Darf das Land Tirol auf der Fernpassstraße B179 eine Mautpflicht einführen und gleichzeitig die Menschen, die dort wohnen, davon befreien? Diese Pläne der neuen Landesregierung sieht eine EU-Beamtin kritisch: „Eine Ausnahmeregelung für die ansässige Bevölkerung könnte zu einer diskriminierenden Wirkung führen“, sagt die Sprecherin, die bei der EU-Kommission für den Bereich Verkehr zuständig ist, auf Nachfrage unserer Redaktion.
Doch so ganz klar, wie es scheint, ist der Fall nun doch nicht: Laut der Beamtin ist so eine Mautpflicht durchaus möglich, wie ein Fall aus dem Jahr 2013 zeigt. In diesem Artikel geben wir Antworten auf diese Fragen:
- Was sagt die EU-Kommission zu den Maut-Plänen Tirols für die B179?
- Wäre eine Klage gegen die Maut-Pläne Tirols am Fernpass erfolgreich?
- Nach welchem Vorbild will Tirol eine Maut auf der Fernpassstraße einführen?
- Felbertauernstraße: Warum müssen Auto- und Motorradfahrer aus Osttirol hier keine Maut bezahlen?
Was sagt die EU-Richtlinie zum Thema Maut?
Grundsätzlich regelt die EU-Richtlinie „über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Straßeninfrastrukturen durch Fahrzeuge“ (1999/62/EG) das Thema Mautgebühren, erklärt die Sprecherin. Darin heißt es in Artikel 7 Absatz 5: „Mautgebühren dürfen weder direkt noch indirekt diskriminieren“ – unter anderem wegen der Staatsangehörigkeit des Fahrers oder des Landes, in dem das Fahrzeug zugelassen ist.
Wenn also Einheimische bei der Maut klar bevorzugt werden, ist das laut EU-Kommission eine Diskriminierung gegenüber allen anderen Kunden.
Wäre eine Klage gegen die Mautpläne am Fernpass erfolgreich?
Aber wäre aufgrund dieser EU-Richtlinie eine Klage Deutschlands oder Bayerns gegen die Mautpläne der Tiroler Landesregierung für die Fernpassstraße erfolgreich? Die EU-Beamtin will "den Ausgang eines theoretischen Gerichtsverfahrens nicht kommentieren" und erinnert an einen ähnlichen Fall von 2013: Damals hatte die EU-Kommission ein Verfahren gegen Österreich eingeleitet - wegen unterschiedlicher Mauttarife auf der Felbertauernstraße in Osttirol - und dann doch eingestellt.
Das Interessante an diesem Fall: Das Bundesland Tirol will die Fernpass-Maut genau nach diesem Vorbild der Felbertauernstraße einführen.
Nach welchem Vorbild will Tirol die Mautpflicht am Fernpass einführen?
Die Menschen, die in der näheren Umgebung der Fernpassstraße wohnen, sollen von der Maut befreit werden - nach dem Vorbild der Felbertauernstraße: Wer ein Kennzeichen aus Osttirol an seinem Pkw oder Mottorrad hat, muss dort keine Maut bezahlen. Die Abgabe für auswärtige Fahrzeuge wird beim Durchfahren der am Südportal gelegenen Mautstelle in Matrei in Osttirol eingezogen.
Neben dem Normaltarif für auswärtige Autos gibt es dort zwei sogenannte Anrainertarife für Fahrzeuge aus Innsbruck, Innsbruck-Land, Imst, Kitzbühel, Kufstein, Landeck, Reutte und Schwaz (Tirol), Hermagor und Spittal/Drau (Kärnten), Zell am See (Salzburg) sowie aus der Gemeinde Mittersill. Die Gebühr auf der Felberntauernstraße wird übrigens von der Felbertauernstraßen AG eingetrieben und nicht über die Vignetten und Go-Boxen der ASFINAG Österreich.
Warum hat die EU die Maut auf der Felbertauernstraße in der Form zugelassen?
2013 hatte die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich eingeleitet - wegen der unterschiedlichen Mauttarife auf der Felbertauernstraße. So mussten vor November 2014 etwa Osttiroler Lkw-Fahrer für eine Durchfahrt im 5313 Meter langen Felbertauerntunnel weniger Maut bezahlen als andere.
Unter dem Druck der EU entwickelte die Felbertauernstraßen AG eine alternative Lösung, die seit 24. November 2014 gilt: Für sogenannte Nutzfahrzeuge wie Lkw oder Transporter bezahlen seither einheimische Spediteure genau so viel Maut wie auswärtige. Zudem wurde ein Rabattsystem für Vielfahrer installiert, das unabhängig vom Zulassungsort des Fahrzeugs gilt.
"Damit liegt bei Nutzfahrzeugen keine Diskriminierung nach dem Zulassungsort und auch keine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit mehr vor", erklärt die EU-Beamtin. Daraufhin habe die EU das Verfahren eingestellt.
Warum sind Auto- und Motorradfahrer aus Osttirol weiterhin von der Maut befreit?
Aber was ist mit der Mautpflicht für Pkw oder Motorräder auf der Felbertauernstraße? Warum sind Fahrer von solchen privaten Leichtfahrzeugen mit einheimischen Kennzeichen aus Lienz (Osttirol) weiterhin davon befreit, auswärtige dagegen nicht?
Die EU-Kommission sei damals der Argumentation Österreichs gefolgt, erläutert die EU-Beamtin. Osttirol sei demnach vom Mutterland abgetrennt und benötigen die Verbindung. Die Menschen, die dort leben, seien sonst vom Rest Tirols abgeschnitten. Sie bräuchten daher die Felbertauernstraße, um das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Tirols in und um der Landeshauptstadt Innsbruck zu erreichen.

"Die Mautbefreiung für in Osttirol zugelassene Fahrzeuge soll die Mobilität und soziale Integration der Menschen in jener Region fördern, für die die Felbertauernstraße den bequemsten Zugang ins Tiroler Zentrum darstellt", sagt die EU-Sprecherin. Diese Argumente seien der EU-Kommission "in dieser Hinsicht stichhaltig" sowie der Sondertarif für Osttiroler Fahrzeuge "aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt" erschienen.
Da es für Osttiroler teurer wäre, auf alternativen Wegen ins Tiroler Zentrum zu gelangen, habe die EU-Kommission die "Maßnahme auch als geeignet und wirksam angesehen". Daher "erschien es grundsätzlich hinnehmbar, dass in Osttirol zugelassene Pkw und Motorräder gegenüber auswärtigen günstiger behandelt werden", so die EU-Beamtin.
Was hätte das Ende dieser Mautbefreiung gebracht?
Von der Mautbefreiung profitierten 2014 etwa 30.000 Halter der osttiroler Pkw und Motorräder, erklärt die EU-Sprecherin. Die Erhebung eines Mauttarifs für diese Fahrzeuge, der die spezifische Situation der Einwohner berücksichtigt, hätte nach Abzug der Kosten für die Mauterhebung wahrscheinlich "nicht viel gebracht".
Felbertauernstraße: Zu welchem Schluss kam die EU-Kommission?
Nachdem die EU-Kommission diesen Fall eingehend geprüft und dabei die Änderungen des Mautsystems im November 2014 berücksichtigt habe, sei sie laut der Beamtin damals zu diesem Schluss gekommen: Bei der Mautregelung auf der Felbertauernstraße liegt kein Verstoß gegen EU-Recht vor. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich wurde daraufhin aufgehoben.
Wie will Tirol nun eine Mautpflicht auf der Fernpassstraße einführen?
Nach Angaben der Landesregierung in Tirol soll eine "Gesellschaft zur Bemautung der B 179 Fernpassstraße" gegründet werden - wann genau, ist noch unklar. Das Land Tirol würde dabei Eigentümer der Fernpassstraße B179 bleiben, die Bewirtschaftung und Erhaltung aber nach der Gründung an diese Gesellschaft übertragen, die dann die Maut einzieht.

Für die Pläne müsste allerdings das Straßengesetz des Bundeslandes Tirol geändert werden. Bislang ist zudem offen, auf welchem Streckenabschnitt der B179 die Maut erhoben werden soll. Die Landesregierung will aber wie im Fall der Felbertauernstraße argumentieren.
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Warum will Tirol die Fernpassstraße bemauten?
Das Ziel der neuen Tiroler Landesregierung ist klar: Mit der Maut soll die Fernpassstraße weniger attraktiv für den Durchgangsverkehr werden. Im Regierungsprogramm heißt es dazu: "Der Fernpass darf keine neue internationale Transitroute werden."

Darüber hinaus soll der Verkehr auf der B179 sicherer werden. Heißt: Mit den künftigen Maut-Einnahmen soll ein neuer Tunnel am Fernpass-Scheitel und eine zweite Röhre am Lermooser Tunnel finanziert werden.
B179: Wo führt die Fernpassstraße entlang?
Die Fernpassstraße führt vom Ende der A7 am Grenztunnel Füssen an der deutsch-österreichischen Grenze als B179 von Vils (Bezirk Reutte) über den Fernpass (1210 Höhenmeter) bis nach Nassereith (Bezirk Imst). An Spitzentagen fahren laut ADAC bis zu 30.000 Fahrzeuge über die Fernpassstraße. Die Strecke gilt als kurze Verbindung in Richtung Süden, vor allem für Allgäuer.
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