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Exklusive Steuerdaten: So hart leidet Bayerns Mittelstand unter der Rezession

Datev-Mittelstandsindex

So leidet Bayerns Mittelstand unter der Rezession

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    Die Debatten um aussterbende Fußgängerzonen sind ein Symptom der Krise des Mittelstands.
    Die Debatten um aussterbende Fußgängerzonen sind ein Symptom der Krise des Mittelstands. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Der Jahrzehnte alte Lampenladen, die Traditionsbuchhandlung, das Modehaus, der Bäcker um die Ecke oder die Baufirma am Ortsrand: Immer mehr altgediente Geschäfte und Betriebe verschwinden aus dem Bild der bayerischen Städte und Dörfer. Seit dem starken Anstieg der Energiepreise und der Inflation in den vergangenen Jahren erleben insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe in vielen Branchen auch in Bayern eine harte Krise, die weit über den üblichen Strukturwandel hinausgeht. Während die Gesamtwirtschaft in den Jahren 2023 und 2024 um 0,3 und 0,2 Prozent schrumpfte, brachen die Umsätze der Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern im Schnitt mehr als 30-mal so stark ein.

    Umsätze von Bayerns Mittelstand sind seit 2022 um sieben Prozent eingebrochen

    „Unsere Daten zeigen, dass die Umsätze rund sieben Prozent unter dem Niveau von 2022 liegen“, sagt der Chefvolkswirt Timm Bönke von der Firma Datev. Der Nürnberger Softwarespezialist ist eine Genossenschaft, hinter der die allermeisten deutschen Steuerberater als Mitglieder stehen. Über die Datev und deren Mitglieder laufen die Bilanzen von 2,8 Millionen kleinen und mittleren Betrieben in Deutschland, das sind über 80 Prozent aller in der Bundesrepublik registrierten Firmen. Seit September ermittelt das Unternehmen aus seinem gigantischen Daten-Fundus anonymisiert seinen „Datev Mittelstandsindex“ als Wirtschaftsbarometer. Die Zahlen erschrecken selbst Fachleute.

    „Man kann die Daten so interpretieren, dass die Gesamtheit der kleineren und mittleren Betriebe tief in der Rezession gesteckt hat und sich inzwischen deutlich schlechter als die Gesamtwirtschaft entwickelt“, sagt Chefvolkswirt Bönke. „Der Bruch kam im Jahr 2023. Zuvor gab es noch eine Erholung nach Corona. Doch dann folgten Energiekrise, Inflation und Unsicherheit – das hat die Gesamtwirtschaft gerade noch mitgetragen. Aber danach brach die Entwicklung im Mittelstand deutlich ein.“

    Der stationäre Handel erlebt kaum noch ein Weihnachtsgeschäft

    Besonders leiden der Einzelhandel, die Gastronomie und die Bauwirtschaft. Aus den Datev-Daten kann man ablesen, dass der mittelständische Einzelhandel das letzte Mal im Jahr 2021 ein richtiges Weihnachtsgeschäft mit einem großen Ausschlag der Umsatzkurve erlebt hat. In den vergangenen drei Jahren waren die Umsätze der kleineren und mittelgroßen Geschäfte vor Weihnachten ähnlich schlecht wie im Sommer.

    Die großen Umsätze machen mittlerweile Online-Händler und Elektronikketten. Der Gesamtumsatz des Handels inklusive der Großen kletterte im Weihnachtsgeschäft seit Corona um über 15 Prozent. Doch der stationäre Handel hat immer weniger davon. Einzig in Innenstädten mit großen Weihnachtsmärkten fällt die Entwicklung weniger heftig aus. Doch insgesamt zeigt sich die Krise immer deutlicher. „Seit zwei Jahren werden die Diskussionen über aussterbende Fußgängerzonen wieder laut“, erklärt Chefvolkswirt Bönke. Klassische Modegeschäfte oder Boutiquen verlieren massiv. Auch viele Bio-Lebensmittelhändler oder Unverpackt-Läden hätten Existenzprobleme.

    Die Konsumenten seien preissensibler geworden, viele Trends der Wohlstandsjahre verschwinden wieder, erläutert der Experte. Die Daten zeigen zum Beispiel auch, dass immer mehr Bäckereien angesichts der stark gestiegenen Energie- und Lohnkosten aufgeben. „Viele Menschen kaufen ihre Brötchen billiger im Supermarkt, weil Backfabriken und Handelsketten die gestiegenen Grundkosten besser wegstecken können“, sagt Bönke.

    Höhere Mehrwertsteuer ließ Gastroumsätze um 20 Prozent einbrechen

    Auch in der Gastronomie zeigt sich, dass die Umsätze der großen Schnellimbissketten stabil bleiben und sogar leicht zulegen. Dagegen mussten klassische Restaurants und Gaststätten den Daten zufolge insgesamt Umsatzeinbußen von rund 20 Prozent hinnehmen, nachdem 2024 die Umsatzsteuer wieder von sieben auf 19 Prozent erhöht wurde. „Das zeigt, dass die Gastronomie die gestiegenen Preise nicht einfach an die Gäste weitergeben konnte“, sagt Bönke. „Zugleich sind auch die Kosten für Lebensmittel, Energie und Personal in der Gastro besonders stark gestiegen“, fügt er hinzu. „Wenn die Preise zu hoch werden, bleiben die Gäste weg.“ Die neue Bundesregierung will den Steuersatz zum Jahreswechsel wieder senken. Dieses Mal dauerhaft.

    Ein weiterer Sorgenfall ist die Baubranche, die für ein Sechstel der Umsätze des Mittelstands verantwortlich ist. Die Volumen der Bauaufträge gehen seit vielen Monaten zurück, gleichzeitig sind die Kosten massiv gestiegen. Wie fast der gesamte Mittelstand leidet die Bauwirtschaft zudem unter dem Fachkräftemangel. Inzwischen würden ausländische Fachkräfte statt in Deutschland mitunter lieber in Nachbarländern wie Polen arbeiten, wo die Baubranche boome, sagt Bönke.

    Erstmals seit Corona baut der Mittelstand deutlich Arbeitsplätze ab

    Bedenklich sei, dass in den kleinen und mittelständischen Unternehmen erstmals seit Jahren deutlich Stellen abgebaut werden. Nicht alle der Betroffenen würden von Großunternehmen aufgesogen, sondern landeten teils auch in der Arbeitslosigkeit. Rund 55 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten in kleinsten, kleinen oder mittelgroßen Betrieben. „Wenn bei einem Konzern wie VW Stellen wegfallen, steht das sofort in der Zeitung. Wenn aber landauf, landab der Bäcker, der Metzger, das kleine Bauunternehmen Arbeitsplätze abbaut, passiert das lautlos – aber mit viel größerer Wirkung“, betont Bönke. In Summe entstehe dadurch ein massiver Strukturwandel, der vor allem für ländliche Regionen zum Risiko werden kann. Wenn ein Betrieb im ländlichen Raum verschwindet, sind die Arbeitsplätze sehr oft dauerhaft verloren, weil kein neues Unternehmen nachkommt.

    Betrachtet man die sinkenden Umsätze und den Beschäftigungsabbau, trifft die Krise der Kleinen Bayern härter als etwa Baden-Württemberg, Niedersachsen oder Hessen. „Bayern hat traditionell eine starke Wirtschaft, international ausgerichtet, technologieaffin – gerade München ist ein Hotspot“, sagt Bönke. „Aber genau diese Stärken sind derzeit auch Schwächen: Die internationale Unsicherheit trifft Bayern besonders hart.“ Auch schlagen die hohen Energiepreise beim in Bayern stark vertretenen verarbeitenden Gewerbe besonders durch. „Gleichzeitig sehen wir in Bereichen wie IT und anderen Start-ups überdurchschnittliches Wachstum“, sagt Bönke. Bayern bleibe insgesamt stark, aber die Anpassungsschmerzen an den Strukturwandel seien inzwischen auch im Freistaat spürbar.

    Bayerische IHK sieht Bürokratie als größtes Mittelstandsproblem

    „Die kleinen und mittleren Betriebe sind das Rückgrat der deutschen wie auch der bayerischen Wirtschaft“, betont der Hauptgeschäftsführer der Bayerischen Industrie- und Handelskammer, Manfred Gößl. „In der Praxis haben die meisten Mittelständler weniger als 20 Beschäftigte“, erklärt er. „Gerade die kleinen und mittleren Betriebe – egal welcher Branche – sind die größten Leidtragenden der zunehmenden Bürokratieflut“, kritisiert Gößl. „Was in Großkonzernen eigene Stäbe erledigen, muss im Mittelstand zusätzlich zur regulären Aufgabe von den Beschäftigten mitgestemmt werden: Nachweis- und Berichtspflichten, Beauftragte für verschiedenste Themen – der Leiterbeauftragte ist nur ein Beispiel – und Weiterbildungsnachweise.“

    Die Bürokratie sei für die Betriebe inzwischen eines der größten Probleme und hemme das Wachstum. „Viele der Betriebe können die in den letzten Jahren völlig ausgeuferten Regelungen aber gar nicht mehr bis ins Detail kennen oder rechtlich korrekt einschätzen. Deswegen müssen sie immer häufiger Beratung bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern, Anwälten oder Auditoren einkaufen.“ Das treibe die kleinen und mittleren Betriebe in eine Kostenspirale. „Zusammen mit den international nicht wettbewerbsfähigen Energiekosten und der hohen Steuerlast in Deutschland führt der geballte Kostendruck dazu, dass weniger investiert wird, frei werdende Arbeitsplätze nicht nachbesetzt werden und der Frust zunimmt“, warnt Gößl. Die Alarmglocken müssten nun laut schrillen.

    Aiwanger fordert grundlegenden Menatlitätswechsel in Bundespolitik

    Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fordert von der Bundesregierung einen Kurswechsel: „Um den Bürokratieabbau voranzubringen, brauchen wir ein grundsätzlich anderes Politikverständnis“, sagte der Freie-Wähler-Chef unserer Redaktion. „Wir müssen uns von einer Vollkasko-Mentalität verabschieden, die alles regeln und sichern will.“ Jede gesetzliche Berichtspflicht sei ein Misstrauensvotum gegenüber den Firmen. „Die Unternehmen stehen derzeit unter massivem Kostendruck“, warnt Aiwanger.

    „Handwerk, Handel, Gastronomie und auch der Privathaushalt müssen dringend entlastet werden“, fordert er eine Senkung der Stromsteuer. „Im Privathaushalt wäre die Entlastung dreistellig, im Mittelstand vier- bis fünfstellig pro Jahr, das würde die Wirtschaft in der Breite ankurbeln“, betont Aiwanger. „Es ist ein schwerer Fehler, dieses Signal jetzt nicht zu senden und steigert den Frust in der Wirtschaft und Bevölkerung“, kritisiert er, dass die Bundesregierung trotz ihrer Versprechen im Koalitionsvertrag vorerst nur die Industrie bei den Strompreisen entlasten will.

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