Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Trump stoppt Zahlungen von USAid und bringt Hilfsorganisationen in der Ukraine in Not

Ukraine-Krieg

Ukrainische Hilfsorganisationen in Not: Plötzlich dreht Trump den Geldhahn zu

    • |
    • |
    • |
    Dmytro Sherembej macht sich Sorgen, wie er weiter lebenserhaltende Medikamente für die Klienten von „100% Life“ finanzieren kann. 
    Dmytro Sherembej macht sich Sorgen, wie er weiter lebenserhaltende Medikamente für die Klienten von „100% Life“ finanzieren kann.  Foto: Till Mayer

    An der rot gestrichenen Wand hängt in voller Wucht ein schwarzer Schädel. „Corruption Killers“ steht darauf. Das schaut ziemlich wild aus. Und der Schädel war auch bei einer recht wilden Aktion dabei, als mit schwarzen Särgen vor einem Krankenhaus in Kiew gegen die Korruption im Gesundheitssystem demonstriert wurde. Das war vor vielen Jahren. Aber Dmytro Sherembej erzählt es mit einem leichten Lächeln und nicht ohne Stolz in der Stimme.

    Sherembej gehört zu den führenden Köpfen der ukrainischen Organisation „100 % Life“. Erzählt er von der derzeitigen Situation, wechselt die Stimmlage schnell in einen ernsten, bedrückenden Ton. Wild und vor allem unberechenbar geht es in diesen Tagen in der Welt der Hilfsorganisationen in der Ukraine zu. Was daran liegt, dass quasi über Nacht die staatliche US-Entwicklungsbehörde USAid fast ihre gesamte Unterstützung weltweit ausgesetzt hat. Besonders die Ukraine ist davon betroffen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren in diesen Tagen ihre Jobs, Programme stoppen abrupt. Der Eklat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatsoberhaupt Wolodymyr Selensky vor einer Woche im Weißen Haus lässt die Hoffnung auf ein gutes Ende weiter schwinden. 

    Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebten die Menschen der Ukraine ein Jahrzehnt bitterster Armut

    Dmytro Sherembej macht sich nun gehörige Sorgen, wie er mit „100% Life“ weiter lebenserhaltende Medikamente für seine Klienten finanzieren kann. „Wild Child“ steht auf seinem Pullover. „Wild Child“ ist eine Gin-Marke aus Kiew. Das sieht alles ein wenig hip aus, der Sweater ist nicht unbedingt das, was ein „Head of the Coordination Council“ bei anderen Organisationen in vergleichbarer Größe trägt. Aber bei „100% Life“ ist einiges anders. Die Zentrale ist in einem schlichten Industriegebäude am Rande des Stadtviertels Podil untergebracht. Entspricht auch nicht dem, was man als repräsentativ bezeichnen würde.

    Aber darum geht es hier gar nicht. Aus der einst von Betroffenen, sprich Patientinnen und Patienten, geführten Nichtregierungsorganisation ist eine Stiftung mit einem Jahresbudget von 30 Millionen Dollar (2024) geworden. Zumindest bis zum Beginn der zweiten Ära Trump war das so.

    Sherembej ist einer der Gründer. Ende der 1990-er Jahre war er nach eigenen Aussagen ein dreifach Betroffener. „Hepatitis, Tuberkulose und HIV. Das war damals eigentlich jedes für sich ein mögliches Todesurteil“, sagt er. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebten die Menschen der Ukraine, wie auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, ein Jahrzehnt bitterster Armut, den Absturz ins Bodenlose. Die folgenden 2000-er Jahre waren für die Bevölkerung dann zumindest nicht mehr die Hölle, aber weiterhin eine Katastrophe. Vor allem, wenn man auf teure Medikamente zum Überleben angewiesen war wie Dmytro Sherembej.

    „Ich hatte ein wildes Leben, nahm Drogen als Student. Die Erkrankungen änderten mich. Ich hörte auf, Drogen zu nehmen. Ich wollte leben“, sagt er. Mit anderen zumeist HIV-Betroffenen schloss er sich zusammen. Sie verschafften sich gemeinsam eine laute Stimme, die Gehör findet. Praktisch alle von ihnen waren auf Medikamente angewiesen. Es ging für sie um nichts weniger als darum, für das eigene Überleben zu kämpfen.

    „100 % Life“ ist eine Erfolgsgeschichte – und eine der Hauptstützen war bislang USAid

    Die Forderung nach einer besseren medizinischen Versorgung wurde von den Aktivistinnen und Aktivisten ganz klar mit dem Kampf gegen Korruption und Verschwendung von Steuergeldern verknüpft. Als 2012 in Polen und der Ukraine die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wurde, macht „100 % Life“ wieder mit einer Kampagne mobil. „In Donezk wurde für Unmengen ein neues Stadion gebaut. Während es in unseren Krankenhäusern selbst an Medikamenten fehlte“, erzählt Sherembej. Die „Revolution der Würde“ im Jahr 2014 brachte eine schrittweise Änderung in der Zusammenarbeit mit dem Staat. „Die sich aber bis heute nicht auf unsere Unabhängigkeit auswirkt“, macht der Chef der Stiftung klar.

    „100% Life“ entwickelte eHealth für den Staat, ein elektronisches System für Gesundheitsfürsorge. Auch hier finanzierte USAid maßgeblich das Projekt. „Digitalisierung ist wichtig im Kampf gegen die Korruption. Sie verhindert Missbrauch“, sagt Sherembej. Er erläutert, wie die Digitalisierung auch seine Einrichtung transparent macht: „Wir können unseren Unterstützern klar zeigen, was mit ihrem Geld passiert. Selbst Abstimmungen zu wichtigen Themen werden unter den 600 Mitgliedern unkompliziert digital umgesetzt.“ Weiter gehört das medizinische Informationssystem „HIV Infection in Ukraine“ zu den Innovationen, die die Organisation entwickeln ließ.

    Eine Klientin eines kleinen Medikamenten-Projekts des Roten Kreuzes in Lwiw. Es gibt dort kostenlose Medikamente für chronisch kranke und verarmte alte Menschen.
    Eine Klientin eines kleinen Medikamenten-Projekts des Roten Kreuzes in Lwiw. Es gibt dort kostenlose Medikamente für chronisch kranke und verarmte alte Menschen. Foto: Till Mayer

    Mittlerweile gibt es in 24 Regionen der Ukraine eigene Verbände von „100% Life“, eine Million Menschen werden jährlich unterstützt. 1,2 Millionen Lebensmittelpakete wurden an Bedürftige verteilt. 8000 Ärztinnen und Ärzte beteiligen sich an der Community „Your family doctor“. Vier Kliniken der Organisation behandeln in Kiew, Poltava, Rivne und Chernihiv kostenlos Patientinnen und Patienten.

    „100 % Life“ ist eine Erfolgsgeschichte – die jetzt in Gefahr gerät. Denn eine der Hauptstützen ist USAid. Die amerikanische Entwicklungshilfe-Organisation wird gerade von der Trump-Regierung regelrecht zertrümmert. Das US-Außenministerium ließ durch einen Sprecher verlauten, dass mehr als 90 Prozent der Entwicklungshilfeverträge annulliert werden. Über 58 Milliarden Dollar sollen damit weltweit „eingespart“ werden, auf Kosten der Entwicklungshilfe. Projekte zur Stärkung von Demokratiebewegungen werden damit gestoppt, Hilfen für Geflüchtete, Programme zur Reduzierung von Armut und Wiederaufbau nach Kriegen und Katastrophen. Bis zur Amtsübernahme von Trump war die USA als größte Volkswirtschaft auch der größte Zahler im humanitären Bereich.

    Donald Trump und Elon Musk setzen bei Budget und Personal der US-Bundesbehörden ein dramatisches Sparkonzept an

    Damit ist es offensichtlich vorbei. Trump und sein Berater, der Tech-Milliardär Elon Musk, setzen bei Budget und Personal der US-Bundesbehörden ein dramatisches Sparkonzept an. Ganz besonders im Fokus steht die Entwicklungsbehörde. USAid, wetterte Trump, sei von „einem Haufen radikaler Verrückter“ geleitet worden. Musk setzte noch eins darauf: Er nannte USAid „ein Schlangennest radikal-linker Marxisten, die Amerika hassen“. Er bezeichnete die Entwicklungsbehörde gar als eine „kriminelle Organisation“. Dass sich USAid zum Beispiel in der Ukraine für die Liberalisierung der von der Sowjetära geprägten Arbeitsgesetze einsetzte und sich für die Einschränkung des Streikrechts starkmachte, klingt dann weniger nach Marxismus. USAid stand nicht selten in der Kritik, für eine allzu wirtschaftsliberale Weltordnung einzutreten.

    Die Ukraine war durch den Krieg das Land, das durch USAid am meisten Unterstützung erfuhr. 2024 flossen 5,4 Milliarden Dollar für Projekte in das osteuropäische Land. 2025 hätte es für das Kernstück von „100% Life“ eine Steigerung geben sollen. „USAid gehört von Beginn an zu unseren Gebern und Partnern. 2025 sollten wir im Rahmen eines landesweiten staatlichen Verteilungsprogramms für 35 Millionen Dollar Medikamente einkaufen. Verträge mit USAid waren unterschrieben, die Gelder teilweise bereitgestellt. Dann kam die Nachricht: Alles ist ausgesetzt. Jetzt sind die Gelder eingefroren.“ Dmytro Sherembej schüttelt den Kopf. Es sieht nicht gut aus. Die Anordnung eines Bundesgerichts, wonach die Regierung zur Zahlung von finanziellen Mitteln aus der Entwicklungshilfe verpflichtet ist, hat der Oberste Gerichtshof der USA zunächst ausgesetzt.

    Am Mittwoch dann keimte wieder etwas Hoffnung auf. Der Supreme Court lehnte in einer knappen Entscheidung ein Gesuch der Regierung ab, die Anordnung einer unteren Instanz zu kippen. Ein Richter hatte der Regierung zuvor ein Ultimatum gesetzt, um die Zahlungen für bestimmte Leistungen freizugeben. Die hatte daraufhin den Supreme Court eingeschaltet. Der urteilte nun: Die Regierung darf Zahlungen an ausländische Hilfsorganisationen für bereits erbrachte Leistungen nicht zurückhalten. Der Fall ist damit aber noch nicht endgültig entschieden. Der Supreme Court verlangte von dem unteren Gericht noch gewisse Klarstellungen. Das heißt, dort geht das juristische Gezerre nun weiter.

    Helfer einer kleinen ukrainischen Initiative evakuieren unter dem Einsatz ihre Lebens Menschen aus dem umkämpften Pokrowsk. Finanzielle Unterstützung, wie zum Beispiel Zuschüsse für Sprit, bekommen sie von einer Organisation, die wiederum Mittel von USAid erhält.
    Helfer einer kleinen ukrainischen Initiative evakuieren unter dem Einsatz ihre Lebens Menschen aus dem umkämpften Pokrowsk. Finanzielle Unterstützung, wie zum Beispiel Zuschüsse für Sprit, bekommen sie von einer Organisation, die wiederum Mittel von USAid erhält. Foto: Till Mayer

    „Als ich von Trumps Plänen für USAid erfuhr, war ich nicht überrascht“, erzählt Sherembej. Trotzdem war es dann doch ein Schock. Ich fühlte mich für einen Moment wieder wie im Jahr 2001, als unsere Arbeit begann.“ Dann erinnert er an ein USAid-Projekt für die Landwirtschaft. „Das Saatgut dafür ist vorhanden und wird jetzt in Lagerhäusern weggeschlossen. Was für ein Wahnsinn, mitten im Krieg.“ Der Ärger in Dmytro Sherembejs Stimme ist unüberhörbar.

    Auf das Ausbleiben von Geldern hat die ukrainische Hilfsorganisation schon reagieren müssen

    Bis Juni sind für das Medikamenten-Projekt noch Vorräte da. „Doch wir müssen jetzt schnell Geber finden. Es braucht eine Vorlaufzeit. Besonders, wenn bestehende Strukturen nicht mehr vorhanden sind, wird es schwer“, sagt Sherembej. Er hofft, dass aus Deutschland ein Teil der fehlenden Mittel kommt. Doch dort muss sich erst eine neue Regierung bilden. „Das kostet Zeit, die wir eigentlich nicht haben.“

    Auf das Ausbleiben von Geldern hat „100% Life“ schon reagieren müssen. „Hier in der Zentrale haben wir schon ein Viertel der Mitarbeiter entlassen müssen“, sagt Sherembej. Ein Schicksal, das Mitarbeiter anderer Hilfsorganisationen in der Ukraine teilen. Sie verloren über Nacht ihren Job und ihre Klienten die Unterstützung. „Was uns bleibt? Für das Leben weiter zu kämpfen“, sagt der Mann, der aufgrund seiner HIV-Infizierung auf das lebenserhaltende Medikament Dolutegravir angewiesen ist. Das kostet keine 50 Euro als Monatspackung. „Doch für viele unserer Patienten wäre es völlig unbezahlbar“, sagt er zum Abschied. „Sie sind selbst auf Lebensmittelpakete angewiesen.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden