Der Sommerwind streicht über das hohe Gras, hinter der Wiese erstreckt sich ein lichtes Wäldchen, das zum Beeren- und Pilzesammeln einlädt. Das kleine Areal bei Haselmühl in der Oberpfalz mutet idyllisch an. Nichts verrät, dass es sich um einen der gefährlichsten FSME-Hotspots Deutschlands handelt. Was ist das Besondere an diesem Ort? Diesem Geheimnis versuchen die Zeckenforscher Gerhard Dobler und Lidia Chitimia-Dobler auf die Spur zu kommen. Dobler leitet das Nationale Referenzlabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, seine Frau arbeitet am Fraunhofer-Institut für Immunologie, Infektions- und Pandemieforschung in München/Penzberg.
Zahl der Borreliose-Fälle steigt in Bayern deutlich
Die Zahl der durch Zecken übertragenen Lyme-Borreliose-Fälle ist nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums im Freistaat im laufenden Jahr deutlich gestiegen. Auch zahlreiche Fälle der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), bekannt auch als Hirnhautentzündung, wurden demnach gemeldet. Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine FSME-Impfung für alle, die sich in einem Risikogebiet aufhalten - dazu zähle mittlerweile nahezu ganz Bayern.
Im Zentrum der Spurensuche von Gerhard Dobler und Lidia Chitimia-Dobler steht genau das gefürchtete FSME-Virus, das während des Kalten Krieges sogar auf seine Eignung als B-Kampfstoff erforscht wurde. Sind Zecken mit diesem Erreger infiziert, können sie ihn beim Stechen übertragen. Dann kann die Frühsommer-Meningoenzephalitis ausbrechen, die in manchen Fällen schwer, vereinzelt sogar tödlich verläuft.
Dobler und seine Frau sind stets auf der Hut vor den Parasiten: Beide tragen dicke Stiefel, in die sie ihre Hosen gesteckt und mit Kreppband umwickelt haben. So ausgestattet, begeben sie sich am Waldrand auf die Pirsch, indem sie große, weiße Tücher hinter sich herziehen. An den groben Fasern klammern sich die Zecken fest, die in Gras und Gebüsch lauern. Die Jagdgründe der Doblers sind klar getrennt: Lidia Chitimia sammelt zur Wiese hin, ihr Mann im Wald. Tatsächlich unterscheiden sich die FSME-Viren je nach Fundort der Zecke: „Wir haben festgestellt, dass in Wald und Wiese verschiedene genetische Linien des Virus vorkommen“, sagt Gerhard Dobler. Womit das zusammenhängt, ist unklar. Möglicherweise könnten die verschiedenen Viren sogar unterschiedliche Symptome auslösen.
Mäuse spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung der Parasiten
Schon nach wenigen Metern finden sich ein paar schwarze Pünktchen auf dem Laken, die sich bei näherem Hinsehen als Zecken in verschiedenen Entwicklungsstadien entpuppen. Die Tiere werden per Pinzette in ein Röhrchen gefüllt, um sie später im Labor in München auf FSME zu untersuchen. Dobler bleibt vor einem Brombeerstrauch stehen, der kniehoch am Waldrand wuchert: Hier ist die Wahrscheinlichkeit, auf infizierte Zecken zu stoßen, besonders groß, erklärt er. „In den Brombeersträuchern finden Mäuse Nahrung und Schutz.“ Die Nagetiere, die oft von Zecken befallen werden, spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des Virus: Infizierte Zecken übertragen das Virus auf die Mäuse, die es wiederum an nicht-infizierte Zecken weitergeben. So zirkuliert der Erreger zwischen Mäusen und Zecken. Menschen zu infizieren, ist für das Virus dagegen eine biologische Sackgasse, da sie es nicht weitergeben können. Aber was hat es mit den Mäusen bei Haselmühl auf sich? „Wir haben hier Superspreader entdeckt“, berichtet Dobler. „Eine infizierte Maus hatte 80 Zecken. Das sind 20-mal so viele wie üblich.“ Die Infektion löst bei Mäusen offenbar Veränderungen aus, die Zecken anziehen. „Ist es eine erhöhte Temperatur? Oder besondere Duftstoffe? Das wissen wir nicht.“
Möglicherweise könnte es in naher Zukunft Antworten darauf geben, welche Faktoren für einen FSME-Hotspot charakteristisch sind. Wenn alles gutgeht, startet im kommenden Jahr das Projekt „Habitrack“, mit dem sich FSME-Areale besser kennzeichnen lassen sollen. Der Finanzierungsantrag liegt derzeit noch beim Bundesforschungsministerium, ist aber laut Dobler bereits zur Förderung empfohlen. Geplant ist, die Areale von 50 FSME-Hotspots in Süddeutschland per Satellitenaufnahmen zu erfassen und anhand bestimmter Parameter miteinander zu vergleichen. „Es geht zum Beispiel um die Oberflächentemperatur oder die Feuchtigkeit in der Erde. Die Frage ist: Was kommt signifikant häufig vor?“, sagt Dobler.
Anhand der Daten soll ein Modell erarbeitet werden, das die Wahrscheinlichkeit einer hohen FSME-Durchseuchung anzeigt. Wie gut es funktioniert, wird im Landkreis Amberg getestet, wo das Virus besonders häufig vorkommt. Im Idealfall lässt sich mit dem Modell zeigen, in welchen Gebieten das FSME-Risiko besonders hoch ist, sodass sich Menschen besser schützen können.
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