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SPD-Fraktionschef Mützenich zu Aschaffenburg: „Herr Merz schaut zu viel Trump“

Interview

Mützenich rechnet mit CDU-Chef ab: „Herr Merz schaut zu viel Trump“

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    SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirft Friedrich Merz vor, mit seinen Asyl-Forderungen die AfD zu stärken.
    SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich wirft Friedrich Merz vor, mit seinen Asyl-Forderungen die AfD zu stärken. Foto: Fabian Sommer, dpa

    Herr Mützenich, Bayern steht unter Schock über die Messerattacke von Aschaffenburg. Welchen Schatten wirft diese Tat auf den Bundestagswahlkampf und die deutsche Einwanderungspolitik?

    Rolf Mützenich: Auch ich stehe noch immer unter dem Eindruck dieser schrecklichen Gewalttat. Am Mittwoch waren wir zur gleichen Zeit in der Aschaffenburger Innenstadt für den SPD-Wahlkampf, allerdings erfuhren wir erst später, was ein paar hundert Meter entfernt passierte. Während unserer öffentlichen Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern über verschiedene Themen hatten wir eine unangenehme Begegnung mit einem Bürger, der äußerst ausfallend wurde und Menschen ins Gesicht spuckte. Wenn ich nun daran denke, dass in der Nähe viel schlimmere Aggressivität und Haltlosigkeit in eine unfassbar gewaltsame Tat mündete, ist das schwer zu begreifen, auch wenn es heißt, dass der Täter psychisch krank sein soll. Es wird völlig zurecht darauf hingewiesen, dass der Täter aus Afghanistan kam und das Land hätte längst verlassen müssen. Auch die mehrfachen Aufenthalte in Kliniken, die anschließenden Entlassungen und die medizinische Behandlung werfen Fragen auf. Alles das muss beantwortet werden, sorgfältig, nachvollziehbar und schonungslos. Deshalb sollten bei solch wahlloser Gewalt verantwortliche Politiker nicht behaupten, sofort genau zu wissen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Das ist fahrlässig und täuscht die Öffentlichkeit.

    Allerdings passiert genau das Gegenteil: Wie so oft bei solchen Gewalttaten gibt es von mehreren Seiten Schuldzuweisungen und Ankündigungen, die schwer eingehalten werden können ...

    Mützenich: Genau deswegen warne ich davor und beteilige mich nicht daran. Wir müssen vorsichtig sein, undurchdachte Lösungen zu propagieren, die hinterher häufig schon zu Enttäuschungen geführt haben. Es ist wichtig, die richtigen Konsequenzen zu ziehen, und wir hatten bereits nach dem Attentat von Solingen Gesetze verschärft. Auch in Solingen scheint es ein Ineinandergreifen von Land und Kommunen nicht ausreichend gegeben zu haben . Der damalige Täter hätte von Rechts wegen nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Nach den jetzigen Erkenntnissen scheint das beim Täter von Aschaffenburg ähnlich zu sein. Zurzeit haben wir keine Hinweise auf rechtliche Lücken. Wenn es dennoch so wäre, werden wir andere demokratische Parteien dazu auffordern, diese mit uns zu schließen.

    CDU-Chef Friedrich Merz hat angekündigt, sollte er Kanzler werden, als erste Amtshandlung die Grenzen für illegale Einreisen zu schließen. Würde die SPD da zustimmen?

    Mützenich: Herr Merz scheint mit seiner vollmundigen und voreiligen Ankündigung zu viel Trump geschaut zu haben. Selbst die US-Justiz hat bereits den Präsidenten zurückgepfiffen. Das wird auch mit den Vorschlägen des Oppositionsführers passieren. Weder unsere Nachbarländer noch die europäischen Institutionen werden die nationalen Alleingänge von Herrn Merz akzeptieren. Ein Rutschbahneffekt, mindestens ein Flickenteppich in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik wäre die Folge. Ganz zu schweigen von den Entscheidungen deutscher Gerichte. Wir wären dagegen gut beraten, noch nächste Woche im Bundestag mit der nationalen Umsetzung der Gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik zu beginnen und diese Mitte Februar zu beschließen. Dann kann sich die Regierung an die Umsetzung machen und weitere europäische Länder würden folgen. Das wäre mit uns sofort zu machen, genauso wie der Beschluss aller nicht-zustimmungspflichtigen Sicherheitsgesetze, die die Union leider im Bundesrat aufgehalten hat. Was natürlich nicht geht, ist, dass die Bundespolizei, wie Herr Merz fordert, Haftbefehle erlässt. Auch ein Oppositionsführer sollte die deutsche Praxis kennen, wonach die Staatsanwaltschaften diese beantragen und Richter darüber entscheidend. Dann vollstrecken die zuständigen Polizeibehörden den Befehl. Und wenn es um eine weitere Kompetenz der Bundespolizei geht, dann möchte ich daran erinnern, dass wir dies 2021 vorgeschlagen haben. Der Bundesrat hat es abgelehnt, an erster Stelle Bayern und Niedersachsen. So viel zum Übermaß eines Oppositionsführers, der offensichtlich die Füße nicht still halten kann und für andere das Geschäft betreibt.

    Sowohl der Täter von Solingen als auch der von Aschaffenburg hätten nach gültigem Recht nach Bulgarien abgeschoben werden müssen. Offenbar wird dieses EU-Recht nach dem sogenannten Dublin-Verfahren in Deutschland nicht umgesetzt. Ist das nicht mehr als nur Behördenversagen?

    Mützenich: Bei den Rückführungen nach dem Dublin-Abkommen besteht offensichtlich ein strukturelles Problem. Die Umsetzung der Rückführungen liegt im Aufgabenbereich der Bundesländer. Hier scheint in beiden Fällen ein Vollzugsproblem vorzuliegen, aber hier darf sich auch der Bund keinen schlanken Fuß machen. Ein wichtiger Fortschritt war deswegen, dass es die jetzige Bundesregierung geschafft hat, innerhalb der EU eine Reform der gemeinsamen europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik (GEAS) zu verabreden. Das können wir sofort umsetzen.  

    Nach dem Attentat von Solingen organisierte der Bund kurz vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland im September einen Abschiebeflug nach Afghanistan. Danach gab es keine solchen Flüge mehr. Ist das nicht genau die Art von Symbolpolitik kurz vor Wahlen, vor der Sie nun warnen?

    Mützenich: Nein, aber es ist richtig, dass wir hier mehr tun müssen. Bei dem damaligen Flug wurde nach Usbekistan abgeschoben, weil die Bundesregierung bisher nicht den unmittelbaren Kontakt zu den afghanischen Machthabern gesucht hat. Das sollte sich ändern. Wir brauchen direkte Abschiebungen nach Afghanistan. Das ist zweifellos eine Gratwanderung. Aber ich sehe in einem abgestimmten, graduellen Zugehen auf die Taliban eine Möglichkeit, Einfluss auf die Bedingungen in Afghanistan zu nehmen und Abschiebungen direkt zu organisieren. Die Außenministerin hat zurecht vor kurzem Kontakt zu nicht einfachen Personen in Syrien gesucht. Warum sollte man nicht eine vergleichbare Beziehung zu Kabul erwägen? Wir müssen mit den Realitäten arbeiten, ohne, dass wir uns mit ihnen abfinden wollen.

    Ist es das, was der Kanzler meinte, als er in seiner Verurteilung der Tat vor „falsch verstandener Toleranz“ warnte? Er sei es leid, dass es alle paar Wochen zu solchen Gewalttaten komme ...

    Mützenich: Ich vermute, das war aus Sicht des Bundeskanzlers ein Ausbruch, der wahrscheinlich damit zu tun hat, welch quälend lange Stunden er mit diesem Thema in Ministerpräsidentenrunden verbringen musste. Immer wieder wurden hier vom Kanzler Veränderungen verlangt, aber nachdem sie der Bund beschlossen hatte, änderte sich in der Praxis der Länder dennoch nichts. Schauen Sie auf die Zahl der geringen Abschiebeplätze, die mangelnde Digitalisierung oder die Erreichbarkeit der Ausländerbehörden außerhalb der üblichen Dienstzeiten. Nach Solingen haben wir bereits ein Sicherheitspaket entwickelt, von dem schon einiges umgesetzt wurde. In der kommenden Woche können wir im Bundestag anderes, was bisher blockiert wurde, beschließen. Da hat Friedrich Merz die Möglichkeit zu zeigen, ob er es ernst meint mit mehr Sicherheit oder nur Wahlkampf macht.

    In Berlin hört man hinter vorgehaltener Hand von Politikern vieler Parteien, wenn die nächste Regierung, egal wer sie stellt, die großen Probleme in der Migrations- und Wirtschaftspolitik nicht lösen kann, dann droht die AfD 2029 stärkste Partei zu werden. Teilen Sie das als Befürchtung?

    Mützenich: Ich beteilige mich nicht an solchen Spekulationen über Szenarien von Übermorgen, weil schon allein der Wahltag am 23. Februar schwer vorauszusagen ist. Und was danach in den vier Jahren auf die Regierungen bei uns und in Europa zukommen wird, kann man nicht wissen. Das haben die vergangenen Jahre immer wieder gezeigt. Aber wir wissen, dass in diesen Wochen, Monaten und Jahren alle Demokratien vor großen Herausforderungen stehen. Allein der Blick nach Österreich zeugt von den Gefahren, die in einem Debakel enden können. Und heute kündigt Herr Merz an, seine völlig praxisuntauglichen und rechtswidrigen Vorschläge einzubringen, bewusst mit dem Risiko oder gar der Absicht, dass die AfD zustimmt. Das ist mehr als ein Spiel mit dem Feuer, was Herr Merz da treibt.

    Werben die anderen Parteien denn ausreichend um potenzielle AfD-Wählerinnen und -Wähler?

    Mützenich: Den einen klassischen Typ AfD-Wähler gibt es nicht. Es gibt Menschen, die sich von der Programmatik der AfD angesprochen fühlen, aber auch solche, die sich eher aus Protest für diese Partei entscheiden. Entscheidend sind die Themen, allen voran Wirtschaft und Arbeitsplätze. Und sicher auch Migration. Der eigentliche Fokus muss darauf liegen, diese drängenden Probleme zu lösen. Das ist ein langfristiger Prozess. Aber ich bin überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, etwa beim klimafreundlichen Umbau unserer Wirtschaft und dem Erhalt und der Schaffung guter Arbeitsplätze. Wir sollten auch nicht ständig die AfD als Referenzpunkt nehmen. Das ist, was die Brunnenvergifter wollen. .

    Früher war die SPD die klassische Arbeiterpartei, nun war bei vielen Wahlen die AfD in dieser Gruppe die stärkste Partei. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

    Mützenich: Arbeit ist heute nicht mehr dasselbe wie früher, als mein Vater noch Maschinenschlosser war. Die Arbeitswelt hat sich seitdem grundlegend verändert, und wir müssen uns mit dieser Veränderung auseinandersetzen. Auch in meinem Wahlkreis spüre ich deutlich den Wandel der Parteilandschaft. Vor 22 Jahren hatte ich dort noch 50 Prozent der Erststimmen, heute sind es nur noch 32 Prozent. Das gilt aber nicht nur für die SPD, sondern auch für die CSU und die CDU. Das sind die Gegebenheiten, mit denen wir umgehen müssen. Bei meinen Veranstaltungen erlebe ich, dass ein Teil der Menschen, die kommen, ehemalige SPD-Wähler sind oder solche, die bereit wären, wieder SPD zu wählen. Sie wollen informiert werden, sie stellen Fragen zur Ukraine, zu Arbeitsplätzen, zur Bildung. Es ist unsere Aufgabe, auf diese berechtigten Fragen ernsthafte Antworten zu geben. Nur so können wir die Menschen überzeugen. Und die Arbeitnehmer, die bereit sind, AfD zu wählen sollten sich mal fragen, warum diese Partei den Superreichen in unserem Land Wahlgeschenke macht oder mit einem der reichsten US-Bürger ein verstörendes Gespräch führt.

    Die Umfragen zeigen, dass die SPD weit hinter der Union zurückliegt. Wir die Zeit knapp für Ihre angekündigte Aufholjagd?

    Mützenich: Die Zeit wird knapp, das stimmt. Wir sehen aber, dass immer mehr Menschen noch unsicher sind, wen sie wählen sollen oder ob sie überhaupt wählen wollen. Diese Unentschlossenheit bietet uns die Möglichkeit, diese Menschen noch zu überzeugen. Ich habe noch nie einen Wahlkampf erlebt, in dem so viele Menschen nach Orientierung suchen und Interesse an Antworten haben. Noch ist nichts entschieden. In den TV-Duellen trifft Olaf Scholz als erfahrener, vernünftiger und besonnener Bundeskanzler auf einen Herausforderer, der noch nie ein Regierungsamt innehatte, nicht einmal als Bürgermeister. Der Kandidat aus dem Hochsauerland fällt zudem damit auf, mit Trump Deals verabreden zu wollen. Was für ein Unsinn. Die Welt darf nicht nach Gewinnern und Verlierern aufgeteilt werden. Das ist eine verstaubte, gefährliche Auffassung. Sowas hat im Kanzleramt nichts zu suchen.

    Zur Person: Rolf Mützenich, 65, ist seit 2019 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der promovierte Politikwissenschaftler stammt aus einer Arbeiterfamilie und war lange außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Seit 2002 ist er direkt gewählter Abgeordneter seiner Heimatstadt Köln.

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