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Intensivmediziner warnt: Widerspruch gegen elektronische Patientenakte riskant

Interview

Intensivmediziner über elektronische Patientenakte: „Wer widerspricht, gefährdet seine Gesundheit“

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    Patient auf einer Intensivstation: „Es ist aus medizinischer Sicht völlig unvernünftig, der Nutzung der elektronischen Patientenakte zu widersprechen“, sagt DIVI-Generalsekretär Uwe Janssens.
    Patient auf einer Intensivstation: „Es ist aus medizinischer Sicht völlig unvernünftig, der Nutzung der elektronischen Patientenakte zu widersprechen“, sagt DIVI-Generalsekretär Uwe Janssens. Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild, dpa (Symbolbild)

    Herr Professor Janssens, Sie sind Generalsekretär der Intensiv- und Notfallmediziner Vereinigung DIVI. Die elektronische Patientenakte „ePA“ geht in die Testphase und soll im Februar an alle Patienten ausgerollt werden. Erwarten Sie tatsächlich Vorteile in der Notfallversorgung, oder sind die Erwartungen überzogen?
    UWE JANSSENS: Die Einführung der elektronischen Patientenakte wäre gerade für die Notfallmedizin ein riesiger Fortschritt. Gerade im Notfall sind umfassende und entscheidungsrelevante Patientendaten oft nicht verfügbar – Patienten sind nicht ansprechbar, sediert oder haben schlichtweg keine Unterlagen dabei. Wenn wir schnell auf wichtige Informationen wie Medikationspläne, Diagnosen und aktuelle Befunde zugreifen könnten, würde das die Versorgung massiv verbessern und vereinfachen sowie sicherer machen. Das betrifft nicht nur die Notfallmedizin, sondern auch jede andere Schnittstelle im Gesundheitssystem. Und an diesen Schnittstellen entstehen oft die größten Probleme in der Patientenversorgung. Genau hier könnte die ePA helfen, Fehler zu vermeiden.

    Welche Schnittstellen meinen Sie genau, und wo liegen die Risiken?
    JANSSENS: Die Übergabe von Patienten ist immer ein Risiko, sei es zwischen Notaufnahme und Intensivstation, Operationssaal und Normalstation oder anderen Bereichen, selbst vom Hausarzt zum Facharzt. Fehler passieren häufig bei der Übertragung von Daten – besonders, wenn es von analogen zu digitalen Prozessen wechselt. Ein klassisches Beispiel ist die Medikation: Ein handschriftlicher Zettel kann fehlerhaft oder veraltet sein, und plötzlich fehlen wichtige Informationen. Das kann fatale Folgen haben, wie die Gabe von falschen Medikamenten oder das Auslassen eigentlich wichtiger Therapien. Eine digitale Patientenakte, die diese Informationen zuverlässig speichert und überträgt, könnte diese Fehlerquellen minimieren.

    Welche Vorteile sehen Sie konkret in der Notfallversorgung?
    JANSSENS: Es geht um lebenswichtige Informationen: Medikationspläne, vorbestehende Diagnosen, Arztbriefe, Laborwerte, Blutgruppen – all das könnte schnell und sicher verfügbar sein. In der Notfallmedizin haben viele Patienten Vorerkrankungen und Vordiagnosen, von denen oft einige für das akute Krankheitsbild relevant und absolut entscheidend sind. Die ePA würde uns erlauben, schneller und präziser zu handeln. Das spart Zeit und reduziert Fehler, gerade bei älteren Patienten mit komplexen Krankheitsbildern und vielen Vorerkrankungen.

    Dennoch gibt es Datenschutzbedenken gegen die elektronische Patientenakte. Der Chaos Computer Club warnt vor Sicherheitslücken beim Zugang. Wie schätzen Sie das als Intensivmediziner ein?
    JANSSENS: Kein System ist hundertprozentig sicher – das ist klar. Aber ich sehe das Risiko bei der ePA als gering an. Wir bewegen uns ohnehin im Alltag überall auf digitalem Glatteis: Kreditkarten, Online-Banking, soziale Medien – die meisten Menschen geben viel sensiblere Daten preis, als das, was in der elektronischen Patientenakte steht. Die Angst ist oft irrational und wird durch negative Berichterstattung befeuert. Sollte es tatsächlich Sicherheitslücken geben, müssen sie geschlossen werden.

    Wie sehr bremsen Datenschutzbedenken die Digitalisierung der Medizin in Deutschland aus?
    JANSSENS: Die fehlende digitale Vernetzung ist eine echte Katastrophe für unser Gesundheitssystem. Wir verlieren Unmengen an Zeit mit der Suche nach Informationen, die Patienten selbst oft nicht kennen oder zeitnah zur Verfügung stellen können. Medikamente werden falsch dosiert oder vergessen, weil Unterlagen fehlen. Eine zentrale Datenquelle wie die ePA würde Sicherheit und Effizienz dramatisch erhöhen – für Patienten und Ärzte gleichermaßen. Innerhalb unserer Klinik in Eschweiler arbeiten wir komplett digital, was unsere Arbeit enorm erleichtert. Aber in der Zusammenarbeit mit Hausärzten, Rehakliniken und anderen Stellen müssen die Kliniken immer noch das meiste ausdrucken und noch immer ist das Faxgerät ein Hauptkommunikationsmittel. Wir dürfen noch nicht mal Befunde per E-Mail verschicken. Stattdessen vergeuden wir in Krankenhäusern und Praxen wertvolle Zeit und teure Ressourcen und müssen wichtige Informationen dann telefonisch einholen, was einen erheblichen Zeitaufwand benötigt. Deutschland übertreibt es mit dem Datenschutz. Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande zeigen, dass man Sicherheitsbedenken ernst nehmen und dennoch zeitgemäß arbeiten kann, während bei uns seit Jahren Stillstand herrscht.

    Patienten können der Nutzung der ePA widersprechen. Wie bewerten Sie mögliche Bedenken?
    JANSSENS: Emotional kann ich die Bedenken verstehen, rational aber nicht. Es ist aus medizinischer Sicht völlig unvernünftig, der Nutzung der elektronischen Patientenakte zu widersprechen. Wer widerspricht, gefährdet möglicherweise die eigene Versorgung und Gesundheit. Gerade in Notfallsituationen kann der Verzicht auf digitale Informationen zu gefährlichen Verzögerungen oder Fehlern führen. Wir können gerade in der Notaufnahme die Behandlungsprozesse in der Klinik mit den digitalen Informationen deutlich beschleunigen und verbessern. Die elektronische Patientenakte ist hier ein echter Quantensprung. Das medizinische Personal bekommt mehr Zeit für den Patienten, das müsste eigentlich jeder unterstützen. Die Daten werden zudem enorm wichtig für den Einsatz Künstlicher Intelligenz, mit der wir zukünftig sehr viel schneller Risikopatienten identifizieren und ihnen helfen können. Wenn dann für einen kleinen Bruchteil der Patienten die digitalen Informationen nicht vorliegen, wird das zum Störfaktor in den künftigen Prozessen und einen Nachteil für die Patienten bedeuten, die sich der ePA verweigert haben. Deshalb müssen alle Seiten, von der Politik bis zu den Ärztekammern, unbedingt mehr Aufklärungsarbeit leisten und für die elektronische Patientenakte werben.

     DIVI-Generalsekretär Uwe Janssens  hält die neue elektronische Patientenakte für einen „Quantensprung“ in der Notfallversorgung.
    DIVI-Generalsekretär Uwe Janssens hält die neue elektronische Patientenakte für einen „Quantensprung“ in der Notfallversorgung. Foto: Annegret Hilse, dpa

    Zur Person Professor Uwe Janssens ist Generalsekretär und Ex-Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, DIVI. Der 64-Jährige ist Chefarzt am St.-Antonius-Hospital Eschweiler.

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