Es ist einer dieser Abende, an denen alles zusammenpasst: Die Sonne sinkt langsam in den Bodensee, die Luft ist sommerlich warm und über dem Toskanapark in Lindau liegt ein leichter Grillduft. Menschen lachen, stoßen mit kalten Getränken an, englische Stimmen mischen sich mit bodenständigem Schwäbisch.
Mittendrin sitzt Dr. Archana Kumar. Eine junge Wissenschaftlerin aus Indien, die – wie viele andere Wissbegierige – für vier Tage in die Stadt gekommen ist, um das zu erleben, was man hier den „Geist von Lindau“ nennt. „Lindau ist eine wunderschöne Stadt“, sagt die 29-Jährige auf Englisch, während sie sich einen Teller mit gegrilltem Gemüse füllt. Für sie ist es der erste Besuch am Bodensee und die Begeisterung ist ihr anzusehen.
Bürger und Nachwuchs sprechen mit Nobelpreisträgern
Kumar ist Chemikerin, aktuell forscht sie an der Humboldt-Universität zu Berlin im Bereich Elektrochemie. Große Worte, die für Laien vielleicht sperrig klingen, aber im Grunde geht es um nichts Geringeres als die Entwicklung von besseren Energiespeichern für die Zukunft.

Am Dienstagabend ist der Toskanapark direkt am Ufer des Bodensees zur großen Bühne für Begegnungen geworden: Nobelpreisträger, Nachwuchswissenschaftler und Lindauer sind gekommen, um gemeinsam zu essen, zu plaudern und diesen besonderen Moment zu genießen.
„Unser Tagesablauf ist hier wirklich sehr durchgetaktet“, erzählt Kumar im Gespräch mit der Lindauer Zeitung. „Da tut so ein entspannter Abend richtig gut.“ Zwischen Workshops, Vorträgen und Diskussionsrunden ist das „Grill and Chill“ eines der wenigen Programmpunkte der 74. Lindauer Nobelpreisträgertagung, bei dem alle für einen Moment durchschnaufen können.

Und selbst hier bleibt der wissenschaftliche Spirit spürbar. Kumar hat ein Ziel: „Ich hoffe, Stanley Whittingham zu treffen.“ Der Nobelpreisträger für Chemie 2019 zählt zu ihren großen Vorbildern. Kein Wunder, immerhin forscht er ebenfalls im Bereich der Batterietechnologie. „Solche Begegnungen motivieren mich total. Man merkt hier, dass auch Nobelpreisträger einfach Menschen sind. Mit Humor, mit Geschichten, mit eigenen Unsicherheiten.“
„Jetzt bin ich über 85 und mir fällt auf: Die jungen Forscher werden immer jünger.“
Jean-Marie Lehn, Nobelpreisträger von 1987
Einer dieser Menschen ist Jean-Marie Lehn, Nobelpreisträger von 1987. Der inzwischen 85-jährige Franzose schlendert gelassen über das Gelände, plaudert hier, lacht dort und nimmt sich auch Zeit für ein spontanes Gespräch unserer Redaktion. Lehn stammt aus Straßburg, hat in seinem Leben unzählige wissenschaftliche Reisen unternommen und wirkt dabei kein bisschen müde.
„Ich war 48, als ich den Nobelpreis bekam“, erzählt er mit einem verschmitzten Lächeln und ergänzt: „Jetzt bin ich über 85 und mir fällt auf: Die jungen Forscher werden immer jünger.“ Seinen Themenschwerpunkt hat Lehn in der „Adaptiven Chemie“ – ein Forschungsfeld, das sich mit Molekülen beschäftigt, die ihre Struktur an Umweltbedingungen anpassen. Das ist Grundlage für viele moderne Anwendungen, zum Beispiel bei Medikamenten.
Aktuell reist Lehn viel durch Europa. Von Berlin nach Prag und jetzt nach Lindau. Nach China, wo er ebenfalls ein Labor hat, zieht es ihn nur noch selten. „Das ist doch etwas weit für ein Wochenende.“
Weltstars der Wissenschaft bei Sommerabendstimmung
Der Chemiker erinnert sich gut an die Anfänge des „Grill and Chill“ in Lindau. „Schon 1988 war ich hier beim Grillabend dabei. Damals waren wir vielleicht hundert Leute, hauptsächlich Gäste aus Deutschland, der Schweiz und Österreich.“ Heute sei die Veranstaltung kaum wiederzuerkennen. „Jetzt kommen die jungen Menschen aus der ganzen Welt. Das ist eine fantastische Entwicklung.“
Genau diese lockere Mischung aus Weltstars der Wissenschaft und bodenständiger Sommerabendstimmung macht das „Grill and Chill“ aus. Überall im Park sieht man junge Forscherinnen und Forscher, die ihre Chance nutzen: Selfies mit Nobelpreisträgern, Small Talk über Forschungsthemen, der Austausch von Kontaktdaten unter Bäumen.
Für viele ist es die erste große internationale Tagung. Auch Kumar erinnert sich gut an ihre Anfangszeit: „Mit 18 habe ich mich gefragt: Xbox spielen oder doch lieber ein wissenschaftliches Buch lesen?“ Sie entschied sich für das Buch – der Rest ist Geschichte. Ihr Weg führte sie von Indien nach Oxford, wo sie 2019 ihr Studium begann. Dann kam die Coronapandemie – und viele ihrer Pläne wurden ausgebremst. „Das war echt frustrierend. Kaum Kontakte, kaum Austausch.“ Umso mehr genießt sie diese Tage in Lindau: „Hier zu sein, mit so vielen jungen Forschern aus der ganzen Welt, das ist einfach toll.“
Für Archana Kumar geht dieser Abend mit vielen Eindrücken zu Ende. „Ich mache Wissenschaft nicht fürs Geld. sondern um Menschen zu helfen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich ja selbst irgendwann mal einen Nobelpreis.“
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