilt es offenbar schon als rechtsextrem, wenn man nur geltendes Recht durchsetzen will.
Die AfD galt seit Jahren als rechtsextremer Verdachtsfall. Damit konnte der Verfassungsschutz schon bisher geheimdienstliche Mittel einsetzen, um Beweise für diesen Verdacht zu finden. Was hat das gebracht?
NEUMANN: Diese Möglichkeiten wurden offenbar kaum genutzt. 99 Prozent von dem, was in diesem Gutachten steht, hätten auch Journalisten oder Wissenschaftler aus Reden und Videos, sozialen Netzwerken oder öffentlichen Auftritten von AfD-Mitgliedern zusammentragen können.
Dennoch wurde ein großes Geheimnis daraus gemacht, das Gutachten gilt offiziell als Verschlusssache. Ist das angemessen?
NEUMANN: Das war ein riesengroßer Fehler. Man hätte zumindest eine Zusammenfassung veröffentlichen sollen – und zwar auf Deutsch und auf Englisch. Für die AfD ist die Geheimniskrämerei eine Steilvorlage. Sie raunt nun, der Staat habe offensichtlich etwas zu verbergen. Hinzu kommt die internationale Aufmerksamkeit: Leute wie US-Vizepräsident J.D. Vance behaupten, dass in Deutschland versucht wird, die Opposition auszuschalten. Ein ungeheuerlicher Vorwurf. Aber seine Posts in sozialen Netzwerken werden zig Millionen Mal gelesen. Und die Bundesregierung hat dem nichts entgegenzusetzen - außer, dass dieses Gutachten nun mal geheim sei. Was Verschwörungsideologen erst recht befeuert.
Welche Konsequenzen muss der Verfassungsschutz ziehen?
NEUMANN: Die Nachrichtendienste sind dringend reformbedürftig. Sie brauchen nicht nur weitere Befugnisse und mehr Geld, sondern auch eine andere Kultur. Dem Verfassungsschutz muss bewusst werden, dass es zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wirklich darum geht, die liberale Demokratie vor ihren inneren Feinden zu beschützen. Früher waren Berichte von Geheimdiensten oft ein Sammelsurium von Obskuritäten, aber nichts, was wirklich an den Grundfesten unserer freiheitlichen Grundordnung gerüttelt hätte. Genau das aber tut die AfD. All die Instrumente, die unsere Verfassungsväter für einen solchen Fall vorgesehen hatten, legten die Annahme zu Grunde, dass es um kleine, radikale Gruppen am Rande der Gesellschaft geht, aber nicht um die größte Oppositionspartei im Bundestag.
Die AfD unterstellt, der Verfassungsschutz agiere politisch motiviert…
NEUMANN: Ein solcher Eindruck wird genährt, wenn eine Bundesinnenministerin zwei Tage vor dem Ende ihrer Amtszeit offenbar noch einen Paukenschlag setzen will – mit der viel zu langen und viel zu unpräzisen Rohfassung eines Gutachtens. Dass der Verfassungsschutz die AfD unter die Lupe nimmt, wird als Parteinahme wahrgenommen. Dabei erfüllt er nur seine Aufgabe. Er ist ja nicht die Stasi, die anlasslos irgendwelche Leute ausspionierte. Sondern er versucht, als Frühwarnsystem mögliche Feinde der Demokratie zu identifizieren. Damit Bürgerinnen und Bürger das auch so empfinden, ist eine viel bessere Kommunikation nötig als im Fall dieses AfD-Gutachtens.
Die Stimmen derer, die ein Parteiverbot fordern, werden nun wieder lauter. Was halten Sie davon?
NEUMANN: Gar nichts. Die Befürworter suggerieren, dass man diese Partei innerhalb kurzer Zeit verbieten könnte und das lästige Problem womöglich schon vor der Bundestagswahl 2029 gelöst sei. Das klingt, als gäbe einen Knopf, den man nur drücken müsste und dann sei alles wieder wie vorher. Das stimmt natürlich nicht. Und selbst, wenn ein Verbot vor dem Verfassungsgericht standhalten würde, vergingen bis dahin sechs oder sieben Jahre. Die AfD muss aber jetzt gebremst werden.
Mit welchen Mitteln?
NEUMANN: Erstens: Die Brandmauer muss stehen. Die AfD darf also kein Stück von der Macht bekommen. Wenn Populisten und Extremisten erst einmal die Chance dazu haben, fangen sie sofort an, die Demokratie auszuhöhlen. Wir haben das in Ungarn erlebt, wir sehen es gerade auch in den USA. Zweitens: Die demokratische Mitte muss das Problem lösen, von dem sich Parteien wie die AfD ernähren. Dazu empfehle ich einen Blick nach Dänemark. Dort lagen die Rechtspopulisten vor zehn Jahren auch bei mehr als 20 Prozent. Ausgerechnet eine sozialdemokratische Regierung hat seitdem die illegale Migration rigoros zurückgedrängt – und die Rechten politisch wieder kleingekriegt.
Zur Person
Der Extremismusforscher Professor Peter Neumann lehrt am King‘s College in London. Der gebürtige Würzburger gehörte 2021 zum „Schattenkabinett“ des damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet.

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