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Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor: „Das Leben war meine Schule“

Vortrag am Gymnasium Immenstadt

Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor: „Das Leben war meine Schule“

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    Der Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor berichtete den Schülerinnen und Schülern der elften Jahrgangsstufe des Gymnasiums Immenstadt von seinen schrecklichen Erlebnissen während der NS-Zeit.
    Der Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor berichtete den Schülerinnen und Schülern der elften Jahrgangsstufe des Gymnasiums Immenstadt von seinen schrecklichen Erlebnissen während der NS-Zeit. Foto: Erik Perrey

    „Das Leben ist eine feine Sache“, das betonte Abba Naor bei seinem Vortrag am Gymnasium Immenstadt immer wieder. Diese positive Ansicht vermittelte der 95-Jährige den Schülerinnen und Schülern trotz all der Gräueltaten und Schicksalsschlägen, die dem Holocaust-Zeitzeugen in seinem Leben widerfahren sind. Bei der Präsentation zeigte Naor der elften Jahrgangsstufe schockierende Bilder, berichtete vom unbegreiflichen Leiden in den Konzentrationslagern (KZ) und den Dimensionen der Gewalt gegen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus. Er nannte aber auch positive Beispiele von Menschen, die sich damals für die Juden eingesetzt hatten. Bei seinem Besuch in Immenstadt trug sich Naor außerdem ins Goldene Buch der Kommune ein.

    Vor seinem Vortrag am Gymnasium trug sich der 95-Jährige Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor (links, zusammen mit dritter Bürgermeisterin Rosi Oppold) in das Goldene Buch der Stadt Immenstadt ein.
    Vor seinem Vortrag am Gymnasium trug sich der 95-Jährige Holocaust-Zeitzeuge Abba Naor (links, zusammen mit dritter Bürgermeisterin Rosi Oppold) in das Goldene Buch der Stadt Immenstadt ein. Foto: Erik Perrey

    Als Abba Naor 13 Jahre alt war, endete für ihn sein normales Leben. Vorher wohnte er mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern in der litauischen Stadt Kaunas. Seine Kindheit, bevor Litauen in den Sog des Zweiten Weltkriegs gezogen wurde, beschrieb Abba Naor als „wunderbar schön“. Das änderte sich schlagartig, als die deutsche Wehrmacht Litauen bombardierte.

    Abba Naor wird im Ghetto Kaunas ertsmals Zeuge der Massenmorde

    Abba Naors Familie floh zuerst, landete schließlich aber im Ghetto in Kaunas. Dort durften die jüdischen Kinder nicht mehr zur Schule gehen. „Das Leben war meine Schule“, sagte der 95-Jährige. In Kaunas wurde er später auch erstmals Zeuge der Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung. Als unsäglichen Höhepunkt des Grauens in Litauen berichtete er den Schülern von wehrlosen Babys, die mit Erschossenen lebendig begraben wurden, weil sie ihren Mördern keine Munition wert waren.

    Sein älterer Bruder war Teil einer Gruppe von Jugendlichen und Kindern, die versuchten, in den Nachbardörfern des Ghettos Lebensmittel einzukaufen. Sie wurden erwischt und alle von der Wehrmacht erschossen. „Bis heute weiß ich nicht, was die Juden falsch gemacht haben“, sagte Abba Naor. Warum unschuldige Kinder erschossen wurden, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten, sei für den 95-Jährigen unbegreiflich. Er und sein Vater waren die einzigen Überlebenden des Holocausts aus seiner Familie, sein kleiner Bruder und seine Mutter wurden im Vernichtungslager in Auschwitz vergast. Auch alle seine Freunde aus dem Ghetto in Kaunas sind den Gräueltaten des NS-Regimes zum Opfer gefallen und überlebten nicht.

    Mit 17 Jahren von den Amerikanern befreit

    Abba Naors Schicksal führte ihn erst weiter ins KZ Stutthof bei Danzig, von dort aus wurde er in die Außenlager des KZ Dachau deportiert, musste in diesen schwerste Zwangsarbeit leisten und überstand einen neuntägigen Todesmarsch ohne Verpflegung. Mit 17 Jahren wurde er dann von den Amerikanern befreit. Später emigrierte er nach Israel und heiratete dort seine mittlerweile verstorbene Frau. Naor hat zwei Kinder, fünf Enkel und elf Urenkel.

    Neben seinen erschütternden Erlebnissen während der NS-Zeit, die er in seiner Präsentation auch mit Bildern greifbarer machte, erzählte er den Jugendlichen auch von Menschen, die während seiner Unterdrückung positiv in Erscheinung getreten waren. Er stellte unter anderem Anton Schmid vor, der im Ghetto in Wilna hunderten Juden das Leben gerettet hatte und von der Wehrmacht dafür hingerichtet worden war. Außerdem berichtete er von einer Bäckerin, die ihm und seinen Mitgefangenen heimlich Brot zugesteckt hatten und Frauen, die den Juden auf dem Todesmarsch Nahrung geben wollten und verjagt wurden.

    Abba Naors Ratschlag an die Schüler: "Niemals aufgeben"

    Er warnte die Schüler vor falschen Propheten und machte ihnen Mut: „Das Leben ist eine feine Sache, aber nur wenn man das Richtige tut. Ihr habt alle Gelegenheiten. Die Welt wird aussehen, wie die Jugend sie gestaltet.“ Auf Nachfrage einer Schülerin antwortete Naor, er habe sich den Tod während seiner Zeit in den KZ zwar gewünscht, aber nie an Selbstmord gedacht. Diesen Gefallen wollte er seinen Unterdrückern nicht machen. Sein Ratschlag an die Schüler lautete: Niemals aufgeben.

    Elftklässler Lennart Vollmer war von der Präsentation Naors beeindruckt. „So jemanden sieht man nicht jeden Tag.“ Der Vortrag sei für ihn viel detaillierter und aufschlussreicher als eine normale Geschichtsstunde gewesen. Am meisten faszinierte den 16-Jährigen, dass Naor nie aufgegeben hat und noch nie mit einem Psychologen gesprochen hat. Auch Lisa Horn fand Naors Geschichte spannender als den gewöhnlichen Unterricht. In den Schulbüchern stecke im Schicksal der Juden eine gewisse Anonymität, die Worte eines anwesenden Zeitzeugen seien bewegender, sagte die 16-Jährige. Beeindruckt war sie davon, mit wie viel Witz der 95-Jährige einige der Schülerfragen beantwortete.

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