Manchmal ist sogar eine Weltmeisterschaft eine Familienangelegenheit. Lucia Hacker ist schon für die Kanu-WM in Nottingham qualifiziert, ebenso ihre Mutter Andrea in der Ü40 – und das war auch das Ziel von Vater Markus. Es gibt mit Eva und Sonja noch zwei Schwester von Lucia, die auch Paddeln – aber die haben gerade anderes vor, als sich im Wildwasser herum wirbeln zu lassen. „An der Welle in Plattling wälzen sich 150 Tonnen Wasser in der Sekunde bergab – gegen diese Kraft ist man machtlos“, berichtet Andrea Hacker. Dennoch kann es amüsant sein, sich der Naturgewalt anzuvertrauen, erklärt die 49-Jährige weiter: „Nutzt man diese Kraft für sich, kann man damit jede Menge Spaß haben.“
Aller Anfang ist schwer
Dabei kam Andrea Hacker erst spät zum Kanu – mit 19 Jahren: „Viel zu spät.“ Aber schon in ihrer Jugend paddelte sie in den Alpen, im Himalaya, auf Neuseeland und auf Reunion. Ihr Mann fing auch um die Zeit an, derweil Tochter Lucia sechs Wochen alt war. „Aber das erste eigene Kajak gab es mit sechs Jahren zu Weihnachten“, erzählt sie. Auch die weiteren Kinder stürzten sich ins Nass: Sonja war schon bei Wettkämpfen dabei, aber macht nun eine „Paddelpause“. Eva hingegen ist ein Sonderfall: „Sie hält es schon seit 19 Jahren in einer Paddlerfamilie aus, obwohl sie Paddeln eigentlich doof findet. Ab und zu kommt sie mit und zeigt uns, dass sie exzellent paddeln kann, obwohl sie nie viel übt“, berichtet die Mutter. Die Familie habe zwar Schnellkraft, Flexibilität und gute räumliche Orientierung, aber ein Manko, meint Lucia Hacker: „Um Weltmeister zu werden, muss man eigentlich Kunstturnen im Kajak können. Turner werden im Kanufreestyle oft sehr schnell gut und erfolgreich.“
Das Problem mit der Welle
Doch Üben ist in der Region nicht so einfach. Die Familie Hacker ist deshalb Mitglied bei den Naturfreunden Westend-Augsburg. „Die waren uns sehr sympathisch und konnten uns schnell und unbürokratisch eine DKV-Mitgliedschaft bieten. Deshalb starten wir bei Wettkämpfen offiziell für Westend-Augsburg“, erzählt Andrea Hacker. Doch außer in Augsburg sind hier nur schwer, Wildwasserstrecken zu finden. „Es gibt leider wenig geeignete Wellen, wo Kanu-Freestyle trainiert werden kann. Die nächsten Möglichkeiten sind in Günzburg, Augsburg und Plattling. Sonst trainieren wir viel in Österreich und Frankreich.

Wenn es auf der Wertach in Kaufbeuren mal richtig Hochwasser hat, gibt es auch interessante Wellen direkt vor der Haustür“, berichtet sie weiter. Und der DAV Kaufbeuren-Gablonz hilft auch noch: Dessen Kajakgruppe trainiert in der Wintersaison seit über 35 Jahren im Kaufbeurer Hallenbad: „Ein Großteil des Freestyle-Trainings findet im sogenannten Flachwasser, also auf stehendem Wasser statt. Dort werden die Bewegungsabläufe, welche man auf dem Fluss braucht, gelernt und automatisiert. Erst danach geht es ins bewegte Wasser“, erklärt die 49-Jährige. Da wird es zwar wild, aber unangenehme Erlebnisse habe es noch nie gegeben, betont die Familie unsiono.
Aussteiger in den Flussauen
„Es ist eigentlich kein Fehler, mit dem Kanu umzufallen, man muss halt eine sichere Eskimorolle können. Dann macht Umfallen Spaß“, versichert Lucia Hacker. So wie ihr erster Wasserfall – mit zehn Jahren fiel sie den zwei Meter in die Tiefe. Aber manches sei schon schräger gewesen: „Wir waren am Tagliamento in Italien paddeln. Das ist der letzte naturbelassene Großfluss der Südalpen und hat ein bis zu zwei Kilometer breites Bett. Dort kamen wir plötzlich in ein Gewitter. Ein breites Kies-Flussett ist ein denkbar schlechter Ort bei Gewitter, daher machten wir uns zu Fuß auf den Weg zur Straße. Als wir durch die Flussauen gingen, stießen wir auf kleines Lager, dort wohnte schon seit Jahren ein Aussteiger, welcher sich selbst Robinson nannte. Zuerst hatten wir Kinder Angst vor ihm, aber er war wirklich sehr nett. Immer wenn wir in der Gegend sind, besuchen wir ihn und bringen ihm Kartoffeln vorbei“, berichtet Lucia.
Baby unter der Spritzdecke
Ein anderes Mal bekam ein Kind der Hackers einen Fremden nicht mit, erzählt Andrea Hacker: „In der Taraschlucht – die tiefste Schlucht Europas zwischen Montenegro und Bosnien – sind wir einen Angler begegnet, welcher schon sehr lange mühsam zu Fuß unterwegs war. Er fragte uns, ob wir ihn nicht im 2er Canadier mitnehmen können, denn vorne sei ja noch ein Platz frei. Wir sagten ihm, das ginge nicht, denn das Boot sei voll. Wir öffneten die Spritzdecke ein Stückchen und zeigten ihm unsere kleine Tochter Sonja, die da gerade ihr Mittagschläfchen machte.“ Markus Hacker hingegen erlebte, dass der Tagliamento im Sommer einfach in seinem Flussbett versickert und unterirdisch weiter fließt. „Der Fluss ist dann tatsächlich komplett verschwunden und das Bett vollständig trocken. Regnet es dann weiter oben in den Bergen, taucht der Fluss ziemlich plötzlich wieder auf“, berichtet er.
Große und kleine Paddel-Pläne
Kanufahren sei einfach abwechslungsreich – und kontemplativ: „Als ich einmal an einem nebligen Herbsttag allein auf dem Lech im Lechtal gepaddelt bin, habe ich einen Wolf gesehen“, erzählt Markus Hacker. Insofern hat die Familie auch weiterhin Pläne auf dem Wasser zu bleiben – oder auch nicht. Denn bei Eva Hacker ist die Sache einfach: Sie hat keine Ambitionen. Lucia ist da deutlich engagierter: Teilnahmen an der WM und DM mit vorderen Platzierungen sowie an vielen internationalen Freestyle Events und am Wildwasser-Rennen in Lipno Tschechien. Aber wichtig sei auch: „Spaß haben, vorne mit dabei sein und möglichst vielseitig Kanu fahren.“
Töchter sind auch ein Ziel
Markus Hacker wollte sich kurzfristig noch für die WM qualifizieren, musste aber gesundheitsbedingt absagen. Langfristig hat er aber auch noch einiges vor: „Mit 80 Jahren immer noch paddeln.“ Sonja Hacker hingegen pausiert, aber: „Vielleicht startet sie ja wieder durch?“, hofft die Mutter. Sie wird dieses Jahr an der WM teilnehmen und will deutsche Meisterin Ü40 werden: „Hoffentlich sind wir diesmal genug Teilnehmerinnen – es schaut gut aus“, erklärt die 49-Jährige, die ihr Karriereziel schon erreicht hat: „Mama von drei tollen Töchtern.“
- Andrea Hacker: 49 Jahre aus Kaufbeuren. Beruf: Bauingenieurwesen. Erfolge: 4. Platz Deutsche Meisterschaft 1999. Kanu-Freestyle-WM 1999 und Kanu-Freestyle-EM 2000. 2019 Deutsche Meisterin Ü40. DM in der Damenklasse 2020 und 2021. Qualifikation für die WM 2022.
- Lucia Hacker: 20 Jahre. Beruf: Studentin Bauingenieurwesen. Erfolge: 2019 Kanu-Freestyle: 2. Platz DM K1 U18. Boater Cross: 7. Platz DM Damen. 2020 Kanu-Freestyle: 3. Platz DM K1 Damen. 8. Platz Österreichische Meisterschaft. 2021 Kanu-Freestyle: 17. Platz EM. 4. Platz DM K1 Damen. 6. Platz ÖM. 2022 Galway Fest Irland Expert Klasse: 8. Platz Gesamtwertung (Kanu-Freestyle, Boater Cross, Zeitfahren Wildwasser, Massenstart Wildwasser). 4. Platz Quali für Nationalteam K1 Kanu-Freestyle. 3. Platz Quali für Nationalteam C1 Kanu-Freestyle.
- Markus Hacker: 54 Jahre. Beruf: Sanitärtechniker. Erfolge: Kanu-Freestyle-EM 1998, Kanu- Freestyle-WM 1999. Vize-Europameister 2000 Open Boat (Offener Canadier). Kanu-Freestyle-WM 2001. Kanu-Freestyle-EM 2002. 2019 3. Platz DM Ü40 2019. 3. Platz DM Ü40 2020.
- Eva Hacker: 19 Jahre. Erfolge: Kann paddeln, will aber nicht.
- Sonja Hacker: 16 Jahre. Erfolge: 2018: 3. Platz Deutscher Schülercup Kanu-Freestyle U14. 2019: 1. Platz Deutscher Schülercup Kanu-Freestyle U14. 2020: 1. Platz Österreichische Meisterschaft U18.
- Bootsklassen: K1: Einer-Kajak – sitzend mit einem Doppelpaddel und mit Spritzdecke geschlossen. C1: Einer-Canadier – kniend mit einem Stechpaddel – nur ein Paddelblatt – und mit Spritzdecke geschlossen. Open Boat: Offener Canadier – kniend mit einem Stechpaddel – nur ein Paddelblatt.