
Leicht ist es für die Bauern und Helfer nicht, manch widerspenstiges Rind im Zaum zu halten. Da wird gezogen, gezerrt und geschoben – und manchmal landet das bockige Vierbein, in Rodeo-Manier den Kopf auf den Boden gedrückt, auf der Seite. Aber das ist die Ausnahme beim Viehscheid in Bad Hindelang. 900 Jungrinder werden am Scheidplatz von ihren Besitzern entgegengenommen und in Hänger oder Wagen verladen. Es ist ein Riesenfest im Dorf – die Kinder haben schulfrei, ein großer Krämermarkt begleitet das tierische Treiben.
Um halb Neun, in der Morgenstille, ist in der Ferne der dumpfe Klang von Dutzenden von Schellen zu hören. Hirten und Helfer treiben die 253 Jungrinder vom Retterschwanger Tal fünf Kilometer bis zum Scheidplatz an der Hornbahn. Dort stoppt die Herde der Alpe Hasenegg in einer Absperrung, die eng zusammenläuft wie ein Trichter: Die Bauern und deren Helfer holen ihre Tiere dort ab. Auch 16 Rinder vom Bioland-Hof Ruppaner aus Oberdorf (Gemeinde Waltenhofen) sind dabei. Sie tragen Hörner. Vielleicht ein Grund, warum eines der Ruppaner-Tiere einen Kranz bekommen hat? Einen Namen hat das Rind aber noch nicht. Den gibt ihm Stefan Ruppaner (beziehungsweise seine Tochter Verena), wenn das Tier sein erstes Kalb geboren hat – demnächst ist es soweit. „Das Rind soll tragen, einen schönen Körperbau haben und auch zutraulich sein“, sagt Alphirte Albert Lipp über seine Auswahlkriterien.
Drei Kränze hat er diesmal vergeben. Ein Zeichen, dass den Sommer über alles gut ging. Seine Frau Conny hat den aufwendigen Kopfschmuck mit Grün und Blumen vom Berg gestaltet. Mit Bergblumen geschmückt ist auch Albert Lipps Hut – sowie mit einer Adlerfeder, die er gefunden hat. Der Bauernsohn liebt die Stille auf den Alpweiden, das Arbeiten mit dem Vieh. Er sagt aber auch: „Wir hatten Glück, dass nichts passiert ist.“ Auch die Alpe Kühbach hatte Glück – und drei Kranzrinder. Von 1100 Tieren auf den fünf Hindelanger Alpen (200 waren nicht beim Scheid, bleiben auf der Nachweide bei Hinterstein) sind „fünf verunglückt“, sagt Michael Honisch, Geschäftsführer des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu.Das Wetter sei prima gewesen. Auch der Starkregen Ende Juli sei vom Boden gut aufgenommen werden. „Es gab wenig Trittschäden.“ Das Futter sei gut nachgewachsen „und es gab ausreichend Wasser“.
Der Wolf sei zwar ein Thema, aber „zum Glück hatten wir keine Schäden.“ Die Älpler müssten aber „immer mit durchziehenden Wölfen rechnen“. Alpmeister Leonhard Bellot sagt, „es war verdächtig ruhig“. In Hindelang werden die Zuschauer mit Absperrbändern und Hinweistafeln abgehalten, zu nah an die Tiere zu kommen. Vor einigen Jahren habe ein Rind einen Zuschauer „angerempelt“ und verletzt, sagt Bellot.
Das soll nicht mehr passieren. Im Festzelt am Nachmittag werden traditionell Schellen verlost. Bürgermeisterin Sabine Rödel zollt den Verantwortlichen der Alpen Stierbach, Erzberg, Platten, Hasenegg und Kühbach ihren Respekt. Der Viehscheid in Bad Hindelang, der erste in der Region, sei dort „die fünfte Jahreszeit“. Tausende von Besuchern waren dabei.