Um 19.45 Uhr geht an diesem Freitag in der FDP eine Ära zu Ende. Christian Lindner, der die Partei länger geführt hat als ihr Idol Hans-Dietrich Genscher, gratuliert seinem Nachfolger nach mehr als elf Jahren an der Spitze der Liberalen mit einem Lächeln und einer herzlichen Umarmung. Das Schicksal der leidgeprüften Liberalen liegt nun in den Händen des 48-jährigen Niedersachsen Christian Dürr, der mit 82 Prozent der Stimmen ein solides bis gutes Ergebnis eingefahren hat. Ein Vertrauensvorschuss aber ist es so oder so: Wie Lindner die Partei nach der historischen Niederlage von 2013 wieder aufgerichtet hat, muss auch Dürr jetzt Pionierarbeit leisten. Sollte die FDP im nächsten Jahr in ihrem Stammland Baden-Württemberg aus dem Landtag fliegen, so raunen es einige Liberale am Rande des Berliner Parteitages, könnte das der letzte Sargnagel für den organisierten Liberalismus in Deutschland sein.
„Mir fällt dieser Abschied nicht leicht“, sagt Lindner in seiner letzten Rede als Parteichef. Am liebsten, fügt er dann noch hinzu, würde er jetzt schon die nächsten 100 Veranstaltungen planen und die Große Koalition stellen. So jedenfalls schlage sein Herz. Der Verstand aber sage ihm: „Alles hat seine Zeit.“ Eine halbe Stunde zieht er noch einmal Bilanz, dankt politischen Weggefährten, die zu Freunden wurden, beschwört wortreich die liberale Idee und zitiert eine wenig wohlwollende Schlagzeile über seine Partei: „Schlapp, schlapper. FDP.“ Diese Zeile aber, klärt Lindner die mehr als 600 Delegierten dann auf, stand nicht nach der verlorenen Bundestagswahl im Februar über einem kritischen Text, sondern bereits nach der Wahl 2013, als die FDP schon einmal aus dem Bundestag geflogen war. Soll heißen: Nur Mut, auch eine erschöpfte Partei kann wieder auf die Beine kommen.

Lindner: Ich schaue auf eine großartige Reise mit Euch zurück
Damals übernahm Lindner in einer existenziellen Krise der Partei die Führung der FDP. Heute sagt er: „Ich schaue auf eine großartige Reise mit Euch zurück.“ Zwar habe er den Liberalen manches zugemutet an provokanten Auftritten und kantigen Forderungen - das aber, findet er, erklärt das desaströse Wahlergebnis nicht. Der Liberalismus sei nicht nur in Deutschland in der Defensive, analysiert Lindner, sondern weltweit. Deswegen aber den eigenen Standort zu verändern, etwas nach links zu rücken oder etwas weiter nach rechts? „Mein Rat ist das nicht.“ Die Zukunft der FDP liege nicht in einem Schwenk in die eine oder andere Richtung, sondern in einer politischen und personellen Erneuerung.
Zwei Bundestagswahlen zweistellig gewonnen, in 20 Landtage eingezogen: Eher beiläufig streift Lindner die Höhepunkte seiner Amtszeit. In der Ampelkoalition jedoch habe die Partei dann an Zustimmung und an Glaubwürdigkeit verloren. „Wir kannten das Risiko“, blickt der 46-Jährige noch einmal zurück, „aber wir sind es eingegangen.“ Wie sein Leben nach der Politik aussehen wird, lässt er noch im Unklaren. Seinen Nachfolger aber, dem ein etwas kooperativeres Verständnis von Führungsarbeit nachgesagt wird und der zuletzt Vorsitzender der liberalen Bundestagsfraktion war, legt er der Partei umso mehr ans Herz: „Lasst ihn nicht alleine in der politischen Manege.“
In den Umfragen liegt die FDP deutlich unter fünf Prozent
Verdaut hat die FDP die Niederlage vom 23. Februar noch nicht. In den Umfragen liegt sie im Moment noch deutlich unter ihrem Wahlergebnis von 4,3 Prozent. Bei den drei Landtagswahlen in Ostdeutschland waren die Liberalen zuvor schon mit Ergebnissen zwischen 0,8 und 1,1 Prozent auf das Niveau einer Splitterpartei geschrumpft. Auch in Hamburg waren es zuletzt nur noch magere 2,3 Prozent. Dürr will die Partei deshalb breiter aufstellen und sieht seine erste Personalentscheidung dafür als stilbildend an: Neue Generalsekretärin wird die 40-jährige Tech-Unternehmerin Nicole Büttner, die Mitgründerin und Chefin des Berliner KI-Startups Merantix.
„Wir öffnen uns auch für Menschen, die direkt aus der Wirtschaft kommen“, sagt Dürr. Die Debatten zwischen eher progressiven Liberalen und den klassischen Wirtschaftsliberalen, die auch den Auftakt des Parteitages prägen, sieht er trotz mancher Kritik an Kurs und Erscheinungsbild der FDP positiv. „Diese Spannung ist unsere Stärke“, betont er. „Mit der Aufspaltung des politischen Liberalismus in zwei Lager ist nichts gewonnen.“
Ja, die Partei habe an Vertrauen verloren, räumt Dürr ein. Aber die Menschen wollten, dass sich etwas ändere in Deutschland. Nach 13 Jahren solle die FDP sich daher ein neues Grundsatzprogramm geben - und zwar eines, das nicht im Ungefähren und Theoretischen bleibt. Geplanter Arbeitstitel: Freiheit konkret.

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