Bald ist es dreißig Jahre her, da testeten erste deutsche Kliniken die „elektronische Patientenakte“. Und es war das Jahr 2001, als die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eine bundesweite Einführung zusammen mit der elektronischen Gesundheitskarte versprach. Doch dann ließ eine große Datenschutzdebatte unter dem Schlagwort „Angst vor dem gläsernen Patienten“ das Projekt endlose Warteschleifen ziehen, bis vor nunmehr eineinhalb Jahren der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition endlich die breite Einführung beschloss. Doch das wichtigste Digitalisierungsprojekt des deutschen Gesundheitswesens kommt noch immer nicht in Fahrt.
Für fast alle Krankenversicherten existieren leere elektronische Patientenakten
Inzwischen haben die Krankenkassen für fast alle der 74 Millionen gesetzlich Krankenversicherten Datensätze angelegt, außer für rund fünf Prozent ihrer Mitglieder, die bislang der digitalen Akte widersprachen. Doch wie am Wochenende bekannt wurde, sind gerade einmal drei Prozent der Patientenakten in Betrieb, seitdem im April die Einführung nach einer Testphase auf alle Praxen, Kliniken und andere Gesundheitseinrichtungen ausgerollt wurde. „Wir sind jetzt in der Phase, in der die ePA in der breiten Bevölkerung ankommen muss“, fordert der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas. „Nur wenn die Akte gefüllt sei und sich im Alltag etabliere, könne sie ihr Potenzial für die Versorgung entfalten.“ AOK-Bundeschefin Carola Reimann hofft, dass sich bis Oktober die Lage ändert, wenn Ärzte gesetzlich verpflichtet sind, die ePA zu nutzen und entsprechend zu befüllen. Patienten können über Apps die Akte kontrollieren und nach Wunsch Teile sperren oder löschen.
Angesichts der schleppenden Einführung der elektronischen Patientenakte warnen die Grünen vor einem Scheitern des Digitalisierungsprojekts und fordern von Gesundheitsministerin Nina Warken ein rasches Eingreifen. „Jährlich verlieren wir eine große Anzahl an Menschenleben durch den niedrigen Digitalisierungsgrad unseres Gesundheitssystems“, sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen unserer Redaktion. „Die elektronische Patientenakte ist ein Versprechen – auf bessere Versorgung, mehr Sicherheit und ein Ende der Zettelwirtschaft“, betonte er. „Doch diese Hoffnung droht enttäuscht zu werden, wenn der Rollout unter Ministerin Warken nun ins Stocken gerät.“
Grünen-Experte Dahmen mahnt Ministerin Warken zu sehr viel mehr Tempo
Dahmen kritisierte, dass bislang offenbar weniger als drei Prozent der 70 Millionen angelegten elektronischen Patientenakten in der Praxis genutzt würden. „Dass inzwischen fast alle gesetzlich Versicherten eine ePA bekommen haben, ist ein Fortschritt“, sagte Dahmen. „Aber es reicht nicht, nur Gleise zu verlegen - die Züge müssen auch fahren.“
Die geringe Nutzung der Akten liege nicht an Ablehnung, „sondern weil die relevanten Inhalte fehlen“, betonte Dahmen. „Die versprochenen Anwendungen wie Laborwerte, Arztbriefe oder Impfpass müssen endlich kommen - sonst bleibt die ePA ein leeres Versprechen“, warnte der Gesundheitspolitiker.

Auch beim Schutz sensibler Daten müsse das Bundesgesundheitsministerium rasch für Nachbesserungen sorgen. „Versicherte müssen steuern können, wer was sieht“, forderte Dahmen. „Und in Praxen und Kliniken muss glasklar geregelt sein: Zugriff nur für direkt Beteiligte – jeder Zugriff muss dokumentiert sein“, betonte der Grünen-Politiker. Die Ampel-Koalition habe mit dem Gesetz in der vergangenen Legislaturperiode dafür alle nötigen Voraussetzungen für eine sichere und patientenfreundliche Nutzung geschaffen. „Jetzt liegt es an der neuen Ministerin, dieses Versprechen mit konsequenter Umsetzung nun auch endlich einzulösen“, mahnte der Grünen-Experte.
Grünen-Experte Dahmen: „Deutschland bei Digitalisierung des Gesundheitswesens Entwicklungsland“
„Deutschland ist bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens kein Vorreiter, sondern Entwicklungsland“, betonte Dahmen. „Der Preis dafür ist hoch“, erklärte er. Etwa durch mangelnde Informationen über die Krankenvorgeschichte gefährde die mangelnde Digitalisierung in vielen Fällen Patientenleben. „Obendrein macht das die Arbeit der Gesundheitsberufe hochgradig ineffizient und unattraktiv“, betonte Dahmen. „Patienten und Personal leiden inzwischen gleichermaßen. „Es liegt in der Hand der neuen Bundesregierung, das zügig zu ändern“, mahnte der Oppositionspolitiker. „Es braucht jetzt politischen Mut, Tempo und den festen Willen, Gesundheit endlich ins digitale Jetzt zu holen.“
Dazu müsse die elektronische Patientenakte für alle Seiten ein attraktives Instrument sein. „Die ePA darf kein Paralleluniversum sein, sie muss direkt in die Systeme der Praxen und Kliniken eingebettet werden – und offen sein für Gesundheitsdaten, die Menschen selbst einbringen“, betonte Dahmen. Zudem müsse die Akte auch zur Verbesserung der Patientensicherheit eingesetzt werden. „Wer Menschen ernst nimmt, schützt sie auch im Ernstfall: Bei Medikamentenrückrufen oder Warnungen müssen Betroffene direkt informiert werden können.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden