In wenigen Tagen jährt sich im Allgäu ein denkwürdiges Ereignis. Anfang Juli 2019 tauchte ein Video des Vereins „Soko Tierschutz“ auf, das gravierende Mängel im Stall eines Großbetriebs im Unterallgäuer Bad Grönenbach belegte. Dokumentiert sind brutale Misshandlungen und Vernachlässigungen von Tieren. Die Bilder sind erschreckend: Kranke Tiere kämpfen mit dem Tod, schwache Kreaturen werden mit mit Traktoren durch den Stall geschleift und mit Eisenstangen traktiert. Kühe werden geschlagen, verletzt, gequält.
Mit Recht empörten sich viele Menschen. Und fragten die Politik und die Verwaltungen: Wo sind die Kontrolleure, was machen die eigentlich? Und die Politiker sagten: Es gibt zu wenig Veterinäre, zu wenig Planstellen. Während sich die Akteure auf den verschiedenen politischen Ebenen und die Verwaltungen die Schuld noch gegenseitig zuschoben, kam ein Tierskandal nach dem anderen an die Öffentlichkeit.
Tierskandal im Allgäu 2019: Erster Hotspot in Bad Grönenbach
Der Raum Bad Grönenbach/Dietmannsried entwickelte sich zu so etwas wie einem Hotspot. Einig waren sich damals Bürger, Verbraucher, Politiker: So kann es nicht weitergehen. Während Tier- und Umweltschützer bereits seit Jahren gegen Massentierhaltung und Transporte von lebenden Tieren quer durch Europa auf die Straße gehen, sagten damals viele Menschen: Solche Bilder wollen wir nicht mehr sehen. Und wir versprachen, unser Verbraucherverhalten zu verändern: Nicht mehr das Billigfleisch beim Discounter kaufen, sondern Ware aus der Region – möglichst Bio, regional und dem Tierwohl verpflichtet.
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Also alles gut? Hat der bundesweit in die Schlagzeilen geratene Allgäuer Tierskandal wirklich zu Verhaltensänderungen der Verbraucher geführt? Und hat die Politik etwas geändert? Leider nicht wirklich. Alles ging so weiter wie bisher.
Dann kam die Pandemie. Heute, mit gut dreimonatiger Corona-Erfahrung, wissen wir: Auch dieses einschneidende Ereignis scheint unser Konsumverhalten bisher nicht wesentlich verändert zu haben. Zumindest nicht beim Fleisch, um bei diesem Thema zu bleiben. In der jetzt gerade zur Hochform auflaufenden Grillsaison soll es wieder möglichst billig zugehen, wenn Freunde und Nachbarn kommen. Drei, vier, fünf Euro für das Kilogramm Fleisch: Billig soll's vor allem sein – allen früheren Beteuerungen und Empörungen über Tierskandale zum Trotz.
Keine Schlachtungen in Kempten
Nun hat die Corona-Krise die offensichtlich katastrophalen Arbeits- und Wohnverhältnisse in der Fleischindustrie – einmal mehr – an die Öffentlichkeit gebracht. In Kempten wird im Schlachthof nicht mehr geschlachtet, weil die Rinderhälften bisher zum Zerlegen zu Tönnies nach Ostwestfalen gekarrt wurden.
Dort aber sind inzwischen über 1.500 Werkvertrags-Arbeiter an Covid-19 erkrankt. Der Betrieb steht still und das hat eben auch Auswirkungen auf den Kemptener Schlachthof. Und wieder treten Politiker vor die Kameras. Sie sagen, dass es so nicht weitergeht. Und wieder ist die Empörung groß über die Zustände in der Fleisch- und Lebensmittelproduktion. Über Menschen aus Europa, die in übelsten Behausungen leben und im Schlachthof arbeiten, damit wir billige Ware kaufen können.
Als die Pandemie Mitte März unser Leben radikal runtergebremst hatte, hieß es: Nach Ende der Krise wird alles anders sein. Weitermachen wie bisher wird es nicht geben. Staatliche Hilfen müssten sich an Kriterien wie Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit orientieren. Doch es scheint so, als hätten wir auch diesmal nicht verstanden, um was es geht.