Rund 30 Prozent der Fläche des Bayerischen Allgäus ist laut des Statistischen Landesamts bewaldet. Dabei ist der Wald ein wahrer Tausendsassa: Die Bäume sorgen für Sauerstoff, liefern Brenn- und Bauholz und bieten Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Außerdem dienen die Wälder vielen als Naherholungsgebiet. Doch wie geht es dem Allgäuer Wald? Darüber haben wir mit Simon Östreicher gesprochen, der beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Kempten den Bereich Forsten leitet.
Ist das Allgäu ein Waldland?
Simon Östreicher: Ja, ohne menschlichen Einfluss wäre das Allgäu zu über 90 Prozent von Wald bedeckt. Nur die Hochlagen über 1800 Meter, die Seen und Flüsse, die Kiesbänke und Geröllhalden sowie die besonders nassen Kernbereiche der Moore wären von Natur aus waldfrei. Die natürlichen Allgäuer Wälder wären überwiegend Mischwälder aus Buche und Tanne mit weiteren Mischbaumarten wie Bergahorn und Fichte.
Sie sagen wären. Wie sieht der Wald tatsächlich aus?
Östreicher: Die dominierende Baumart in den Altbeständen ist die Fichte mit gut 65 Prozent Anteil. Die von Natur aus im Allgäu eigentlich häufigste Nadelbaumart, die Tanne, hat nur einen Anteil von drei Prozent. Der Laubbaumanteil liegt bei nur bei 28 Prozent. Viele der Fichtenwälder sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, als die durch Kriegsnutzungen, Reparationshiebe und für den Wiederaufbau entstandenen Kahlflächen wieder aufgeforstet wurden. Dazu wurde oft die robuste und schnell wachsende Fichte verwendet, die schon in jungen Jahren gute Holzerträge verspricht. Aus heutiger Sicht wäre es besser gewesen, stabile Mischwälder zu pflanzen. Aber man muss auch die enorme Leistung unserer Vorfahren anerkennen, die mit bescheidenen Mitteln innerhalb kurzer Zeit die großflächigen Aufforstungen bewältigt haben.
Wann haben die Menschen in der Region angefangen, den Wald intensiv zu nutzen?
Östreicher: Seit der verstärkten Besiedlung des Allgäus im Mittelalter wurden viele Waldflächen für Siedlungen, Äcker, Wiesen und Alpflächen gerodet. Die verbliebenen Wälder wurden sehr intensiv genutzt: Sie lieferten das Baumaterial für die Häuser und ein Großteil der Werkzeuge und Gerätschaften wurden aus Holz gefertigt. Das Brennholz war der mit Abstand wichtigste Energielieferant zum heizen, kochen, backen und brauen. Am Grünten und im Ostrachtal wurde zudem im großen Stil Eisenerz abgebaut, das mit der Holzkohle aus den nahe gelegenen Wäldern verhüttet wurde. Es wurden zudem Stämme mit Flössen auf Iller und Lech zu den holzhungrigen Städten transportiert. Die Wälder lieferten Einstreu für die Ställe und dienten als Waldweideflächen für Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine. Mit der steigenden Bevölkerungszahl im 18. und 19. Jahrhundert führte dies zu einer starken Übernutzung der Wälder. Um 1850 lag der Waldanteil im Allgäu wohl deutlich unter 20 Prozent.
Wann hat sich die Situation wieder verbessert?
Östreicher: Mit der Einführung der Eisenbahn wurde die Eisenerzeugung im Allgäu unwirtschaftlich – mit der billigen Steinkohle stand nun auch ein anderer Energieträger zur Verfügung. Dies nahm viel Druck vom Wald. Zudem wurden zwischen 1850 und 1950 viele Öd- und Alpflächen im Allgäu wieder gezielt aufgeforstet und viele trockengelegte Moorflächen haben sich natürlich wiederbewaldet.
Wird zu viel Wald gerodet?
Östreicher: Im bayerischen Allgäu gibt es rund 140.000 Hektar Wald, das entspricht einem Waldanteil von 30 Prozent. Bayernweit sind es 37 Prozent, sodass das Allgäu vergleichsweise „waldarm“ ist. Der Waldanteil hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert: Rodungen auf der einen Seite und Erstaufforstungen sowie natürliche Wiederbewaldung auf der anderen Seite halten sich in etwa die Waage. Wir haben im Allgäu heute wieder sehr vorratsreiche Wälder. Im Durchschnitt stehen rund 450 Festmeter Holz auf einem Hektar. Das sind im gesamten bayerischen Allgäu über 60 Millionen Festmeter Holzvorrat, in denen rund 16 Millionen Tonnen Kohlenstoff beziehungsweise 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid gespeichert sind. Eine ähnliche Menge an Kohlenstoff ist in den Waldböden gespeichert. In den vergangenen Jahren wurde im Allgäu weniger Holz genutzt als nachwächst, sodass die Vorräte ansteigen. Das birgt aber auch Gefahren, da ältere Waldbestände anfälliger für Sturmwürfe und Insektenbefall sind.
Und wie sieht der Allgäuer Wald in Zukunft aus?
Östreicher: Im Zuge der Klimaerwärmung sind die Durchschnittstemperaturen im Allgäu bereits deutlich gestiegen. Für Bäume, die über 100 Jahre auf dem gleichen Platz stehen, ist dieser Temperaturanstieg in sehr kurzer Zeit eine große Herausforderung. Besonders die Fichte, die an die kühlen Bedingungen des Hochgebirges angepasst ist, stößt an ihre Grenzen. Ihre Gegenspieler, die Borkenkäfer, profitieren dagegen von den höheren Temperaturen. Ich gehe davon aus, dass die Fichten in den tieferen Lagen und auf flachgründigen Standorten ihnen in den nächsten Jahrzehnten vermehrt zum Opfer fallen werden. Zudem werden voraussichtlich Stürme und Trockenperioden zunehmen, von denen die flachwurzelnde Fichte ebenfalls besonders betroffen sein wird.
Brauchen wir neue Baumarten?
Östreicher: Wir haben das Glück, dass es im Allgäu im Stau der Alpen hohe Niederschläge gibt. Dies wird sich vermutlich auch im Klimawandel nicht wesentlich ändern. Wir können deswegen im Bergwaldbereich vermutlich weiter unsere heimischen Baumarten wie Buche, Bergahorn, Tanne und – in geringeren Anteilen – die Fichte verwenden. Im Voralpengebiet und am Bodensee werden zudem wärme- und trockenheitstolerantere Bäume wie Eiche, Kirsche, Elsbeere, Edelkastanie und Douglasie wichtiger werden. Der Waldumbau funktioniert auf großer Fläche aber nur, wenn die Waldbesitzer von den Jägern mit intensiver Bejagung unterstützt werden. Denn viele der Mischbaumarten schmecken dem Wild besonders gut.
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Bayern will bis 2040 klimaneutral werden. Manche Allgäuer Kommune hat sich sogar noch ehrgeizigere Ziele gesetzt. Um diese zu erreichen und in der Region nachhaltig etwas zu verändern, sind viele Aspekte wichtig. Vom Bau neuer Windräder über den Umgang mit Abfall bis zum Pflanzen von Bäumen. In unserer Serie „Der Klima-Check“ greifen wir jeden Samstag einen Gesichtspunkt auf, informieren über den Stand der Dinge – und zeigen auf, was noch getan werden muss. Im heutigen Teil geht es um den Wald und seine Bedeutung für den Klimaschutz im Allgäu.
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