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„Die Erde ist die einzige Heimat, die wir haben“: AÜW-Nachhaltigkeitsmanager im Interview

Der Klima-Check, Teil 23

„Die Erde ist die einzige Heimat, die wir haben“: AÜW-Nachhaltigkeitsmanager im Interview

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    Die Folgen des Klimawandels beunruhigen viele Menschen. Deswegen gingen in Kempten Schüler von Fridays for Future auf die Straße. Wir sprachen mit AÜW-Nachhaltigkeitsmanager Martin Mühlegger.
    Die Folgen des Klimawandels beunruhigen viele Menschen. Deswegen gingen in Kempten Schüler von Fridays for Future auf die Straße. Wir sprachen mit AÜW-Nachhaltigkeitsmanager Martin Mühlegger.

    Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen: Die Folgen des Klimawandels sind drastisch und werden sich wohl noch verschlimmern. Um sie in Grenzen zu halten, wurde 2015 auf der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris beschlossen, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit beschränkt werden soll. Dr. Martin Mühlegger, Nachhaltigkeitsmanager des Allgäuer Überlandwerks (AÜW), erklärt, warum das entscheidend ist.

    „Das Klima hat sich doch immer schon verändert“ – diesen Satz hört man häufig. Stimmen Sie dem zu? Und warum ist das, was jetzt passiert, so gefährlich?

    Dr. Martin Mühlegger: Es stimmt, das Klima hat sich schon immer verändert – aber noch nie so schnell wie heute. Zum Ende der letzten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren, da hat die Erwärmung um ein Grad über 1000 Jahre gedauert. Heute geschieht das in wenigen Jahrzehnten. Die Natur und die Menschen, von denen es damals noch viel weniger gab, hatten sehr viel mehr Zeit, sich anzupassen.

    Die Folgen des Klimawandels zeigen sich weltweit. Auch in der Region, wie hier beim Hochwasser 2021 im Oberallgäu.
    Die Folgen des Klimawandels zeigen sich weltweit. Auch in der Region, wie hier beim Hochwasser 2021 im Oberallgäu. Foto: Benjamin Liss

    Was sind die sogenannten Kipppunkte?

    Mühlegger: Das sind Veränderungen im Erdsystem, die ab dem Überschreiten einer bestimmten Temperatur ausgelöst werden und dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können – zum Beispiel das Schmelzen des grönländischen Eisschilds. Bei vollständigem Abschmelzen steigt der Meeresspiegel langfristig um etwa sieben Meter, schon weit davor sind auch deutsche Küstenstädte in Gefahr.

    Bei welcher Temperatur passiert das?

    Mühlegger: Das ist das Problem: Man weiß nicht genau, bei welcher Temperatur die Kipppunkte ausgelöst werden. Forscher können bisher nur Wahrscheinlichkeiten angeben. Deshalb werden sie oft ausgeklammert, wenn es um zukünftige Szenarien oder Prognosen geht. Die meisten Kipppunkte wirken zudem selbstverstärkend. Wenn der Permafrostboden in Sibirien auftaut, wird Methan freigesetzt – auf der Erde wird es dann noch wärmer. Zum Glück gibt es aber auch soziale Kipppunkte. Nachbarn und Freunde fangen an, über bestimmte Themen zu diskutieren und es entstehen Bewegungen, die dann auf Regierungen einwirken können – wie es beispielsweise bei Fridays for Future der Fall ist.

    PV-Anlagen, wie hier auf einer Schafsweide in Oy, können im Kampf gegen die Erderwärmung helfen.
    PV-Anlagen, wie hier auf einer Schafsweide in Oy, können im Kampf gegen die Erderwärmung helfen. Foto: Ralf Lienert

    Können wir dem Klimawandel überhaupt noch entgegenwirken?

    Mühlegger: Ja. Innerhalb der nächsten drei bis sechs Jahre haben wir noch die größten Chancen, die Erderwärmung in einem Maß zu halten, dass die meisten Kipppunkte wahrscheinlich nicht ausgelöst werden. Die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, etwa den Schienenverkehr stärken und Netze für Strom und Wasserstoff ausbauen. Auch die Unternehmen sind gefragt. Sie können die Technologietransformation vorantreiben, erneuerbare Energien nutzen oder ihre Fuhrparks elektrifizieren. Aber auch jeder Einzelne kann etwas tun. Entscheidend ist dabei, sich nicht in Kleinigkeiten zu verlieren, sondern die großen Hebel in Bewegung zu setzen – wie die Reise in den Urlaub. Statt zu fliegen, kann man mit dem Zug fahren. Das ist für viele neu, aber kein Hexenwerk. Womit wir wieder bei der Politik wären. Sie muss dafür sorgen, dass es die entsprechende Infrastruktur gibt.

    Auch Buschfeuer in Australien werden dem Klimawandel zugeschrieben.   
    Auch Buschfeuer in Australien werden dem Klimawandel zugeschrieben.    Foto: Sean Blocksidge

    Haben Sie das Gefühl, dass die Allgäuer den Ernst der Lage schon begriffen haben oder sind die Auswirkungen des Klimawandels, etwa Buschfeuer in Australien, schlicht noch zu weit weg?

    Mühlegger: Das Problembewusstsein ist sicherlich da, aber meist im zeitlichen Umfeld einzelner Katastrophen wie der Flut im Ahrtal. Das Ausmaß der aktuellen und kommenden Risiken sowie die Dringlichkeit, jetzt zu handeln, ist vermutlich den wenigsten bewusst. Dabei gibt es in der Region bereits Auswirkungen wie zum Beispiel den Starkregen 2021 im Oberallgäu. Und Hitzewellen führen fast jeden Sommer zu einer Übersterblichkeit, auch hier. Wir streiten uns, wer sich am vorbildlichsten verhält und wer auf der anderen Seite der größte Umweltsünder ist. Dabei sollten wir alle an einem Strang ziehen.

    Sie sind Physiker, arbeiten aber mittlerweile als Nachhaltigkeitsmanager. Wie kam es dazu?

    Mühlegger: Ich war zehn Jahre in der Industrie tätig. Dass etwas schief läuft, war mir schon länger klar. Das ganze Ausmaß wurde mir 2019 bewusst. Damals gab es in Indien eine Hitzewelle, bei der über 50 Grad gemessen wurden. Zeitgleich hat mich ein Freund auf die Fridays for Future-Bewegung aufmerksam gemacht, das hat den Stein ins Rollen gebracht. Seit 2022 arbeite ich nun beim AÜW als Nachhaltigkeitsmanager.

    Was macht ein Nachhaltigkeitsmanager?

    Mühlegger: Zunächst habe ich die Betreuung der bereits vor meiner Zeit beim AÜW bestehenden Aktivitäten übernommen. Da ist vor allem das Bündnis ,Klimaneutrales Allgäu 2030’ zu nennen, bei dem das AÜW Gründungsmitglied ist. In Bereichen, die direkt das Unternehmen betreffen, ist das AÜW bereits klimaneutral gestellt durch den Kauf von Goldstandard-Kompensations-Zertifikaten. Kompensation ist aber nur sinnvoll, wenn man gleichzeitig Schritt für Schritt Emissionen reduziert. Beispielsweise wurde vergangenen Herbst die Gasheizung im AÜW-Gebäude in der Kemptener Illerstraße durch eine Fernwärme-Heizung ersetzt. Unser Ziel ist es, keine Zertifikate mehr zu benötigen. Dafür arbeiten wir an einer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir wollen unter anderem die Mobilität der Mitarbeitenden in den Blick nehmen. Parallel dazu veröffentlichen wir jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht. Viele Firmen, auch aus der Industrie, schaffen mittlerweile Kapazitäten im Nachhaltigkeitsmanagement.

    Als promovierter Astrophysiker: Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Menschheit irgendwann auf einen anderen Planeten „auswandern“ könnte?

    Mühlegger: Aktuell sind rund 5300 Planeten bekannt, auf nur 24 davon könnte es eventuell flüssiges Wasser geben. Die Reise ins nächstgelegene Planetensystem würde mit dem bisher schnellsten bekannten Raumflug über 100.000 Jahre dauern. Dann würden sich soziale Fragen stellen: Wer darf mitreisen, wer nicht? Wenn überhaupt, könnte das nur ein Versuchslabor sein und keine Möglichkeit, um Menschen dauerhaft vor der Klimakatastrophe zu schützen. Die Erde ist die einzige Heimat, die wir haben. Und die gilt es zu bewahren.

    Dr. Martin Mühlegger.
    Dr. Martin Mühlegger. Foto: Mühlegger

    Zur Person: Dr. Martin Mühlegger ist 45 Jahre alt, hat Physik in München und Sydney studiert und arbeitet seit 2022 als Nachhaltigkeitsmanager beim AÜW. In seiner Freizeit engagiert er sich bei Scientists for Future, einer Initiative von Wissenschaftlern, die die Bewegung Fridays for Future unterstützt.

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    Bayern will bis 2040 klimaneutral werden. Manche Allgäuer Kommune hat sich sogar noch ehrgeizigere Ziele gesetzt. Um diese zu erreichen und in der Region nachhaltig etwas zu verändern, sind viele Aspekte wichtig. Vom Bau neuer Windräder über den Umgang mit Abfall bis zum Pflanzen von Bäumen. In unserer Serie „Der Klima-Check“ greifen wir jeden Samstag einen Gesichtspunkt auf, informieren über den Stand der Dinge – und zeigen auf, was noch getan werden muss. Der heutige Teil dreht sich um die Frage: Wie kann weniger Essen weggeschmissen werden?

    • Wie man Kleidung im Allgäu recyclen kann, lesen Sie hier.

    • Wenn Sie wissen wollen, was die Allgäuer in ihre Restmülltonnen schmeißen, auch wenn es da nicht hingehört, lesen Sie hier.

    • Wo es in der Region noch Mülldeponien gibt und was dort entsorgt wird, lesen Sie hier.

    • Kann ein Smart Home beim Energiesparen helfen? Die Antwort darauf finden Sie in diesem Text.
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