Die Vierschanzentournee hat in 70 Jahren viele Geschichten geschrieben: außergewöhnlich schöne, aber auch außergewöhnlich dramatische. Beim Auftaktspringen 2021 in Oberstdorf kann ein neuer wieder ein neuer Held oder ein tragischer Verlierer geboren werden - wir blicken auf einen, der ein einst ganz besonders emotionales Kapitel in der Tournee-Historie aufgeschlagen hat: der Österreicher Thomas Diethart, der zuletzt ein Jahr lang in Oberstdorf als Trainer arbeitete.
Als würde ein Ostfriese in Deutschland zu den Topskispringern gehören, sorgte der Niederösterreicher aus Tulln an der Donau als 19-Jähriger in der Alpenrepublik und darüber hinaus für Schlagzeilen. Bei der Vierschanzentournee 2013/14 war ihm nach Platz drei in Oberstdorf beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen der erste Weltcup-Sieg gelungen. Wie Phoenix aus der Asche triumphierte Diethart (nach einem fünften Rang in Innsbruck) auch in Bischofshofen und reihte sich in die kurze Liste der Sensationssieger ein.

Thomas Diethart: Schwere Verletzung beim Sturz 2016
In der Weltspitze behaupten konnte sich der für seine enorme Sprungkraft bekannt gewordene Diethart, Spitzname Diddl, aber nicht. Von den österreichischen Boulevardmedien wurde der Flachland-Tiroler zwischenzeitlich schon in die Schublade der gerupften ÖSV-Adler gelegt. Doch der wahre Absturz sollte erst noch kommen. Im Februar 2016 stürzte Diethart beim Conti-Cup in Brotterode (Thüringen) heftig und erlitt schwere Gesichtsverletzungen sowie Prellungen an der Wirbelsäule, an der Lunge und an der Niere. Geruchs- und Geschmackssinn waren fortan verschwunden.
Anderthalb Jahre später folgte beim Training in Ramsau am Dachstein der nächste Horror-Sturz mit schwerer Gehirnerschütterung und einer starken Lungenquetschung. Mit nur 26 Jahren beendete Diethart im April 2018 seine aktive Karriere – aus gesundheitlichen Gründen, hieß es damals in der Pressemitteilung des ÖSV. Später, als Diethart auch im Kinofilm „The Big Jump“ eine tragende Rolle spielte, gestand er: „Angst spielte eine ganz große Rolle. Vor allem in den letzten zwei Jahren meiner Karriere hatte ich vor jedem Sprung relativ viel Angst.“

Diethart machte eine Trainer-Ausbildung, arbeitete als Coach beim Tiroler Skiverband und dem Nordic Team Absam und wechselte im Sommer 2020 als Assistenztrainer für die Lehrgangsgruppe 2b des Deutschen Skiverbands an den Stützpunkt Oberstdorf. Dort nahm er sich eine Wohnung, fühlte sich als Pendler zwischen Innsbruck und dem Oberallgäu aber nie so richtig wohl und kehrte dem DSV den Rücken, vielleicht auch weil die Oberstdorfer Mattenschanzen ohnehin den ganzen Sommer über wegen zu großem Sturzrisiko gesperrt werden mussten.
Trotz seiner vielen negativen Erfahrungen ließ Diethart das Skispringen nicht los. Die Angst schien plötzlich wieder überwunden. Im Mai letzten Jahres verkündete der heute 29-Jährige, er wolle zum aktiven Skispringen zurückkehren. Der Österreichische Skiverband ermöglichte ihm am Stützpunkt Innsbruck das Training, verlangte aus Sicherheitsgründen aber ein ärztliches Attest und schloss jegliche Haftung aus. Diethart müsse auf eigenes Risiko springen.
Siebeneinhalb Jahre nach dem Triumph siegt Diethart noch einmal
Und der Niederösterreicher tat einmal mehr das, für das er berühmt wurde. Nach nur drei Monaten Training stieg Diethart beim drittklassigen Fis-Cup-Springen im schweizerischen Einsiedeln die Schanze hoch, ließ die internationale Konkurrenz alt aussehen und fand sich auf Anhieb auf dem Siegerpodest wieder. Siebeneinhalb Jahre nach dem sensationellen Tourneesieg schlug der Diethartsche Seismograf erneut ganz nach oben aus.
Sprunghaftes Springer-Leben
Doch der Österreicher gibt seinem „sprunghaften“ Leben eine weitere Wendung. Kurz vor Weihnachten gibt er bekannt, er werde seine Karriere nun endgültig beenden und Co-Trainer der österreichischen Frauen werden. „Für mich war mein Comeback im Sommer wichtig, um mit dem Skispringen als Aktiver wirklich abschließen zu können. Außerdem war es ein Lernprozess. Ich konnte mich dadurch sprungtechnisch wieder auf den neuesten Stand bringen.“ Diethart muss sich einmal mehr neu erfinden. Aber das kann er ja ...