Wenn der Vorwurf der Vergewaltigung verhandelt wird, dürfte es selten vorkommen, dass Täter und Opfer gemeinsam zur Verhandlung kommen. Vor dem Amtsgericht Lindau war das jetzt der Fall. Angeklagt war ein 57-jähriger Mann aus dem Landkreis Lindau. Die Staatsanwaltschaft warf dem gebürtigen Kosovaren Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung vor. Das Opfer im August 2023 war seine Ehefrau.
Der Angeklagte trat zunächst an der Seite seiner Pflichtverteidigerin sehr selbstsicher auf. Er bestritt den Vorwurf. Es habe an dem Tag Streit zwischen ihm und seiner Frau wegen einer unmittelbar bevorstehenden Urlaubsreise in die Heimat gegeben.

Für ihn völlig überraschend habe seine Frau später die Polizei gerufen. Dass sie zu diesem Zeitpunkt eine blutende Lippe gehabt hat, begründete er vor Gericht mit seiner Vermutung, sie sei ausgerutscht und gestürzt.
Warum seine Frau ihn denn grundlos dermaßen belasten sollte, wollte die Vorsitzende Richterin des Schöffengerichts vom Angeklagten mit Blick auf frühere Aussagen der Frau wissen. „Sie ist so ein Typ. Ich kann sie nicht ändern“, antwortete der Angeklagte schulterzuckend. Drei Monate nach dem Vorfall habe man sich auch wieder versöhnt, sie sei zu ihm zurückgekehrt.

Anschließend sagte eine Krankenpflegerin, die das mutmaßliche Opfer an jenem Augusttag in der Notaufnahme eines Krankenhauses betreut hat, über die Verletzungen und den Zustand der Frau aus. Diese sei aufgewühlt gewesen und habe geweint. Außerdem habe sie von Sex gegen ihren Willen berichtet.
Verletzungen im Unterleib festgestellt
In der Folge wurde sie in die Gynäkologie nach Kempten zur weiteren Untersuchung geschickt. Auch dort stellte man zahlreiche Verletzungen, unter anderem im Unterleib, fest. Das ging aus einem später vom Gericht verlesenen Befund hervor.
Die Ehefrau, deren Aussage vor Gericht von einem Dolmetscher teilweise übersetzt wurde, wollte der Richterin am liebsten gar nichts erzählen. „Es ist passiert, was passiert ist. Ich habe ihm verziehen“, übersetzte der Dolmetscher ihre Worte.
Beim Anblick von Bildern ihrer damaligen Verletzungen begann sie zu zittern, und Tränen traten ihr in die Augen. Sie sei nicht ausgerutscht, ihr Mann habe sie geschlagen, sagte sie. Aber auch, an Richterin und Staatsanwalt gewandt, dass sie ihnen zwar für die Mühe danke, aber ihren Mann liebe und nicht wolle, dass er bestraft wird.
„Das Opfer ist gebeutelt, aber nicht gebrochen“
Es folgte eine längere Unterbrechung der Verhandlung. Zunächst führten Richterin, Staatsanwalt und Rechtsanwältin ein Rechtsgespräch, dann sprach die Verteidigerin lange mit ihrem Mandanten. Dabei scheint sie dem Mann deutlich gemacht zu haben, was ihm an Strafe drohen könnte. Zumindest räumte er danach in einer von der Anwältin verlesenen Erklärung die Vergewaltigung und die Körperverletzung ein. Der 57-Jährige wirkte nun sehr geknickt. „Es tut ihm sehr leid, dass er sich hat hinreißen lassen. Er liebt seine Frau“, las die Anwältin vor. Dieses Geständnis falle ihm „auch aus religiösen Gründen“ sehr schwer.
Kurz darauf folgten die Plädoyers. Staatsanwalt und Verteidigerin waren sich einig, eine Freiheitsstrafe im Mindestbereich von zwei Jahren auszusprechen und eine zweijährige Bewährungszeit festzulegen. Hinzu kommen eine Geldauflage sowie die Kosten des Verfahrens.
Zugunsten des Angeklagten spreche sein, wenn auch sehr spätes Geständnis, die Versöhnung mit seiner Ehefrau und dass er nicht vorbestraft ist. „Das Opfer ist gebeutelt, aber nicht gebrochen“, so der Staatsanwalt.
Die Richterin folgte den Anträgen. Die Geldauflage setzte sie auf 1000 Euro fest, die an den Verein „Hilfe für Frauen in Not Landkreis Lindau“ gehen. Der 57-Jährige, der seit 25 Jahren in der Region lebt und seit jeher eine feste Anstellung hat, muss außerdem jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich melden.
Dem Angeklagten gab die Richterin - wie schon zuvor der Staatsanwalt - eindringliche Worte mit auf den Weg: „Auch ohne die Aussage Ihrer Ehefrau wäre es wohl zu einer Verurteilung gekommen. Ihr Gespräch mit der Anwältin hat sie vor dem Gefängnis bewahrt.“ Im Raum wären dann 3,5 bis vier Jahre Freiheitsentzug ohne Bewährung gestanden.
Auf Rechtsmittel wurde allseits verzichtet, sodass das Urteil rechtskräftig ist.
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