Stare, Kiebitze und Feldlerchen sind sogar schon zurückgekehrt. Immer früher war das bereits in den vergangenen Jahren der Fall. Der Klimawandel wird nach Ansicht von Biologe Henning Werth vom LBV unterschiedlichste Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenarten haben. „Es gibt Verlierer und Gewinner“, sagt er.
Große Veränderungen wird es vor allem in der alpinen Vegetation geben: Bei steigenden Temperaturen werden hoch spezialisierte Pflanzen von anderen verdrängt. Wie die Natur auf den milden Winter und den allgemeinen Klimawandel reagiert:
Meteorologische Fakten
Noch ist es eine Woche, bis der meteorologische Winter endet. Am 1. März beginnt das Frühjahr. Der zu Ende gehende Winter ist auf dem besten Weg, der zweitwärmste in Deutschland seit Beginn der Messungen vor 140 Jahren zu werden. Bundesweit wird es laut Wetteronline auf eine Durchschnittstemperatur von 4,2 Grad hinauslaufen. Manch einer wird sich vielleicht erinnern: Der Winter 2006/2007 war mit einer Durchschnittstemperatur von 4,4 Grad noch einen Tick milder. Im Allgäu ist der Wärmeüberschuss nicht ganz so hoch. Aber auch hier lautet das vor allem für Wintersportler und Schneefans deprimierende Resultat: Jeder Monat zu warm, viel zu wenig Schnee.

Fortgeschrittene Vegetation
Um gut drei Wochen voraus ist derzeit die Vegetation im Allgäu. „Der Schnittlauch ist schon vier Zentimeter hoch“, berichtet Roswitha Weissenbach vom Kreisverband für Gartenbau und Landespflege Oberallgäu-Nord. Schneeglöckchen stehen in voller Blüte, Krokusse zaubern Farbe auf die Wiesen, purpurrot blüht der Seidelbast. Aber es könne natürlich sein, dass es auch im März oder April noch klirrend kalte Nächte mit Nachtfrost gibt, sagt Weissenbach. Deshalb ihr Rat an Hobbygärtner, auch wenn der sprichwörtliche grüne Daumen juckt: Nicht zu früh mit der Gartenarbeit beginnen, Topf- und Kübelpflanzen jetzt noch nicht nach draußen stellen!
Wettbewerb ums Nahrungsangebot
Zugvögel, die vom Allgäu bis nach Afrika ins Winterquartier ziehen und im Frühjahr wiederkehren, gehören zu den Verlierern des Klimawandels. „Langstreckenflieger“ nennt Biologe Werth diese Tiere. Anders die Vögel, die es in der kalten Jahreszeit lediglich auf die Alpensüdseite zieht, wie beispielsweise die Felsenschwalbe. Die ist schon zurückgekehrt, wird bald das vorhandene Nahrungsangebot für Nestbau und Aufzucht nutzen. Angesichts milderer Winter werden für später ankommende Zugvögel dann nicht mehr so viele Insekten da sein. In der Natur ist alles sehr genau aufeinander abgestimmt: Die Vögel brüten in der Zeit, in der es das größte Nahrungsangebot gibt.

Problem: Das weiße Fell
Hermelin, Wiesel, Schneehuhn oder Alpenschneehase haben in schneearmen Wintern ein Problem: Ihr Fell färbt sich im Winter weiß. Das hat einen guten Grund. So sind diese Tiere im Schnee bestens getarnt und von Feinden nicht gut zu erkennen – beispielsweise von Raubvögeln. In schneearmen Wintern aber kann das weiße Fell genau das Gegenteil bewirken: Für Raubvögel sind die weißen Tiere gut zu erkennen und können gejagt und erlegt werden. Ohne Schnee wird das Überwintern wohl auch für die Murmeltiere in den Bergen schwerer. Schnee hat eine gute wärmeisolierende Wirkung. Murmeltiere überwintern in Erdhöhlen. Der Schnee darüber wirkt wie eine wärmende Decke.
Frostrisiko im Obstbau
Martin Nüberlin, Sprecher der Obstbauern im Raum Lindau, sagt über den Vegetationsstand der Bäume: „Das ist so früh wie noch nie.“ Er beugt sich über einen Birnbaum und sieht mit dem Blick des Experten: „Der Saft bewegt sich schon nach oben.“ Äußerst ungewöhnlich für Ende Februar. Nüberlin („Ich bin ja jetzt auch schon über 60“) hat „so einen Winter noch nicht erlebt“. Die Obstbauern hoffen nach seinen Worten, dass es nicht irgendwann im März oder April noch heftige Nachtfröste gibt. So wie 2017, als es im April eine massive Kältewelle gab. Genau zu dem Zeitpunkt, als die Obstbäume blühten. Eine verheerende Missernte war die Folge für die Obstbauern am Bodensee.

Neue Sorten blühen später
Obstbauern treibt eine Frage um: Sollen sie angesichts des Klimawandels mit immer milderen Wintern auf spätere Sorten umstellen? Auf solche, die erst blühen, wenn die Frostgefahr nicht mehr so hoch ist? Genau das werde gemacht, sagt Nüberlin: Die aus Neuseeland stammende Apfelsorte Braeburn beispielsweise sei später dran und werde auch erst Mitte Oktober geerntet. Da die Bäume später blühen, sei die Gefahr durch Frühjahrs-Nachtfröste nicht so groß. Nüberlin bereitet ein anderes Thema Sorgen: Im Obstbau drohe angesichts immer wärmerer und auch trockenerer Sommer ein „Sonnenbrand-Problem“. Die Früchte werden unschön, lassen sich nicht mehr verkaufen.
Weniger Schnee – mehr Steinböcke?
Der Alpensteinbock könnte ein Gewinner von Klimawandel und Erwärmung sein. „Schnee ist für diese Tiere ein sogenanntes Ausbreitungshemmnis“, sagt Biologe Werth. Im Gegensatz zur schneefreudigen Gämse sucht der Steinbock im Winter die aperen Stellen, beispielsweise freigeblasene Kämme und Bergrücken. Dort und im Fels hält er sich in der kalten Jahreszeit am liebsten auf. Auch weil er dort schnell an Nahrung kommt in Form von Bodenbewuchs. Im Allgäu galt das Steinwild vor 300 Jahren als ausgestorben, erst in den 1960er Jahren wurden einige Tiere hier wieder angesiedelt. Wie viele Tiere im Allgäu leben, kann niemand sagen. Geschätzt wird ihre Zahl auf etwa 200.
Fichten im Klimastress
Der Klimawandel macht sich auch bei Bäumen im Wald bemerkbar. Im Allgäu weniger am niederschlagsreichen Alpenrand, wohl aber bereits im Norden der Region: Am meisten leidet unter den steigenden Temperaturen wohl die Fichte. Hinzu kommt der Trend zu trockenen Sommerperioden. In ihrem durch Trockenheit geschwächten Zustand kann sich die Fichte schlechter gegen die Angriffe der Borkenkäfer wehren. Dieser Schädling aber nimmt bei Wärme zu, er ist ein Gewinner des Klimawandels. Seit einigen Jahren gibt es auch im Allgäu häufig eine Generation mehr Borkenkäfer pro Sommer. Zudem ist die flachwurzelnde Fichte anfällig gegen die zunehmenden Stürme.