Ein neuer Christian macht noch keine neue FDP. Als Nachfolger des langjährigen Parteivorsitzenden Christian Lindner steht Christian Dürr vor einer ungleich schwierigeren Aufgabe als sein Vorgänger im Jahr 2013. Auch damals waren die Liberalen krachend aus dem Bundestag geflogen, hatten mit Lindner aber einen Mann am Start, der die Aufmerksamkeit für die Partei hoch hielt und sie mit großem persönlichem Einsatz durch vier magere Jahre in der außerparlamentarischen Opposition führte.
Dürr dagegen startet gleich mit einer doppelten Hypothek: Die FDP ist heute weit weniger geschlossen als damals, das hat der Parteitag in Berlin mit seinen hitzigen Debatten über den bisherigen und den künftigen Kurs gezeigt - und der viel beschworene Zeitgeist steht auch nicht auf der Seite der Liberalen, zumal nach dem von ihnen erzwungenen Bruch der Ampel. Der mag aus Sicht der FDP zwar unausweichlich gewesen sein, hat ihr draußen, im Land, aber keine Sympathiepunkte gebracht - im Gegenteil.
Die österreichischen Neos als Vorbild? Eher nicht.
Dieser gebeutelten FDP wieder Gehör zu verschaffen, ist in einem sich immer schneller drehenden Polit-Universum keine Kleinigkeit. Vor allem aber muss Dürr die Frage beantworten, wofür seine neue FDP denn stehen soll. Die Stimme der ökonomischen Vernunft zu sein, die auf solide Staatsfinanzen achtet und Steuererhöhungen verhindert, war in der Ampelkoalition zwar nötig - am Ende aber zu wenig. Sich die österreichischen Neos zum Vorbild zu nehmen, die sich stärker im linksliberalen Milieu verorten, könnte wiederum die berühmte Umdrehung zu viel sein.
Links von der Mitte ist in Deutschland für eine liberale Partei zu wenig Platz. Wer die Freigabe von Cannabis für erstrebenswert hält, wer sein Geschlecht auf dem Standesamt per Gusto ändern lassen will oder der umstrittenen Verantwortungsgemeinschaft das Wort redet, nach der im Extremfall auch eine Studenten-WG eheähnliche Rechte für sich reklamieren kann, wählt im Zweifel die Grünen und nicht die FDP.
Unter Lindner ist die FDP bunter geworden
Unter Christian Lindner und seinem Spiritus Rector Marco Buschmann ist die FDP bunter geworden - der gesellschaftspolitische und gesellschaftsverändernde Anspruch der Liberalen aber steht in krassem Kontrast zu den tagespolitischen Notwendigkeiten. Bildung, Migration, Rente: Jenseits der großen Fragen von Krieg und Frieden gibt es drängendere Probleme als die, denen sich der progressive Flügel der Partei zuletzt gewidmet hat. Vor allem die Sozialpolitik ist in der FDP eine offene Flanke. Zwar beschwört sie die Eigenverantwortung des Einzelnen und die Begrenztheit staatlicher Fürsorge. Wie aber sähe eine liberale Renten- oder Pflegereform denn konkret aus? Wer das Individuum über das Kollektiv stellt, was die FDP mit guten Argumenten tut, muss seine Politik auch vom Einzelnen her denken: Welche Härten sind zumutbar, welche Hilfen wo nötig, welche Einschränkungen überflüssig? Mit seinem Vorschlag, Geringverdienern das Aktiensparen für die Altersvorsorge zu erleichtern, ist Dürr einen ersten kleinen Schritt auf diesem Weg gegangen. Auf große Resonanz stieß er damit allerdings nicht. Im politischen Berlin, so scheint es, wird die waidwunde FDP von Woche zu Woche weniger wahrgenommen.
Umso wichtiger sind die Landtagswahlen im kommenden Jahr für die Partei und ihren neuen Vorsitzenden. Sollte die FDP im März in ihrem Stammland Baden-Württemberg aus dem Landtag fliegen, ist sie vermutlich nicht mehr zu retten.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden