
Schon ein kleiner Biss reicht. Der Geschmack von Gelbem Enzian lässt die meisten erschaudern. Die Wurzeln der Gebirgspflanze sind extrem bitter. Genau deshalb werden ihr eine Reihe positiver Wirkungen nachgesagt. Enzianwurzeln helfen bei Beschwerden wie Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Blähungen oder Gallenstörungen. Darüber hinaus wird aus ihr eine uralte Spezialität gewonnen: Bayerischer Gebirgsenzian. Ein klarer Schnaps mit einem Alkoholgehalt von 40 Prozent, der ausschließlich aus Enzianwurzeln hergestellt werden darf, die in den bayerischen Alpen oder dem Alpenvorland angebaut werden. Nur noch fünf bis zehn Enzianbrennereien gibt es laut Schätzung des Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie im Freistaat. Jetzt kommt eine neue hinzu! Markur Würz, Braumeister bei Zötler in Rettenberg, wagt das Experiment.

Deshalb bricht er an diesem Morgen mit sieben Kumpels zur knapp 1.300 Meter hoch gelegenen Petersalp bei Oberstdorf auf. Die Männer sind mit Enzian-Pickeln "bewaffnet", die sie bei einem Schmied aus Burgberg nach historischem Vorbild anfertigen ließen. Der Tatendrang ist groß: "Gebirgsenzian ist die Königsklasse. Ein super Schnaps und ein bayerisches Kulturgut obendrein. Das wird harte Arbeit. Aber wir hoffen auf ein tolles Ergebnis", sagt Markus Würz, der seit zehn Jahren ein so genanntes Brennrecht besitzt und Obstschnäpse herstellt. Mit seinem Kompagnon Andi Haberstock von der Hörbar in Oberstdorf will er nun erstmals Gebirgsenzian herstellen.

Umso größer war die Freude, als ihm die Untere Naturschutzbehörde in Augsburg ein Stech-Recht bewilligte. Gelber Enzian steht in Deutschland unter Naturschutz. Da die Pflanze jedoch reichlich verwehbare Samen produziert, kann sie unter bestimmten Bedingungen auf Weideflächen auch zur Plage werden. Genau das ist auf den Hängen rund um die Petersalp der Fall. Dutzende aufrechte Enzian-Stängel ragen bis zu 1,5 Meter aus dem Boden. Im Gegensatz zum kleingewachsenen blauen Enzian, der nicht zur Schnapsgewinnung taugt (auch wenn dies manches Etikett suggeriert), überragt der Gelbe Enzian die meisten Pflanzen auf der Bergwiese. "Das Vieh grast drumerherum. Dem ist der Gelbe Enzian zu bitter", erklärt Älpler Wolfgang Dallmeier. Er ist froh, dass sich die Männer-Truppe um Markus Würz die mühsame Arbeit antut und zur "Wurzelbehandlung" ausrückt.
Maximal 200 Kilo dürfen entnommen werden
Viel Kraft ist nötig, um die teils armdicken Wurzeln am Steilhang in Nordwestlage aus dem Boden zu graben. "Wir holen immer nur einen Teil raus, damit die Pflanze sich erholen kan. In etwa sechs Jahren blüht sie wieder", erklärt Markus Würz. Die Genehmigung ist an strenge Auflagen gebunden: Maximal 200 Kilo Wurzeln darf Würz pro Jahr aus einem 100 Hektar großen Gebiet im Rappenalptal entnehmen. Erst wenn Blüten und Blätter im Spätsommer verdorrt sind, darf er ausrücken. Das Kontigent ist nach einem Stechtag zur Hälfte erreicht. In Strohsäcken transportieren die Männer die Wurzeln ins Tal. Jetzt beginnt der komplizierte Teil der Arbeit.
Die Wurzeln werden gesäubert, geschält und gehäckselt. Danach kommen Apfelmaische und Hefe hinzu. Mehrere Wochen gärt das Ganze, ehe das Schnapsbrennen beginnt: Durch Destillation wird Alkohol aus der Maische abgetrennt. "Ich bin wahnsinnig gespannt, wie unser erster Jahrgang schmeckt", sagt Markus Würz. Mit dem Verkauf hat er es allerdings nicht eilig. Sein Gebigsenzian soll mindestens zwei Jahre in einem Holzfass reifen. Die harte Arbeit soll schließlich veredelt werden.
