Mit der Leidenschaft für Jazz ist es in Kempten wie mit Ebbe und Flut. Während des Jahres hält sie sich in überschaubaren Höhen. In den neun Tagen des Jazzfrühlings wächst die Begeisterung aber wellenartig an – was sich beim diesjährigen Festival, das am Samstag startet, in etlichen jetzt schon ausverkauften Konzerten niederschlägt. Quasi als Appetitanreger für Kartenbesitzer und alle, die es vielleicht noch werden wollen, diente nun eine Lesung in der Kulturwirtschaft an der Allgäuhalle, in der diese Leidenschaft thematisiert wurde: Die Festivalmacher hatten den Journalisten Ralf Dombrowski eingeladen, damit der sein – schon vor etlichen Jahren erschienenes – Buch „111 Gründe, Jazz zu lieben“ vorstellte.
Dem Mann kann man vertrauen, schließlich gilt der 58-jährige Musikkritiker aus München als einer der großen Kenner des Jazz und dessen Verwandten. Außerdem weiß Dombrowski mit Worten umzugehen. So wurde die Lesung mit elf seiner 111 Gründe zu einer kurzweiligen, amüsanten und auch lehrreichen Reise in die Welt einer Musik, von der Dombrowski am Ende sagte, sie sei besonders kreativ, teambildend und empathisch – weshalb es im Jazz so wenige Idioten gebe. Dass er sich dabei argumentativ auf dünnes Eis begibt, räumte er im gleichen Atemzug ein. Aber Liebe kann, wie man weiß, auch blind machen ...
Andererseits: Wer will schon bestreiten, dass man den Jazz lieben kann und muss? Immerhin gibt es so großartige Improvisateure wie den Trompeter Miles Davis, so gewiefte Sound-Tüftler wie den Bigband-Leiter Duke Ellington oder so einfühlsame Liedermacher wie Antonio Carlos Jobim und Joao Gilberto, die den Jazzhit „The Girl from Ipanema“ schufen. Dombrowski erzählte dazu pointierte Anekdoten.
Woher stammt eigentlich der Begriff Jazz?
Aber er hangelte sich nicht nur an einigen Hauptdarstellern auf der Bühne des Jazz entlang; das wäre diesem geistreichen Geschichtenerzähler bei seiner Liebesklärung an den Jazz zu billig. In jedem der 111 Kapitelchen schwingen noch weitere Aspekte, Facetten und Kuriositäten mit. Bisweilen widmet er ihnen eine ganze Gründe-Geschichte.
Etwa wann er feststellt, es sei ungewiss, woher das Wort Jazz überhaupt stamme, und dass einige der frühen Musiker dessen Erfindung für sich reklamierten. Oder wenn er von der Fotografie im Jazz spricht – und dann eigene Aufnahmen zeigt, von denen übrigens im Buch Dutzende zu finden sind. Oder wenn er selbstironisch über die blumige Sprache sinniert, derer sich nicht wenige bedienen, die Jazz beschreiben.
Nur langsam finden Frauen im Jazz einen angemessenen Platz
Über Genderfragen hat Ralf Dombrowski in seinem 250-Seiten-Buch, das im Handel 14.99 Euro kostet, ebenfalls geschrieben, den Text dazu trägt er an diesem Abend aber nicht vor. Dabei hätte die Analyse, dass sich die Männerdomäne Jazz nur langsam für Frauen öffne, besonders gut zum Ort gepasst: In der Kulturwirtschaft rückt der Jazzfrühling während des Festivals Frauen als Bandleaderinnen in den Fokus.