Spät abends hob die Boeing 787-9 Dreamliner, Flugnummer UAL761, der United Airlines am Münchner Flughafen in Richtung Denver ab. Gerade überflog das Passagierflugzeug mit über 250 Menschen an Bord Kassel (Hessen), da musste der Pilot eine Kehrtwende machen. Grund dafür: Ein medizinischer Notfall bei einem Fluggast. Das Flugzeug musste schnell wieder auf den Boden, damit der Passagier versorgt werden konnte. Gemeinsam mit einem Lotsen der Deutschen Flugsicherung entschied sich der Pilot wieder zurück nach München zu fliegen. Einziges Problem: Das Flugzeug war zu schwer, um so bald nach dem Start wieder zu landen. Was nun?
Für solche Fälle haben vor allem die größeren Maschinen und auch Militärflugzeuge die Möglichkeit, Treibstoff abzulassen, um das Gewicht zu reduzieren, sagt Kristina Kelek von der Deutschen Flugsicherung. Und genau das tat auch der Pilot - und zwar über dem Unterallgäu. In einer Höhe von fast 6000 Metern kreiste das Flugzeug über Memmingen bis nach Dietmannsried und ließ Kerosin ab. Dann steuerte der Pilot wieder in Richtung München und konnte seine 63 Meter lange Maschine auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen sicher landen.
Besonders bei Langstreckenflugzeugen ist das maximal zulässige Startgewicht oftmals höher als das bei der Landung. Unter normalen Umständen ist das kein Problem, da die Maschine bis zur Landung Treibstoff verbraucht und dadurch an Gewicht verliert. Wenn allerdings bereits kurz nach dem Start ein Notfall eintritt, der den Piloten zwingt, wieder zu landen, ist noch nicht genügend Treibstoff verbrannt. Dann muss der Pilot womöglich den sogenannten Treibstoffschnellablass machen. (Lesen Sie auch:
)Darum ließ der Pilot Kerosin über dem Allgäu ab
Doch warum ließ der Pilot den Treibstoff ausgerechnet über dem Allgäu ab? Gemeinsam mit der Flugsicherung suche der Pilot einen Bereich im Luftraum, wo der Treibstoffschnellablass sicher durchgeführt werden kann, erklärt Kelek. Das Flugzeug müsse sich dabei mindestens 6000 Fuß, also mindestens 1828,8 Meter, über dem Boden befinden. "Das Manöver muss auch außerhalb von dicht besiedelten Gebieten gemacht werden", sagt die Sprecherin der Flugsicherung.
Und auch die Verkehrslage spiele bei der Wahl des geeigneten Gebietes für das "Fuel Dumping" - wie es auf englisch heißt - eine Rolle. Das heißt, es wird nach einem Gebiet Ausschau gehalten, in dem zu dieser Zeit wenig bis kein Flugverkehr stattfindet. Aber auch von der Notsituation hängt es ab, wo der Pilot den Treibstoff ablässt: "Wenn es um einen kranken Passagier geht, wird meist in der Nähe des Flughafens das Kerosin abgelassen", sagt Kelek. (Lesen Sie auch: Ein Flugzeug stürzt nach dem Start ab: Feuerwehr und BRK proben Ernstfall am Flugplatz Durach)
Fuel Dumping über dem Allgäu: Wie häufig kommt es in Deutschland vor?
All zu häufig kommt es jedoch nicht vor, dass Piloten Treibstoff in der Luft ablassen müssen. Jedes Fuel Dumping in Deutschland wird vom Luftfahrt-Bundesamt in einer Liste veröffentlicht. Demnach gab es im Jahr 2022 bislang 18 Fälle. Im Jahr zuvor waren es 25 und 2020 sogar nur 16.
Die Mengen des abgelassenen Treibstoffs variieren dabei stark. Mal wurde nur eine halbe Tonne über Brandenburg aus Wartungszwecken abgelassen, ein anderes Mal ganze 80 Tonnen über Mittelhessen, weil ein technisches Problem vorlag. Das ist übrigens in den meisten Fällen der Grund für ein Fuel Dumping. Wie viel Treibstoff jüngst über dem Allgäu abgelassen wurden, ist noch nicht bekannt.

Auswirkungen von Treibstoffablass auf Mensch und Natur: Kommt Kerosin auf dem Boden an?
Doch ist das nicht wahnsinnig schädlich für die Umwelt und auch für die Menschen, wenn zig Tonnen Treibstoff einfach so freigesetzt werden? Nach derzeitigem Wissensstand, nicht. Der Bund Naturschutz verweist auf Anfrage an das Umweltbundesamt, das hierzu ein Positionspapier veröffentlicht hat. Beim Ablassen des Treibstoffs in großer Höhe und bei einer hohen Geschwindigkeit, zerstäubt das Kerosin und verdunstet großteils, noch bevor es auf die Erde herabfällt. Nur sehr geringe Mengen erreichen den Boden. Die Auswirkungen auf die Luft, den Boden, das Grundwasser und auch auf die menschliche Gesundheit bewertet das Umweltbundesamt als unkritisch.
Doch um die Flächenkonzentration noch weiter zu senken, empfiehlt das Amt, eine Vorschrift zu möglichst wechselnden Ablassgebieten zu erlassen und die Mindestflughöhe für Fuel Dumping auf 10.000 Fuß - also etwa 3000 Meter - zu erhöhen.
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