Ende gut, alles gut? Nein, so lässt sich diese verpatzte Kanzlerwahl beim besten Willen nicht zusammenfassen. Auch wenn Friedrich Merz im Wahlkampf und danach zahlreiche Fehler gemacht und bei Freund wie Feind für Unbehagen und Unmut gesorgt hat – all das taugt nicht im Ansatz als Rechtfertigung für jene Abgeordneten in den Reihen der sogenannten Großen Koalition, die den künftigen Kanzler im ersten Wahlgang haben durchfallen lassen. Der Schaden ist zu groß – für den Mann, der nun immerhin im zweiten Wahlgang zum zehnten deutschen Bundeskanzler gewählt wurde, vor allem aber für Deutschland, ein Land, dessen Rückkehr ins europäische und internationale Geschäft (Ukraine, Trump…) viele dringend erwarten. Schon bald will Merz nach Paris und Warschau fliegen. Beschädigt ist er jetzt schon.
Wenn dieser Tag überhaupt noch etwas Gutes haben kann, dann ist es das: Merz muss erkennen, dass er so nicht weitermachen kann. Was in den vergangenen Wochen immer wieder verstörend auffiel, ist die absolute Selbstgewissheit, man könnte fast sagen Hybris, mit der Merz markige Entscheidungen verkündete – nur, um sie dann umgehend wieder einzurollen oder einzugestehen, dass sein Vorgehen nicht richtig zu Ende gedacht war.
Merz‘ verächtliche Sprache bleibt verstörend
Da ist der impulsive Versuch, noch im Wahlkampf Ende Januar, mal eben mit Stimmen der nunmehr als rechtsextrem eingestuften AfD die Migrationspolitik zu ändern. Da ist das Aufweichen der Schuldenbremse fürs Militärische und das XXL-Schuldenpaket, das Merz mit der SPD noch durch den alten Bundestag peitschte, nachdem er im Wahlkampf monatelang das genaue Gegenteil versprochen hatte – nämlich einen harten Sparkurs.
Verstörend bleibt auch Merz' verächtliche Sprache über politische Gegner, ganz so, als befände man sich noch in den Wahlkämpfen der 1980er Jahre. Ausgerechnet diejenigen Grünen, die Merz am Tag vor der Bundestagswahl noch als „Grüne und linke Spinner“ beschimpfte, retteten nicht nur sein Schuldenpaket, sondern halfen ihm jetzt (mit anderen) erneut aus der Patsche, in dem sie einem raschen zweiten Wahlgang mit einer Fristverkürzung zustimmten.
Die schwer zu verstehende Selbstüberschätzung von Friedrich Merz befremdet
Dazu kommen einsame Entscheidungen, die wie Trotz wirken, zuletzt etwa die Idee, ausgerechnet seinen Tegernsee-Buddy (Merz besitzt dort ein Ferienhaus), Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister zu machen. Sicher, eine eher zweitrangige Personalie. Trotzdem wirkt der erzkonservative Mann wie eine Kampfansage, längst nicht nur an Kulturschaffende.
Insgesamt befremdet die schwer zu verstehende Selbstüberschätzung, die Merz trotz eher mediokerer Ergebnisse seit der Bundestagswahl an den Tag legt: Der jetzige Kanzler hat es nicht für nötig befunden, wichtige CDU-Ministerpräsidenten wie Hendrik Wüst aus NRW (Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland) oder Daniel Günther (als Vertreter eher linker CDU-Positionen) bei den Koalitionsverhandlungen einzubinden. Dem Vernehmen nach informierte er die Landesspitzenpolitiker nicht mal vorab darüber, welche Politiker aus ihrem Landesverband er in sein Kabinett berufen wollte.

So kann man ein Land, das ohnehin um seinen inneren Konsens ringt, ein Land, dessen demokratisches Grundverständnis von der AfD Tag für Tag herausgefordert wird, nicht regieren. Der Kanzler sollte die verpatzte Wahl als Mahnung verstehen. Merz sollte erkennen, dass er, wenn nicht seinen Charakter, dann wenigstens seine Arbeitsweise ändern muss. Der neue Kanzler muss versuchen, das Land zu versöhnen und nicht noch mehr zu spalten. Er braucht Berater, die ihm den Weg zu Maß und Mitte weisen und nicht Leute wie Carsten Linnemann oder Jens Spahn, die Denke und Wirken des Kanzlers eher verstärken als korrigieren. Merz ist jetzt gewählt. Wenn er aber der Kanzler werden will, den Deutschland jetzt wirklich braucht, dann muss sich der beinahe 70-jährige ein Stück weit neu erfinden.
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