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Vor 20 Jahren rutschte eine komplette Gemeinde bis zu 30 Meter talwärts

Das schiefe Dorf Rindberg

Vor 20 Jahren rutschte eine komplette Gemeinde bis zu 30 Meter talwärts

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    Das Ferienhaus rutschte damals 18 Meter ins Tal. Heute ist in dem Gebäude eine Ausstellung zusehen, die an die Mure erinnert, die eine ganze Gemeinde bewegte
    Das Ferienhaus rutschte damals 18 Meter ins Tal. Heute ist in dem Gebäude eine Ausstellung zusehen, die an die Mure erinnert, die eine ganze Gemeinde bewegte Foto: Munkler

    Ist das Gasthaus Alpenrose zu retten oder hat die Familie Dorner alles verloren? Das war eine der spannenden Fragen, die vor 20 Jahren die Menschen in der kleinen Gemeinde Sibratsgfäll nahe der Grenze zu Balderschwang (Oberallgäu) bewegte. Im Ortsteil Rindberg rutschte eine zerstörerische Mure von riesigem Ausmaß zu Tal.

    Das Gasthaus "Alpenrose" wanderte 6 Meter ins Tal. Zwar ist noch eine Schieflage zu erkennen, aber das Haus ist wieder in Betrieb
    Das Gasthaus "Alpenrose" wanderte 6 Meter ins Tal. Zwar ist noch eine Schieflage zu erkennen, aber das Haus ist wieder in Betrieb Foto: Munkler

    Rückblick: Der Winter 1998/99 ist nach einem verregneten Herbst erneut extrem niederschlagsreich. Auch in den Allgäuer Alpen fällt meterweise Schnee – wie im gesamten Alpenraum. Viele Menschen sterben in Lawinen. Allein in Galtür und Valzur im Tiroler Paznaun sind 38 Todesopfer zu beklagen. Meteorologen bezeichnen die wochenlangen Starkschneefälle im Alpenraum als ein Wetterereignis, das statistisch gesehen nur alle 500 Jahre vorkommt.

    Der viele Niederschlag, die Rekordschneehöhen und neuerliche Regenfälle im Mai 1999 bleiben nicht ohne Folgen. Die Böden sind bereits gesättigt wie ein nasser Schwamm, als es um den 20. Mai erneut zu schütten beginnt. Bäche und Flüsse treten über die Ufer. Es kommt zu Murenabgängen und Hangrutschungen. Am 22. Mai sorgt das Pfingsthochwasser in den bayerischen Alpen, in Vorarlberg und Tirol für Schlagzeilen.

    So groß wie 250 Fußballfelder

    In der sogenannten Parzelle Rindberg bei Sibratsgfäll setzt sich an Pfingsten 1999 ein Berghang am Feuerstätterkopf (1645 Meter) unaufhaltsam in Bewegung. Auf einer Fläche mit einer Größe von 250 Fußballfeldern sind Menschen betroffen. Sie müssen ihre Häuser räumen. So verlässt auch die siebenköpfige Familie Dorner in jenen Tagen das Gasthaus Alpenrose.

    Wochenlang kämpfen Rettungskräfte und Einwohner, um das Haus zu halten, schaufeln und räumen Erdmassen beiseite. Die Hinterwand des Gebäudes wird eingedrückt. Sechs Meter wandert das Haus talwärts. Aber das Gasthaus kann weiter genutzt werden, es steht bis heute – mit einer Schieflage von einigen Zentimetern.

    Bäume krachen ein, die kleine Kapelle von Rindberg wird vollständig zerstört. Andere Häuser wandern zu Tal, ohne in sich zusammenzufallen – beispielsweise Felbers Ferienhaus. Ohne nennenswerte Schäden zu nehmen, rutscht es 18 Meter talwärts – als sei das Gebäude wie auf Wasser geschwommen. Heute ist im schiefen Haus eine Ausstellung zu den Ereignissen von 1999 und über den grenzübergreifenden Naturpark Nagelfluhkette untergebracht. Sibratsgfäll ist eine von 15 Mitgliedsgemeinden des Naturparks.

    Nicht alle Häuser überstanden das Naturschauspiel. Viele der Gebäude wurden damals stark beschädigt oder komplett zerstört
    Nicht alle Häuser überstanden das Naturschauspiel. Viele der Gebäude wurden damals stark beschädigt oder komplett zerstört Foto: Munkler

    Ein anderes Haus in der Nachbarschaft wandert sage und schreibe 30 Meter talwärts – wie durch ein Wunder unbeschadet. Heute steht es noch und eine Stahlkonstruktion markiert, wo das Haus früher stand. Geologen haben ausgerechnet, dass die Erdbewegungen bis zu 70 Meter tief reichten. Nur so ist es zu erklären, dass Häuser samt Keller verschoben wurden.

    Grenzen verschieben sich

    Was aber, wenn ein Haus aufs Grundstück des Nachbarn verschoben wird? In Sibratsgfäll haben sich die Bürger auf bewegliche und fixe Grenzen verständigt: Sobald ein Gebäude ins Rutschen gerät, verschieben sich auch die Grenzen entsprechend mit. Zudem wird ausprobiert, wie mit neuartigen Techniken und Baustoffen eine gewisse Schräglage eines Gebäudes ausgeglichen werden kann. Denn Tatsache ist: Die große Hangbewegung dauerte seinerzeit etwa 150 Tage, doch geringe Rutschungen gibt es an dem Hang immer noch.

    Neben Verbauungen, Stabilisierungen und Wasserableitungen trägt das „Messsystem Rindberg“ dazu bei, dass die Menschen in dem Gebiet jetzt wieder sorgenfrei leben können. Registriert werden klimatische Einflussfaktoren wie Niederschlag, Luftfeuchte und -temperatur, aber auch die Bodentemperatur und die Bodenfeuchte. Auch der Wasserabfluss an der Bodenoberfläche und im Inneren wird mit Spezialmethoden erfasst.

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