Umbenennung

Knussertstraße in Kempten: Darum diskutierte der Stadtrat drei Stunden lang

Drei Stunden lang dauerte es, bis sich der Kemptener Stadtrat zu einer Entscheidung durchringen konnte. Einig war man sich aber auch dann nicht.

Drei Stunden lang dauerte es, bis sich der Kemptener Stadtrat zu einer Entscheidung durchringen konnte. Einig war man sich aber auch dann nicht.

Bild: Ralf Lienert

Drei Stunden lang dauerte es, bis sich der Kemptener Stadtrat zu einer Entscheidung durchringen konnte. Einig war man sich aber auch dann nicht.

Bild: Ralf Lienert

Stadtrat ist sich einig, dass ein Nazi-Propagandist nicht tragbar ist. Doch während die einen den Namen unverzüglich ändern wollen, hat der OB anderes im Sinn.

31.07.2020 | Stand: 13:38 Uhr

Die nach Dr. Richard Knussert benannte Straße am Lindenberg in Kempten wird umbenannt. Wie berichtet, folgte der Stadtrat mit 29:10 Stimmen dem Ergebnis einer Studie des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IFZ). Dort wurde die Rolle des Pädagogen als Kulturreferent während der NS-Zeit unter die Lupe genommen. Auf Grundlage dieser Untersuchung war man sich einig, dass eine Benennung einer Straße nach Knussert nicht mehr möglich sei. Oberbürgermeister Thomas Kiechle wollte dazu einen Konsens im Stadtrat erreichen: Mit den Fraktionschefs von CSU und Freien Wählern hat er deshalb vorgeschlagen, ein Konzept zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Kempten – im Kontext einer angemessenen Erinnerungskultur – zu erarbeiten und die Bürger mit einzubeziehen. Die neue Allianz im Stadtrat (Freie Wähler, Grüne und SPD) folgte diesem Vorschlag nicht. Die Stadtratsmehrheit wollte eine schnelle Einzelfallentscheidung – und der Knussertstraße einen anderen Namen geben.

"Ein typischer Angehöriger der Funktionselite des NS-Regimes“

Über drei Stunden lang beschäftigten sich die Stadträte während ihrer Mammutsitzung am Donnerstag mit der Person Knussert. Dr. Martina Steber vom IFZ versicherte nach der Untersuchung an ihrem Institut: „Knussert war ein Propagandist des Nationalsozialismus, ein typischer Angehöriger der Funktionselite des NS-Regimes“.

>>Wer war eigentlich Richard Knussert?<<

Die Stadträte waren sich einig, dass Knussert kritisch zu betrachten sei. Nicht einig war man sich allerdings bei der Frage, ob man sich vor einer Einzelfallentscheidung nicht erst einen Gesamtüberblick über andere, nach Personen benannte Straßen, verschaffen sollte. Erst Kriterien schaffen für künftige Diskussionen, wünschte beispielsweise Stadträtin Sibylle Knott (parteilos). Michael Hofer (ÖDP) ist das Gutachten „zu eng geführt“. Er will mehr wissen über Knussert, der seiner Kenntnis nach beispielsweise Juden in Augsburg geholfen habe.

Thomas Hartmann (Grüne) wollte mehr über Knussert als Lehrer am Carl-von-Linde-Gymnasium und Forscher im Allgäu erfahren. Doch die Nachkriegstätigkeit war laut Steber nicht Teil des Gutachtens.

>>Die Kemptener Grünen hatten beantragt, die Knussertstraße umzubenennen<<

Doch gerade bezogen auf die Person von Knussert und sein Wirken als NS-Kulturbeauftragter war Thomas Kreuzer (CSU) der Vortrag Stebers in einigen Teilen zu vage. Der Jurist forderte die Privatdozentin auf, Beispiele zu bringen, wie dieser im Amt als NS-Kulturbeauftragter in Schwaben agierte. Laut der Historikerin „gibt es dazu keine Akten mehr“. Kreuzer plädierte vor einer Einzelfallentscheidung für eine „konzentrierte Aufarbeitung der NS-Zeit in Kempten und eine gemeinsame und angemessene Reaktion hinsichtlich der Vergangenheit einzelner Akteure“. Knussert sei kein Kriegsverbrecher gewesen, sondern ein Mitläufer, der 1949 in den Staatsdienst übernommen wurde. Dazu sollten, so Robert Schmidt (CSU), auch die Bürger mit einbezogen werden und das Thema ausreichend selbst beleuchten können.

„Wollen wir einen Schurken und Lump mit einer Straße ehren?“

Lajos Fischer (Grüne) forderte dagegen rasches Handeln: „Wollen wir einen Schurken und Lump mit einer Straße ehren?“ Dominik Spitzer (FDP) sah das genauso: „Ein Straßenschild haben nur integre Personen verdient. Knussert erfüllt diese Kriterien nicht.“ Katharina Schrader (SPD) forderte, Zeichen zu setzen: „Das Gutachten ist klar.“ Und Alexander Hold (Freie Wähler) mahnte: „Wir müssen Sorge tragen, dass die Straßen in Kempten Namen tragen, an die man sich positiv erinnert.“ Deshalb hielt er eine Gesamtuntersuchung für nötig.

„Schlechtes Schauspiel“

Mit diesem Ansinnen scheiterte Hold (außer bei Bürgermeister Klaus Knoll) sogar in den Reihen seiner eigenen Fraktion. Es fand sich keine Mehrheit für eine Gesamtuntersuchung. Damit ließen die Stadträte auch den Oberbürgermeister im Regen stehen, der einen Konsens herbeiführen wollte. „Ob das jetzt ein schlechtes Schauspiel war oder die Allianz dann versagt, wenn es wirklich um die Seele unserer Stadt geht“, das fragt sich im Nachhinein CSU-Fraktionschef Helmut Berchtold.