Der Weg nach oben ist anstrengend. Wer zum Waltenbergerhaus aufsteigt, muss trittsicher sein und eine ordentliche Kondition besitzen. Zweieinhalb bis dreieinhalb Stunden führt der Bergpfad von Einödsbach hinauf, erst idyllisch an einem Wasserlauf entlang, am Ende wartet eine steile Flanke. Oben angekommen werden sich viele Bergsteiger die Augen reiben - nicht nur wegen der tollen Aussicht, sondern auch wegen der modernen Architektur. Hier - am südlichsten Zipfel Deutschlands, auf 2085 Meter Höhe, inmitten der Allgäuer Alpen - ist erstmals seit Langem eine Berghütte komplett neu gebaut worden. Ihre Gestaltung dürfte wegweisend sein für Hüttenprojekte, die in den nächsten Jahren anstehen.

Es hat kontroverse Diskussionen gegeben über das Waltenbergerhaus, nachdem 2011 deutlich wurde: Diese legendäre Hütte hat ausgedient. Der Befund: zu marode, zu unkommod, zu klein, mangelhafter Brandschutz. Die Alpenvereins-Sektion Immenstadt als Bauherrin bat - vorbildlicherweise - sechs Büros zum Architekten-Wettbewerb. Der Oberstdorfer Planer Peter Fischer gewann ihn. Allerdings sorgte er für einen Paukenschlag. Er ignorierte die Vorgabe für eine Sanierung und Erweiterung und schlug stattdessen Abriss und Neubau vor. Fischer entwarf einen rundlich geschwungenen Baukörper mit Pultdach, der nicht mehr viel gemein hatte mit dem traditionellen rechtwinkligen Steinhaus samt Satteldach, das Bergfreunde so lieben. Da mussten viele erst mal schlucken. Die Sektion bat zu Diskussionsrunden, und die Oberstdorfer Markträte konnten sich nur mit Mühe dazu durchringen, grünes Licht für den Bau zu geben.

Und jetzt? Sind alle zufrieden, wie es scheint. Seit das goldgelb leuchtende Bauwerk auf dem Vorsprung unterhalb des Bergs der guten Hoffnung thront, gibt es keine Diskussionen mehr. "Die Leute sind begeistert", sagt Hüttenwirt Markus Karlinger. "Ich höre nur positive Rückmeldungen." Vielleicht hat die sinnliche Optik und die sinnvolle Funktionalität die Zweifler und Kritiker überzeugt. Warum nicht ein Holzhaus errichten mit einer Lärchenschindelung, die nach und nach so silbergrau wird wie der Fels? Warum nicht eine Rundung anstatt eines konventionellen Kubus? Warum nicht große Fenster, die viel Natur und Licht ins Innere strömen lassen und fantastische Ausblicke in die Bergwelt ermöglichen?

Oft sei er hinaufgestiegen und habe sich den Ort angeschaut, sagt Architekt Fischer, der schon Erfahrungen hat mit dem Bauen am Berg. Das Lesen der vorhandenen Landschaft sei notwendig, sagt er. Ein guter Entwurf gelinge nur, wenn sich das Neue wie von selbst zum Vorhandenen fügt. Er fand eine Lösung, die logisch erscheint: Er entwarf eine Art Schwalbennest, das sich schnörkellos an den Bergrücken anschmiegt, fest verankert mit dem Fels erscheint und nach Westen hin ausgerichtet ist. Bewusst verzichtete er auf "Auswüchse": Es gibt keine Erker, kaum Vor- und Rücksprünge. Wind und Wetter, Kälte und Schnee sollen so wenig Angriffsflächen wie möglich finden.

Natürlich bietet das neue Gebäude mehr Platz und mehr Komfort. Aus der ehemaligen Hütte ist fast ein Berggasthof geworden. Bergsteiger, die aus dem Tal kommen oder vom Heilbronner Weg, werden von einem großzügigen Eingang in Empfang genommen und können sich auf den sonnenbeschienenen Terrassen ebenso erholen wie im Gastraum mit den 90 Plätzen. Wer übernachten möchte, findet im Oberschoss 72 Betten zumeist in kleinen Zimmern mit toller Aussicht auf Berg und Tal. Und wie steht’s mit der sprichwörtlichen Hütten-Gemütlichkeit? Die gibt es auch in diesem modernen Bauwerk - nur in anderer Form als früher.
Dafür sorgen die Wände und Decken aus warmem Fichtenholz, die Tische aus massiver Esche, die weichen Polster auf den Sitzen, der Fußboden in brauner Filzoptik, der Geruch des offenporigen Holzes und die gemauerte Kaminecke neben der Theke. Auch die leichte Dämmung der Gebäudehülle und die Zwei-Scheiben-Isolierung der Fenster fördert das Wohlbefinden. Die Handschrift des Architekten zieht sich durch bis zu den Details. Wobei nicht alles sinnvoll erscheint. Die Galerien in den Schlafkammern, die Peter Fischer wegen eines besseren Raumgefühls schuf, hält Hüttenwirt Markus Karlinger für unpraktisch. Konventionelle Stockbetten wären ihm lieber gewesen ... Ansonsten ist Karlinger glücklich - sowohl mit der Form als auch mit der Funktion. Die Aufenthalts-Qualität sei deutlich gestiegen, sagt er - nicht nur für die Gäste, sondern auch für seine Familie und seine Mitarbeiter.
Alles in allem ist das neue Waltenbergerhaus eine gelungene Variante moderner alpiner Baukultur. Schon steigen die ersten Architekten und Journalisten von Einödsbach hinauf zu den Bergen der guten Hoffnung, um sich zu informieren und zu lernen.