Die harte Wahlnacht und die Enttäuschung der herben Niederlage hat auf den Gesichtern der Linken-Doppelspitze ihre Spuren hinterlassen. „Die Partei Die Linke muss sich aus meiner Sicht neu erfinden“, sagt Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow und klingt dabei eher müde statt kämpferisch. „Das war das letzte blaue Auge“, fügt die Thüringerin hinzu. Tatsächlich rettete nur die Prominenz der Parteilegenden Gregor Gysi und Gesine Lötzsch, sowie eine Ausnahmeklausel im Wahlgesetz die Linke vor dem bundespolitischen Knock-out.
Der Kampf um drei rettende Direktmandate ging fast schief
Die Partei riss erstmals seit ihrer Fusion aus PDS und WASG mit 4,9 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde. Doch bei drei gewonnenen Direktmandaten zählt die Klausel nicht mehr, eine Partei kann dann auch ihre Listenkandidaten in den Bundestag retten. Der 71-jährige Gysi holte zum fünften Mal in Folge das Direktmandat in Berlin, die 60-jährige Gesine Lötzsch im Berliner Bezirk Hellersdorf Mahrzahn ihres sogar ununterbrochen zum sechsten Mal.
Doch das dritte bisherige Berliner Direktmandat von Petra Pau ging verloren. Nur weil der Leipziger Linke Sören Pellman mit 22,8 Prozent gegen seine Grünen-Konkurrentin trotz herber Verluste seinen Wahlkreis verteidigen konnte, blieb es Gysi und Lötzsch erspart, künftig ihre Partei als einsames Duo im Bundestag zu vertreten.
Nun stellt die Partei immerhin 39 Abgeordnete – 30 weniger als bisher, aber ausreichend viele, um weiter eine Fraktion zu bilden. Doch der Bedeutungsverlust der Partei als einst maßgebliche Kraft in Ostdeutschland schreitet ebenso voran wie ihre Kraftlosigkeit im Westen.
Die Linke kann nicht vom Zeitgeist profitieren
Obwohl laut Wahlbefragungen das Thema soziale Sicherheit noch eine wichtigere Rolle spielte als Klima, Umwelt und Wirtschaft, schaffte es die Linkspartei nicht, mit ihren Kernthemen aus dem Zeitgeist bundesweit Kapital zu schlagen. Nicht einmal über einen überraschend klaren Triumph in Berlin kann sich die Partei deshalb richtig freuen: 56 Prozent der Berlinerinnen und Berliner stimmten für das von den Linken als ideologisches Herzensanliegen mitvorangetriebene Volksbegehren für die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Bei der Bundestagswahl büßte die Partei in der Hauptstadt zeitgleich über ein Drittel ihrer Zweitstimmen ein.
Ihr Hauptproblem liegt klar im Osten der Republik. Dort erklären zwar 38 Prozent der Bevölkerung, die Linke vertrete von allen Parteien ostdeutsche Interessen am meisten. Doch in mehreren Ostländern stürzte die lange von Ergebnissen über 20 Prozent verwöhnte Partei auf einstellige Prozentwerte ab.
In Brandenburg halbierte die Partei ihr schlechtes Ergebnis von 2017 auf nun 8,5 Prozent. In Sachsen wurde die Partei mit einem ähnlichen Wert sogar nur fünftstärkste Kraft hinter der FDP. In Berlin, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern rettete sich die Partei immerhin knapp über elf Prozent. Statt der Linken wählte der Osten mit großen Stimmenzuwächsen in der nördlichen Hälfte SPD und in der südlichen AfD.
Wähler honorieren "Ostkompetenz" der Linken nicht mehr
„Wir müssen unsere Ostkompetenz wieder sichtbar machen“, betont daher Linke-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch. „Doch wenn man Verantwortung übernimmt in den Ländern, verliert man ein Stück weit den Protestcharakter“, erklärt er mit Blick auf Thüringen, wo die AfD mit 24 Prozent als stärkste Partei doppelt so viele Zweitstimmen holte wie Die Linke. Zudem erodiert auch die Verwurzelung vor Ort, wie Bartsch einräumen muss. „Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern- keine Landräte mehr, das hatten wir mal“, berichtet er aus seiner Heimat.
Damit rührt Bartsch an einem weiteren Problem der Linken. Wie der Erfolg von Lötzsch, Gysi aber auch von Bodo Ramelow zeigt, hängt auch die Linke sehr stark von der Popularität ihrer Personen ab. Doch weder entfalten neue Kräfte wie die zweite Linken-Vorsitzende Janine Wissler Zugkraft, noch können Personen die harten internen Auseinandersetzungen der chronisch zerstrittenen Partei überdecken. Im Gegenteil: Mitten im Wahlkampf leistete sich die Linken-Spitzen einen heftigen Dauerstreit mit ihrer populären Ex-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht. Dass die streitbare Ex-Fraktionschefin den Einzug in den Bundestag geschafft hat, war am Tag nach der Wahl nur Ramelow lobende Worte Wert.
Die Linken-Spitze will nun in einer grundlegenden Ursachenanalyse ihr schlechtes Wahlergebnis aufarbeiten. Hennig-Wellsow und Wissler machen klar, dass die Gründe für den Niedergang tiefer gehen, als der Wahlkampf, der Streit um die Linken-Enthaltung bei der Afghanistan-Rückholmission oder die „Rote-Socken-Kampagne“ der Union.
Die große Frage der kommenden Wochen wird sein, ob Die Linke bei ihrer Analyse auch über Wege aus ihrem Dauerstreit und ihr Personal spricht. Wissler und Hennig-Wellsow schlossen personelle Konsequenzen schon mal aus: Sie wollten in der jetzigen Situation die Partei nicht im Stich lassen, betonten sie.