Das Bundeskabinett will möglichst noch am Dienstag bundesweit einheitliche Einschränkungen beschließen, um die immer stärkere dritte Corona-Welle in Deutschland zu brechen. Dazu soll voraussichtlich das Infektionsschutzgesetz geändert werden. In einem neuen Paragrafen 28b soll festgelegt werden, was zu tun ist, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Inzidenz über 100 liegt, also binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner kommen.
In den vorausgehenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern war für diesen Fall vorgesehen worden, dass der Aufenthalt außerhalb einer Wohnung von 21 bis 5 Uhr bis auf Ausnahmen untersagt wird. Mehrere Beteiligte gingen davon aus, dass es nach stundenlangen Verhandlungen bis Dienstagmorgen ein Einvernehmen geben würde, das eine Verabschiedung in der Ministerrunde später am Dienstag möglich macht. Möglichst in einem beschleunigten Verfahren sollten die Regeln dann vom Bundestag beschlossen werden und den Bundesrat passieren.
Politiker sehen Nachbesserungsbedarf bei Corona-Gesetzesentwurf
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) unterstützt im Grundsatz bundeseinheitliche Maßnahmen. "Wenn nicht überall so hart durchgegriffen wird, kann ich absolut verstehen, dass der Bund dann auch sagt, dass wir ein solches Gesetz brauchen", sagte er RTL. Allerdings sah er Nachbesserungsbedarf am Entwurf. "Dort sind Regelungen drin, die wir nicht mittragen können."
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wandte sich besonders gegen nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. "Richtig ist mit Sicherheit, die Kontakte so weit es geht, drinnen wie draußen zu reduzieren und auf das Nötigste zu beschränken", sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz in der RBB-"Abendschau". Aber: "Abends alleine oder zu zweit spazieren zu gehen, ist keine große Gefahr."
Präsdent der Bundesärztekammer zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen: "Übertragungen im Freien sehr selten"
Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, ist skeptisch. "Übertragungen im Freien sind nicht nur sehr selten. Sie führen in der Regel auch nicht zu Clusterinfektionen. Nicht zuletzt aus psychosozialen Gründen sollten wir mit Augenmaß vorgehen und den Aufenthalt im Freien nicht ohne Not erschweren", sagte er der Düsseldorfer Rheinischen Post (Dienstag).

Der Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) kritisierte hingegen die vorgeschlagenen Regelungen für die Schulen. "Alle Schulen ab einer Inzidenz von 200 pauschal dichtzumachen wäre für das Kindswohl fatal", sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Anstelle den Präsenzunterricht wegen willkürlich gegriffener Inzidenzwerte zu verbieten, müssen die Schulen endlich mit ausreichenden Tests für Schüler und Lehrer versorgt und das Personal geimpft werden, dann kann auch bei hoher Inzidenz sicher unterrichtet werden."
Intensivmediziner fordern möglichst schnell bundesweite Regelung
Demgegenüber appellierte die Intensivmediziner-Vereinigung Divi an Bundesregierung, Bundestag und Bundesländer, die Regelungen möglichst schnell noch diese Woche zu verabschieden. Denn der bisherige Höchststand an Intensivpatienten wird wohl noch schneller erreicht als erwartet, nämlich bereits im April, wie der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, der Augsburger Allgemeinen" (Dienstag) sagte.
"Das heißt, dass wir bereits Ende April die Größenordnung von 6.000 und mehr Corona-Intensivpatienten erreichen würden, wie wir sie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle hatten." Erst vor wenigen Tagen waren für Ende April noch 5.000 Intensivpatienten prognostiziert worden. Wenn das Gesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7.000 steigen, sagte er voraus. "Wir reden über sehr viele schwere Erkrankungen und über viele Menschen, die das nicht überleben werden."