Fischertag Memmingen 2022

„Ich nehme den Männern nichts weg“ - Sie wird als erste Frau in Memmingens Stadtbach jucken

Christiane Renz darf am 23. Juli als erste Frau während des Memminger Fischertags in den Stadtbach jucken. Wo sie das machen wird, wollte sie noch nicht verraten.

Christiane Renz darf am 23. Juli als erste Frau während des Memminger Fischertags in den Stadtbach jucken. Wo sie das machen wird, wollte sie noch nicht verraten.

Bild: Andreas Berger

Christiane Renz darf am 23. Juli als erste Frau während des Memminger Fischertags in den Stadtbach jucken. Wo sie das machen wird, wollte sie noch nicht verraten.

Bild: Andreas Berger

Christiane Renz wird als erste Frau am Memminger Fischertag, 23. Juli, in den Stadtbach jucken, das Recht hat sie sich vor Gericht erstritten. Ein Interview.
14.07.2022 | Stand: 14:19 Uhr

Ihr Fall hat bundesweit, sogar international für Schlagzeilen gesorgt: Die Memmingerin Christiane Renz, Mitglied im Fischertagsverein, wollte am Fischertag in den Stadtbach jucken dürfen. Das war Frauen bisher nicht erlaubt. Der Verein verwies auf die Tradition. Renz bekam 2020 vom Amtsgericht recht, 2021 auch vom Landgericht, nachdem der Verein in Berufung gegangen war. Am 23. Juli dürfen also zum ersten Mal auch Frauen in den Stadtbach jucken.

Frau Renz, freuen Sie sich schon auf den Fischertag?

Christiane Renz: Klar, wer tut das nicht in Memmingen?

Werden Sie in den Stadtbach jucken?

Renz: Natürlich.

Wo denn?

Renz: Das möchte ich jetzt noch nicht sagen. Denn es kann passieren, dass dann an diese Stelle mehr Zuschauerinnen und Zuschauer als sonst kommen. Und ich möchte den Ablauf für die anderen Stadtbachfischer, die teilweise schon seit Jahrzehnten an derselben Stelle neijucken, nicht stören.

Laut Fischertagsverein hat sich für dieses Jahr keine weitere Frau für den Fischertag angemeldet. Finden Sie das schade?

Renz: Ich finde es verständlich, denn die Beachtung möchte im Moment niemand haben. Frauen würden sich eventuell doch noch einem Spießrutenlauf aussetzen. Ich denke, dass viele Frauen abwarten werden, wie es jetzt läuft, und ich hoffe, dass in fünf bis zehn Jahren kein Hahn mehr danach kräht. Sind es dann nur zwei Frauen, die neijucken, ist es gut. Und wenn es außer mir keine mehr ist, ist es auch okay. Aber wenn es eine möchte, soll sie es dürfen.

Ihr Weg bis zum Urteil war also nicht umsonst?

Renz: Nein, denn ich darf ja jetzt.

Sind Sie aufgeregt? Das öffentliche Interesse ist nach dem Gerichtsurteil im vergangenen Jahr ja ziemlich hoch.

Renz: Wegen des Ausfischens selbst bin ich nicht aufgeregt. Das können sechsjährige Buben, also warum ich nicht? Dass ich eine Forelle fange, ist an meiner geplanten Fischertagsstelle eher unwahrscheinlich. Aber alle dürfen mir natürlich Glück wünschen.

Es werden viele Medienvertreter erwartet, darunter Fernsehteams, die berichten möchten, wie Sie neijucken. Stört Sie so viel Aufmerksamkeit? Oder sehen Sie es als Chance, dass Ihre Forderung nach Gleichberechtigung so viele Menschen wie möglich erreicht?

Renz: Als Signal dafür, dass Menschen für ihre Rechte einstehen müssen, finde ich es extrem wichtig, dass es diese Aufmerksamkeit gibt – sogar weltweit. Ich will, dass Frauen und Mädchen und auch allen anderen Geschlechtern klar wird, dass sie alles dürfen, was sie möchten – im Rahmen der Gesetze natürlich. Und es ist wichtig, klarzumachen, dass auch ein Verein nicht diskriminieren darf.

Das Urteil wurde weltweit bekannt?

Renz: Ja, es wurde in Australien über den Fall berichtet, in den USA, einem kanadischen Radiosender habe ich ein Interview gegeben. In Deutschland war es nicht nur in den Medien ein Thema, sondern zum Beispiel auch in einer Jura-Klausur und in einem Kurs über PR an einer Berufsakademie.

Wie waren nach dem Urteil die Reaktionen der Menschen in Memmingen?

Renz: Die meisten Menschen, die mich auf der Straße erkennen und ansprechen, beglückwünschen mich. Es gab auch einige, die mir sagten, sie seien zu Beginn dagegen gewesen, dass Frauen in den Stadtbach jucken dürfen. Doch in Diskussionen mit ihren Töchtern, mit ihren Frauen, sei ihnen klar geworden, dass dies ein Mangel an Gleichberechtigung und nicht mehr zeitgemäß ist.

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Sie sind auch von einigen Frauen kritisiert worden. Zu hören war zum Beispiel, dass Sie den Männern diese Tradition lassen sollten und dass Frauen nicht überall dabei sein müssen. Was sagen Sie diesen Kritikerinnen?

Renz: Gleichberechtigung nimmt niemandem etwas weg, sondern sie gibt einem Teil der Menschheit die gleichen Rechte, die andere schon für sich beanspruchen. Die Männer haben immer noch die gleiche Tradition, sie dürfen neijucken, und ich nehme ihnen nichts weg. Wir sind nicht mehr im Kindergarten, wo im Sandkasten nur die Jungs mit den Baggern spielen dürfen, sondern die Mädchen genauso. Und ich nehme nicht einem Jungen den Bagger weg, wenn ich spielen will, sondern ich habe meinen eigenen Bagger, mit dem ich im selben Sandkasten spielen darf.

Kennen Sie Frauen, die es so sehen, dass Ihr Geschlecht in manchen von Männern dominierten Bereichen nichts verloren hat?

Renz: Ja. Die haben sich in ihrer traditionellen Rolle zurechtgefunden. Das ist für sie in Ordnung. Und das gestehe ich denen auch zu. Jede und jeder darf glücklich werden, wie sie und er will. Ich finde es aber genauso okay, wenn ein Mann Weinkönig wird. Es darf einfach nicht mehr nach Geschlecht definiert werden, ob jemand einer bestimmten Tätigkeit nachgehen darf oder nicht. Eigentlich darf das mit dem Grundgesetzartikel 3 auch nicht mehr so sein. Darin steht unter anderem, dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Aber es ist noch nicht in der Realität angekommen.

In Artikel 3 steht auch: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Hätten Sie sich von offiziellen Gremien wie dem Stadtrat mehr Unterstützung gewünscht?

Renz: Ich habe versucht, Rückhalt zu bekommen von fast allen Stadtratsfraktionen – in der Stadt der Freiheitsrechte, die gegen Diskriminierung angehen will. Die einzigen, die sich wirklich von Anfang an offiziell dazu bekannt haben, waren die Linken.

Das Programm des Fischertags Memmingen 2022 finden Sie hier.

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