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Steinböcke im Allgäu: Wie eine Rudel der seltenen Wildtiere unterhalb der Mädelegabel lebt

Fotos von Steinböcken

Steinböcke im Allgäu: Wie eine Rudel der seltenen Wildtiere unterhalb der Mädelegabel lebt

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    Grenzgänger-Weg: Bei der Mehrtagestour in den Allgäuer Alpen begegnen Wanderern mit etwas Glück auch Steinböcken.
    Grenzgänger-Weg: Bei der Mehrtagestour in den Allgäuer Alpen begegnen Wanderern mit etwas Glück auch Steinböcken. Foto: Michael Munkler

    Da liegt er und räkelt sich auf dem von der Sonne gewärmten Fels. Die bernsteinfarbenen Augen schauen auf den von unten kommenden Wanderer herab. Keine Angst, keine Scheu. Die stattlichen, kühn geschwungenen Hörner legt der Steinbock mit dem dunkelbraunen Fell jetzt sachte zur Seite, stützt sich darauf ab. Als ob er sich zum Schlafen betten wolle. Lässig hängt er seine Vorderhufe über die Felskante und blinzelt mit den Augen. Selbst als der Fotograf sich auf ein bis zwei Meter an das Tier heranpirscht, zeigt der Bock keine Regung. Hier ist er zu Hause.

    In rund 2.400 Metern Höhe unterhalb des Mädelegabel-Gipfels am Allgäuer Hauptkamm stört es die Tiere nicht, wenn an schönen Sommertagen hunderte Wanderer die Schwarze Milz passieren. So wird das Schneefeld am Heilbronner Weg genannt. Übrigens der letzte verbliebene Gletscherrest in den Allgäuer Alpen. Gletscherforscher gehen davon aus, dass das Überbleibsel aus der Eiszeit wegen der globalen Erwärmung bald verschwunden sein wird – vielleicht in 15 oder 20 Jahren.

    Wer weiter auf dem beliebten Höhenweg unterwegs ist, wird bald wieder mit dem Steinwild konfrontiert: Die Bockkarscharte trägt diesen Namen, weil sich hier seit Menschengedenken besonders gerne Steinböcke oder Muttertiere mit ihren Jungen tummeln. Mit atemberaubendem Geschick und in schnellem Tempo rennen sie über die Felsen und klettern im steilen Felsgelände.

    Die meisten Tiere wurden in der Schutzzone C des bayerischen Alpenplans entdeckt – also da, wo keine baulichen Neuerschließungen stattfinden dürfen.
    Die meisten Tiere wurden in der Schutzzone C des bayerischen Alpenplans entdeckt – also da, wo keine baulichen Neuerschließungen stattfinden dürfen. Foto: Michael Munkler

    Steinböcke im Allgäu galten als ausgerottet

    Das war nicht immer so. Vor 300 Jahren galt das Steinwild in den Allgäuer Alpen als ausgerottet. Die Menschen hatten die Steinböcke gnadenlos gejagt. Dem Blut, dem Fell und vor allem dem Gehörn der Tiere wurden heilende Kräfte zugeschrieben. Die Hörner wurden im gesamten Alpenraum zu Medikamenten verarbeitet. Fast hätte dies dazu geführt, dass die Tiere in Europa gänzlich ausgestorben wären. Lediglich einige Steinbock-Kolonien konnten sich im italienischen Gran Paradiso halten. Ab 1820 ergriffen Naturkundler dort die Initiative, die letzten Steinböcke zu schützen. Mit Erfolg: 100 von ihnen überlebten.

    Steinbock im Steckbrief: Gewicht, Alter, Fell

    Alpensteinböcke gehören zur Art der Ziegen. Die Geißen sind etwa 40 Kilogramm schwer. Die Böcke wiegen zum Teil über 100 Kilogramm. Steinböcke können über 20 Jahre alt werden. Bart und Gehörn Der Bock trägt einen Ziegenbart, hat ein imposantes, bis zu einem Meter langes und gebogenes Gehörn. Böcke haben im Sommer ein dunkelbraunes, die Geißen ein rötlich-goldbraunes Fell. Im Winter wird das Fell beider Geschlechter gräulich. Der Fellwechsel ist im Frühsommer.

    Die Tiere würden im Allgäu nicht gejagt und deshalb sehen sie den Menschen auch nicht als Feind, erklärt Henning Werth, Betreuer des Naturschutzgebiets Allgäuer Hochalpen. Zur Freude der vielen Wanderer. Wer will nicht gleich während der Tour ein Bild vom Bock nach Hause posten?

    „Ich habe sie sogar schon auf unserer Terrasse gesehen, ganz zahm, einfach fantastisch“, erzählt Jochen Krupinski, Wirt der Mindelheimer Hütte. Ein einzigartiges Schaupiel können Kletterer rund um die Hütte im Frühsommer erleben: Die Geißen lehren die Jungen das Klettern im steilen Fels.

    Das sei eine regelrechte Kletterschule, berichtet der mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnete Berg- und Dokumentarfilmer Gerhard Baur aus dem Oberallgäuer Sulzberg. Immer wieder ermuntern die Muttertiere ihre Jungen, die Felsen hinauf- und hinabzusteigen. Baur hat ein Jahr lang die Tiere beobachtet und für eine Fernseh-Dokumentation gefilmt. Eine Frage hat er sich immer wieder gestellt: Was macht das Steinwild im Hochgebirge, wenn Schneestürme oft wochenlang toben? Zumal es in den Hochlagen kaum Unterschlupfmöglichkeiten gibt.

    Steinböcke
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    Steinböcke sind ziehen sich im Winter teils wochenlang in Felswände zurück

    Der Dokumentarfilmer hat es herausgefunden: Die Tiere ziehen sich oft wochenlang in Felswände zurück, wo sie geschützt sind und auch noch Nahrung finden. Oder sie lassen sich tagelang einschneien. „Damit die Steinböcke sich an meine Arbeit gewöhnen, bin ich oft stundenlang an einem Ort geblieben“, erzählt Baur. „Du musst wahnsinnige Geduld haben.“ Einmal ist er beim Warten tatsächlich eingeschlafen und erst nach einer halben Stunde wieder aufgewacht. „Da lag neben mir ein riesiger Steinbock.“

    Im Allgäu hat der Steinbock in 50 Jahren eine erstaunliche Karriere gemacht. Früher hieß die klassische Tour von Hütte zu Hütte durch die Allgäuer Hochalpen schlicht und ergreifend und wohl ein bisschen lieblos Allgäu-Durchquerung. Heute nennt man sie – schon wesentlich sympathischer – Steinbock-Tour. Auf der Kemptner Hütte kann sich der Wanderer ein T-Shirt aus der „Bock-stark“-Kollektion mit prachtvoll geschwungenen Hörnern kaufen, eine Jacke mit Steinbock-Emblem oder eine Kaffeetasse. Und die Oberstdorf-Werbung verspricht: „Dass man auf der Tour Steinböcke zu sehen bekommt oder auf Tuchfühlung mit ihnen kommt, ist so gut wie garantiert“.

    Nachdem die Sonne hinter der Mädelegabel verschwunden ist, erhebt sich der Bock von seinem Felsen. Noch einmal schaut er in die Runde. Wenig später überholt er uns mit einigen seiner Artgenossen an diesem Spätsommertag – auf dem Weg hinunter zum Mädelejoch. Jungtiere sind darunter, die über Felsen und Schrofen spielerisch hinunterspringen und auch ältere Tiere, die gemächlich schreiten. Was für ein Bild: Servus, macht‘s gut, Ihr seid prächtige Kerle!

    Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin "Griaß di' Allgäu". Alle Informationen zur aktuellen Ausgabe findest Du auf www.griassdi-allgaeu.de

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