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Nachruf: Mit Ex-Premier Shinzo Abe stirbt einer der prägendesten Politiker Japans

Nachruf

Mit Ex-Premier Shinzo Abe stirbt einer der prägendesten Politiker Japans

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    Shinzo Abe ist tot. Der langjährige japanische Premier starb infolge eines Anschlags im Alter von 67 Jahren.
    Shinzo Abe ist tot. Der langjährige japanische Premier starb infolge eines Anschlags im Alter von 67 Jahren. Foto: Annegret Hilse/Sven Simon, dpa

    Den einen galt er als Patriot, der Japan zu alter Stärke führen wollte. Andere sahen in Shinzo Abe einen rechten, skandalumwitterten Populisten, in dessen Ägide Asiens älteste Demokratie eine Abkehr von der pazifistischen Nachkriegspolitik vollzogen habe. Fakt ist: Abe hat Japan im vergangenen Jahrzehnt geprägt, niemand regierte länger als er.

    2020 gab er das Amt ab. Politik machte er weiter. Am Freitag war er als Wahlkämpfer in der Stadt Nara unterwegs, als er auf offener Straße niedergeschossen wurde. Im Krankenhaus starb er Stunden nach dem Anschlag im Alter von 67 Jahren an den Folgen hohen Blutverlusts.

    Shinzo Abe wollte das Militär stärken, das in Japan nicht so heißen darf

    Der Konservative, der seine Karriere dafür eingesetzt hatte, Japan ein stärkeres Militär zu bescheren, wurde offensichtlich von einem Mann erschossen, der einst eben für diese Institution gearbeitet hat: die Selbstverteidigungskräfte. Wegen der pazifistischen Nachkriegsverfassung dürfen sie nicht Militär heißen, haben aber de facto dieselbe Rolle wie eine Armee. Und kaum einer im Land hatte sich so sehr gewünscht, dass diese Institution gestärkt wird, wie Abe.

    An einer Straßenkreuzung hatte er eine Wahlkampfrede vor den am Sonntag anstehenden Oberhauswahlen gehalten, als plötzlich mehrere Schüsse fielen und er blutend zusammensackte. Im Krankenhaus kämpften die Ärzte stundenlang um sein Leben – sie konnten es nicht retten. Nun befindet sich das Land im Schockzustand. Fernsehsender bringen alle paar Minuten neue Updates, Freunde leiten sich auf den Smartphones Nachrichten weiter.

    Zweimal gab der Politiker nach Skandalen sein Amt ab

    Der Tod des 67-Jährigen hinterlässt in der japanischen Politik eine große Lücke. Von Dezember 2012 bis September 2020 war er an der Macht, zuvor schon einmal von 2006 bis 2007. Zweimal trat er nach Skandalen mit schlechten Beliebtheitswerten zurück – vom millionenfachen Verlust von Rentendaten über Vetternwirtschaft bis zur illegitimen Verwendung von Steuergeldern. Zweimal gab er offiziell eine seltene Darmerkrankung als Grund an, von der er sich nach einer kurzen Ruhephase jeweils wieder zu erholen schien.

    Dass die politische Karriere Shinzo Abes trotz dieser Skandale so lang und einflussreich verlaufen ist, sagt auch einiges über das Talent des nationalistisch eingestellten Politikers aus. Als Spross einer Politikerdynastie wurde er 52-jährig einst zum jüngsten Premier seines Landes. Schon damals machte er kein Geheimnis daraus, dass er Japan durch seine Verfassung, die durch die im Zweiten Weltkrieg siegreichen USA oktroyiert worden war, als „kastriert“ ansah. Ohne schlagkräftiges Militär sei Japan kein „normaler Staat“. Sein Motiv war dabei auch die Angst vor den Großmachtansprüchen Chinas. Abe warnte auch immer wieder eindringlich vor einer Invasion der Chinesen in Taiwan.

    In seinem bis heute mehrheitlich pazifistisch eingestellten Land machte er sich mit dieser Haltung immer wieder Feinde, holte sich im konservativen Lager aber auch Applaus ab und baute darauf seine Karriere auf. In seiner ersten Phase als Premierminister wertete er die Selbstverteidigungskräfte zu einem eigenen Ministerium auf. Als er ab 2012 erneut regierte, beschloss er, dass Japans Verteidigungsministerium fortan auch strategischen Partnerstaaten zur Hilfe eilen dürfe, sofern diese – und damit auch Japan – existenziell bedroht seien. Kritiker bewerteten dies als verfassungswidrig.

    Wirtschaftlich erlebte Japan unter Shinzo Abe einen Boom

    Wirtschaftlich erlebte die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt unter Abe die längste Wachstumsphase seit Jahren, die Börse boomte. Auch wurden die Unternehmen insgesamt sehr profitabel. Gleichzeitig aber habe seine Politik dazu geführt, dass die Gewinne ungleich verteilt worden seien, beklagten seine Kritiker. „Er hat japanische Geschichte mitgeprägt und sich immer für Multilateralismus und unser gemeinsames Wertefundament eingesetzt“, twitterte 2020 ein Sprecher der damaligen Bundesregierung unter Angela Merkel, als Abe seinen Rücktritt angekündigt hatte.

    Abes größtes Ziel war es stets gewesen, die Verfassung umzuschreiben und den für Konservative ungeliebten Pazifismusartikel 9, der die Kriegsführung und ein vollwertiges Militär verbietet, zu beseitigen. Dafür haben ihm aber stets die nötigen Machtverhältnisse gefehlt. Die bittere Ironie, dass als sein mutmaßlicher Mörder nun ein 41-Jähriger festgenommen wurde, der eben dem Quasi-Militär angehört hat, wird noch lange wie ein Schatten über dem Leben und Wirken Shinzo Abes liegen.

    Japan gilt als sehr sicheres Land, Straßenkriminalität ist selten

    Sein Tod dürfte auch eine Debatte darüber entfachen, wie politische Veranstaltungen und öffentliche Events generell abgesichert werden müssen. In Japan ist man stolz darauf, dass es praktische keine Straßenkriminalität gibt. Kaum ein Land gilt als so sicher. Allerdings hat sich der mutmaßliche Mörder seine Mordwaffe selbst gebastelt. Da half auch das restriktive Waffenrecht nicht.

    Der aktuelle japanische Premierminister Fumio Kishida, der wie Abe der übermächtigen Liberaldemokratischen Partei (LDP) angehört, ordnete noch am Freitagabend an, dass Politiker künftig stärker bewacht und gesichert werden sollen. Es ist eine Reaktion, die vor allem Symbolwirkung haben dürfte. (mit dpa)

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