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Seoul: Halloween-Tragödie von Seoul: Es sollte die Party des Jahres sein

Seoul

Halloween-Tragödie von Seoul: Es sollte die Party des Jahres sein

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    Rettungskräfte und Feuerwehrleute versorgen die Opfer im Seouler Ausgehviertel Itaewon. Später wird klar: Mehr als 153 Menschen sind bei der Massenpanik gestorben.
    Rettungskräfte und Feuerwehrleute versorgen die Opfer im Seouler Ausgehviertel Itaewon. Später wird klar: Mehr als 153 Menschen sind bei der Massenpanik gestorben. Foto: Yonhap/AP/Lee Ji-Eun, dpa

    Am Tag nach der Tragödie zeigt sich das Seouler Ausgehviertel Itaewon gespenstisch leer: Polizisten haben die kleine Seitengasse abgeriegelt, Trauernde an den Absperrungen Blumensträuße niedergelegt. Nur Stunden zuvor haben hier viele auf grausame Weise ihr Leben verloren.

    Blumensträuße zum Gedenken an die Opfer der tödlichen Massenpanik in Seoul.
    Blumensträuße zum Gedenken an die Opfer der tödlichen Massenpanik in Seoul. Foto: Ahn Young-Joon, AP/dpa

    Es hätte die größte Party des Jahres werden sollen. Stattdessen endete die diesjährige Halloween-Feier in Itaewon in einer nationalen Tragödie: Mindestens 154 Personen sind bei einer offensichtlichen Massenpanik ums Leben gekommen, nach aktualisierten Zahlen vom Montag wurden 149 weitere zum Teil sehr schwer verletzt. Unter den Opfern befanden sich vor allem junge Südkoreaner, zwei Drittel von ihnen weiblich. Auch 20 Ausländer sind bei der Tragödie ums Leben gekommen. Nach Angaben der südkoreanischen Stellen seien darunter keine deutschen Staatsangehörigen, hieß es aus der deutschen Botschaft in Seoul.

    Die genauen Umstände sind nach wie vor nicht geklärt. Zunächst meldete die Nachrichtenagentur Yonhap Dutzende Herzstillstände unter Partygängern in Itaewon, worauf sich umgehend Gerüchte verbreiteten, dass ein dortiger Nachtklub mit Drogen versetzte Halloween-Süßigkeiten verteilt haben könnte.

    Doch eine andere Theorie scheint wesentlich wahrscheinlicher: Über 100.000 Feierwütige sind am Wochenende ins Viertel gezogen. Gegen frühen Abend herrschte in den engen Gassen entlang der Kneipen und Klubs bereits extremes Gedränge. Als die Menschen in eine kleine, etwa vier Meter breite Seitengasse strömten, kam es dort offenbar zu einer Massenpanik. Auf Videos ist zu sehen, wie einige junge Männer verzweifelt versuchen, an den Wänden hochzuklettern, um dem erdrückenden Mob zu entgehen. Zahlreiche Menschen seien auf den Boden gestürzt, während andere von oben nachgedrängt hätten, berichteten Augenzeugen. Viele der Opfer seien erstickt oder erdrückt und niedergetrampelt worden. Alles sei sehr schnell passiert, sodass die Menschen in der Menge kaum Zeit zur Flucht gehabt hätten.

    Über 100.000 Menschen zogen zur Partymeile

    „Es war wie ein Dominoeffekt“, sagte ein junger Mann dem südkoreanischen Fernsehsender MBC. „Ich habe das Gleichgewicht verloren und bin ebenfalls hingefallen.“ Er habe nicht auf Liegende treten wollen. „Menschen waren bewusstlos oder riefen nach Hilfe.“ Augenzeugen berichteten im lokalen Fernsehsender SBS, dass sie an den Verletzten auf der Straße verzweifelte Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt hätten, da die Rettungskräfte nicht durchkamen. Über 140 Einsatzfahrzeuge waren in jenen Stunden im Einsatz.

    Das alljährliche Halloween-Festival in Itaewon war die erste große Feier, nachdem die strengen Corona-Auflagen in Südkorea gelockert worden waren – ohne Maskenpflicht und Sperrstunde. Es scheint, als hätte sich unter vielen Koreanern ein immenser Drang zum ausgelassenen Feiern angestaut, der an diesem Wochenende ein Ventil finden sollte: Über 100.000 Menschen in bunten Kostümen zogen in die Ausgehmeile. „In Itaewon ist es jedes Jahr extrem voll, aber dieses Jahr war es einfach nur verrückt“, schrieb eine Frau im sozialen Netzwerk Instagram.

    Das Itaewon-Viertel ist in Südkorea ein Symbol für Freiheit und Multikulti. Doch unter konservativen Senioren gilt es auch als Sündenpfuhl. Ohne Frage jedoch ist es ein weltweit einmaliger Kiez: Eingepfercht zwischen einer US-Militärbasis und der größten Moschee des Landes befinden sich Hunderte Bars, Klubs und Restaurants. Schwulenkneipen, Rotlichtsalons und Halal-Lokale liegen dicht nebeneinander. Und nie zieht das Viertel mehr junge Menschen an wie zum Halloween-Wochenende.

    Bis tief in die Nacht boten sich den Reportern am Unglücksort surreale Szenen: Während die Leichen in Rettungsfahrzeugen abtransportiert wurden und schockierte Passanten in Tränen ausbrachen, tanzten nur einen Steinwurf entfernt Partygäste in der Fußgängerzone ausgelassen weiter – offenbar zu betrunken, um zu realisieren, dass sich gerade eine der größten Tragödien der Geschichte Südkoreas ereignet hat.

    Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol (m.) im Seouler Ausgehviertel Itaewon, wo bei einer Massenpanik über 150 Menschen getötet und viele weitere verletzt worden sind.
    Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol (m.) im Seouler Ausgehviertel Itaewon, wo bei einer Massenpanik über 150 Menschen getötet und viele weitere verletzt worden sind. Foto: James Lee, XinHua/dpa

    Präsident Yoon Suk Yeol, dessen Amtssitz nur wenige Gehminuten vom Unglücksort entfernt ist, ordnete eine gründliche Untersuchung an und rief eine landesweite Trauerzeit aus. Sie soll bis zum nächsten Samstag dauern. Seouls Bürgermeister Oh Se-hoon, der sich derzeit auf Europa-Besuch befindet, hat sämtliche Termine abgesagt und den nächsten Flieger in die Heimat genommen.

    Die Verantwortlichen werden viele Fragen beantworten müssen – etwa, warum laut Berichten nur 200 Polizisten für die Halloween-Party im Viertel Itaewon abgestellt waren. Viele von ihnen waren gemäß Zeugenberichten um den Autoverkehr bemüht, statt die Menschenmassen zu koordinieren. Das ist vor allem bemerkenswert, weil die Stadtregierung in Seoul bei regelmäßigen politischen Protesten auf dem Gwanghwamun-Platz oft mehr Polizisten als erwartete Demonstranten entsendet.

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