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Sorgen um Herzinfarkt-Versorgung: Experte klärt über bayerische Kliniklage auf

Interview

„Die Sorge, dass man mit einem Herzinfarkt nicht gut versorgt wird, ist unberechtigt“

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    „Der Rettungsdienst steuert eigentlich keine kleinen Krankenhäuser an, wenn er einen Schlaganfallpatienten transportiert“, sagt Roland Engehausen, der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft.
    „Der Rettungsdienst steuert eigentlich keine kleinen Krankenhäuser an, wenn er einen Schlaganfallpatienten transportiert“, sagt Roland Engehausen, der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Herr Engehausen, wie ist es denn um die Kliniken in Bayern bestellt? Man hört ja allenthalben nur Hiobsbotschaften. Die einen müssen schließen, andere melden Insolvenz an, fast alle ächzen unter horrenden Defiziten...
    ROLAND ENGEHAUSEN: Acht von zehn Krankenhäusern machen in Bayern Defizite. Das ist eine ganz andere Situation als noch vor zehn Jahren. Da waren es zwei von zehn. Es hat sich also einiges verändert, Defizite sind mittlerweile Normalität geworden. Krankenhäuser müssen natürlich keine Gewinne machen, aber selbst für einen kommunalen Träger wird es irgendwann schwierig, wenn es regelmäßig Defizite gibt, denn die müssen ja durch den Kommunalhaushalt ausgeglichen werden. Das geht etwa zu Lasten von Kitas und führt dazu, dass die Leistungsfähigkeit eines Landkreises komplett überschritten wird und es dann zu einem Schutzschirmverfahren kommen kann, wie aktuell im Landkreis Dillingen.

    Warum hat sich die Lage denn so verschärft?
    ENGEHAUSEN: Das liegt an zwei Dingen, die gleichzeitig aufgetreten sind. Einerseits haben wir durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine Phase der hohen Inflation erlebt. In dieser Zeit sind die Erlöse der Kliniken nicht in dem Maße gestiegen wie die Kosten. Diesen Effekt schleppen wir seither mit. Die Kliniken hatten vorher eine schwarze Null, daraus wurde nun ein Defizit. Bei einem durchschnittlichen kommunalen Krankenhaus liegt dieses Defizit schnell mal bei zehn Millionen Euro pro Jahr. Der zweite Aspekt ist genauso wichtig – und leider typisch deutsch. Wir haben in den Kliniken aus gutgemeinten Gründen zur Patientensicherheit oder zum Schutz der Mitarbeitenden die Kostenstrukturen für eine normale Behandlung immer weiter erhöht. Etwa durch sehr starre Pflegepersonaluntergrenzen und Dokumentationsvorschriften. Es nehmen auch die Spezialisierungsvorgaben bei den Ärzten zu.

    Das hört sich erstmal nicht schlecht an, dass Ärzte spezialisiert sein müssen…
    ENGEHAUSEN: Wenn für eine ganz normale, alltägliche Behandlung wie ein Oberschenkelhalsbruch immer höhere orthopädische und geriatrische Facharztvorgaben gelten, dann muss man berücksichtigen, dass bei einem fertig ausgebildeten Facharzt als Oberarzt mit doppelter Gehaltssumme zu rechnen ist wie bei einem Assistenzarzt, der sich noch in der fachärztlichen Weiterbildung befindet. Diese ganzen Auflagen führen dazu, dass die Aufwände teurer wurden – aber ohne, dass es höhere Erlöse gab. Wir brauchen da ein Umdenken.

    In welche Richtung?
    ENGEHAUSEN: Wir wollen natürlich einen hohen Standard in der Versorgung haben. Wir glauben aber, dass es viel klüger wäre, wenn Krankenhäuser künftig stärker am Ergebnis der Versorgung gemessen würden und nicht danach, dass möglichst viele hoch bezahlte Spezialisten mit Abschluss aller Fachweiterbildungen die Versorgung machen. Auch unsere jüngeren Ärzte sind bereits hervorragend ausgebildet. Es muss darum gehen, wie das Team zusammenarbeitet. Denn man muss doch realistisch sein: Es ist weder möglich noch nötig, dass in jedem Fall der Spezialist mit der höchsten Qualifikation die Behandlung durchführt. Die Sozialversicherungsbeiträge können ja nicht unendlich steigen. Und wir können auch nicht sagen, dass jemand, der ein Krankenhaus betreibt, immer nochmal selber Geld mitbringen muss. Krankenhäuser bräuchten mehr Spielraum, die vorhandenen Mitarbeitenden danach einzusetzen, was zu tun ist und wer was gut kann. Und nicht danach, was im Gesetz als Qualifikation auf dem Papier vorgegeben ist. Das macht es so teuer.

    Was erhoffen Sie sich denn von der neuen Bundesregierung?
    ENGEHAUSEN: Ich erwarte, dass den Worten Taten folgen. Wenn das umgesetzt wird, was im Koalitionsvertrag steht, sind wir zufrieden. Es geht um drei wesentliche Punkte. Erstens: Für die existierende enorme Unterfinanzierung soll es eine Brückenfinanzierung geben, also einen kleinen Sofortausgleich. Das hilft uns, in diesem Reformprozess, wo in den Kliniken ja jeder Stein umgedreht wird, überhaupt eine Basis zu haben. Zweitens: Bei der Krankenhausreform sollen die handwerklichen Fehler nachgesteuert werden. Bis Sommer sollen Änderungsvorschläge auf dem Tisch liegen. Drittens: Der Bürokratieabbau soll endlich vorwärts kommen. Damit schaffen wir es hoffentlich längerfristig, die stationäre Krankenhausversorgung wirtschaftlicher zu machen.

    Hilft es, wenn sich kleine Häuser vernetzen? Auch über Landkreisgrenzen hinweg?
    ENGEHAUSEN: Ja, das halte ich für absolut richtig und sinnvoll. Das muss nicht nur in Fusionen stattfinden, das kann etwa auch eine Zusammenarbeit in der IT sein. Bei einer Kooperation eines kleinen Hauses mit einem Maximalversorger kann dann auch ein Spezialist über eine Videoschalte in eine Behandlung eingebunden werden. Diese telemedizinischen Netze, die in Bayern in der Schlaganfallversorgung schon sehr gut funktionieren, wollen wir unbedingt ausbauen.

    Stichwort Schlaganfall: Viele Menschen sorgen sich, dass gerade bei solchen Notfällen die Wege weiter werden, wenn es Klinikverbünde gibt oder Standorte ganz geschlossen werden.
    ENGEHAUSEN: Die Sorge, dass man mit einem Schlaganfall oder Herzinfarkt oder nach einem schweren Unfall nicht gut versorgt wird, ist unberechtigt. Es wird zwar vielleicht etwas weitere Wege geben, aber da sind die Versorgungsketten sowieso so, dass es wichtig ist, schnell in das richtige Krankenhaus zu kommen. Der Rettungsdienst steuert eigentlich keine kleinen Krankenhäuser an, wenn er einen Schlaganfallpatienten transportiert. Auch heute werden in der Regel schon die größeren Krankenhäuser angefahren, die eine erweiterte Notfallstufe haben und zum Beispiel bei schweren Unfällen mit einem speziellen Traumazentrum ausgestattet sind. Es ist bereits heute etabliert, in solchen Fällen innerhalb von 40 Minuten so ein dafür besonders ausgestattetes Krankenhaus zu erreichen. Wichtig für den Rettungsdienst ist aber, die weniger komplizierten Notfälle möglichst schnell in ein geeignetes Haus fahren zu können, um lange Fahrwege zu sparen. Deshalb ist auch die flächendeckende stationäre Notfallversorgung für den Rettungsdienst wichtig.

    Und wenn ich mit einer Verletzung in die Notaufnahme will?
    ENGEHAUSEN: Da wird es sehr wahrscheinlich Einschnitte geben. Also bei den kurzen Wegen zu Kliniken, in die ein Patient ohne Rettungsdienst fährt nach einem Sturz beim Fußballspiel oder einer Schnittwunde mit dem Küchenmesser. Das sind keine lebensbedrohlichen Erkrankungen, und da wird es künftig tatsächlich nicht mehr so sein, dass man damit überall innerhalb von 20 Minuten in ein Krankenhaus gehen kann. Man muss aber auch sagen: Oft gehören solche Fälle gar nicht in eine Klinik. Die ambulante Notfallversorgung liegt in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung. Aber eine Arztpraxis hat eben nicht rund um die Uhr auf, deswegen hat es sich so etabliert, dass man ins Krankenhaus fährt. Aber eine Notfallreform soll dies nun besser organisieren. Unter anderem soll es eine digitale Ersteinschätzung geben. Das macht oft mehr Sinn, als in die Notaufnahme zu fahren und dort sechs Stunden zu warten. In den Krankenhäusern benötigen wir die Kapazitäten der Notaufnahme vorrangig für die Patienten, die auch stationär versorgt werden müssen.

    Zur Person: Roland Engehausen, Betriebs- und Volkswirt, ist seit Ende 2020 Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft.

    Roland Engehausen sagt: „Acht von zehn Krankenhäusern machen in Bayern Defizite.“
    Roland Engehausen sagt: „Acht von zehn Krankenhäusern machen in Bayern Defizite.“ Foto: Bayerische Krankenhausgesellschaft
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