Arzt und Anhänger, Medikus und Maskottchen – die Grenze verschwimmt dieser Tage nicht selten bei Florian Porzig. „Ich bin derjenige, der dafür da ist, Verletzungen vorzubeugen, aber auch der, der mit jeder Faser mitleidet“, sagt Porzig. Der 46-jährige Fischinger ist leitender Mannschaftsarzt der deutschen Skisprung-Nationalmannschaft und bei den Olympischen Winterspielen in Peking der Mann, dem die Adler vertrauen. Und so wird Porzig auch am Samstag einmal mehr hin- und hergerissen sein zwischen der erforderlichen Nüchternheit eines Mediziners und dem Enthusiasmus eines Sportfans, wenn Karl Geiger und seine Mitstreiter ab 12 Uhr beim Wettkampf auf der Großschanze um Medaillen springen.
Porzig: Balanceakt zwischen Medizin und Emotionen
„Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen der Aufgabe, als Arzt in medizinischen Belangen Vorkehrungen zu treffen, um Verletzungen zu vermeiden auf der einen Seite“, sagt Porzig. „Als Mitglied der Mannschaft ist es aber auch so, dass man immer mit allen des deutschen Teams mitfiebert, wie es übrigens alle tun: von den Technikern bis zu den Physios.“ Dieser Teamgeist ist es unter anderem, der den Oberallgäuer bei seiner Olympia-Premiere früh in seinen Bann gezogen hat.
Denn der gebürtige Oberstdorfer, der seit 2009 eine Gemeinschaftspraxis für Sport- und Allgemeinmedizin in Fischen leitet, betreute Wintersportler zwar schon bei fünf Weltmeisterschaften, ist aber erstmals bei Olympia dabei. Zwölf Jahre lang begleitete Porzig – seinerzeit auf Initiative des Oberstdorfers Andreas Bauer engagiert – die Nordischen Kombinierer im Weltcup und bei den großen Weltmeisterschaften, ehe der Verband und Bundestrainer Stefan Horngacher ihm im Sommer 2021 den Posten als Chefarzt der deutschen Adler anboten. Porzig zögerte nicht lange: „Ich war in der Thematik drin, und dass der Job für mich überaus reizvoll ist, liegt auf der Hand.“ Wie auch der Reiz, einmal unter den „Fünf Ringen“ dabei zu sein.

Und so begann der 46-Jährige, der in der Heimat unter anderem Mountainbike-Star Nadine Rieder, die Olympiasieger Johannes Rydzek und Vinzenz Geiger sowie Ski-alpin-Ass Alex Schmid betreut, früh mit der akribischen Vorbereitung für Peking. „Wir hatten vonseiten der Chinesen immense Vorgaben“, erzählt Porzig. „Von detaillierten Infektionsdaten jedes einzelnen Athleten über medizinische Atteste und originale Befunde: Der Aufwand war extrem. Noch dazu, weil die Weltcup-Saison ganz normal weitergelaufen ist. Die letzten zwei Wochen waren sehr heiß.“
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Der Sportmediziner begab sich wie die Athleten und die Betreuer in selbstauferlegte Isolation, verzichtete in den Tagen vor dem Abflug sogar auf das Küsschen für seine Kinder, um sich „nicht noch kurz vor Olympia etwas einzufangen“.
"Joggen verboten, aber das Flair ist besonders"
Dieses Gefühl überdauerte auch die heiße Phase der Vorbereitung, den Flug, selbst noch die ersten Tage nach der Ankunft im Olympischen Dorf. „Im Vorfeld waren Anspannung und Sorgen immens. Die Sorge sicher anzukommen, negativ zu bleiben. Das war wahnsinnig. Das hat bis zum vierten Tag in der Bubble angehalten, aber inzwischen macht sich das Gefühl breit, dass wir am sichersten Ort der Welt sind“, sagt Porzig, der den Spielen trotz der Einschränkungen wegen der Pandemie Magisches abgewinnen kann: „Wir dürfen nur mit dem Shuttle fahren, Joggen ist verboten. Aber im Dorf darf man sich frei bewegen, das genügt. Es ist eine schöne Atmosphäre, das besondere Flair habe ich vom ersten Augenblick an im Olympischen Dorf gespürt. Man begegnet anderen Athleten, anderen Nationen und die Zusammengehörigkeit im „Deutschen Haus“ ist sehr stark. Bei allen Widrigkeiten ist es ein besonderer Spirit.“
Viel Zeit, dieses spezielle Flair aufzusaugen, bleibt dem Arzt aus Fischen in Peking allerdings nicht. Als leitender Teamarzt muss Porzig sämtliche Wettkämpfe überwachen, um im Falle eines Sturzes schnell Zugriff zu haben. Während der Trainings kommuniziert er im Auslauf mit der Crew vor Ort, macht sich ein Bild von der Rettungskette und begleitet die Physiotherapeuten zwischen den Durchgängen zu den Athleten. Nach den Springen steht die Nachsorge an: Massage, Therapie, Akupunktur.
An den Ruhetagen der Springer koordiniert Porzig Corona-Testungen und Behandlungen in Rücksprache mit den Trainern. „Wir haben bei uns eine kleine medizinische Zentrale und im Dorf eine Mini-Poly-Klinik mit eigenem CT, MRT und Röntgen“, erzählt Porzig. „Es ist zwar skurril, wie die Menschen hier verhüllt sind, aber die Organisation und die Ausstattung sind herausragend.“
Und trotz des 24-Stunden-Jobs bei Olympia bleibt dem 46-Jährigen hin und wieder Zeit, bei anderen Wettkämpfen vorbeizuschauen; auch wenn der Herzschlag beim Biathlon oder Snowboard freilich nur ansatzweise den beim Skispringen erreicht. „Schwitzige Hände sind immer dabei, weil ich die Jungs und Mädels das ganze Jahr über medizinisch betreue“, sagt Porzig. „Da baut man eine enge Beziehung auf. Es geht nicht immer nur um das Handling einer Verletzung – es wächst über die Jahre auch ein Vertrauensverhältnis.“
Zum Skandal im Mixed-Wettkampf: "Ein Schleier über dem Team"
Entsprechend hat der
, bei dem vier Top-Athletinnen, darunter die Oberstdorferin Katharina Althaus, ausgeschlossen wurden, am Nervenkostüm des Teamarztes gezehrt. „Wir waren alle fassungslos, wie das Ganze letztlich wettkampfentscheidend ausging. Es ist unglaublich, wie Athleten und Betreuer bestürzt waren. Der Tag hat tiefe Wunden hinterlassen bei allen“, erzählt Porzig. „Sie haben so viel investiert und aufgegeben für diesen Moment und dann wurde alles durch eine Entscheidung zunichtegemacht. Es war eine Schwere, die über dem Ganzen hing – das habe ich noch nicht erlebt. Es hängt nach wie vor ein Schleier über dem Team.“Und doch soll dieses emotionale Ereignis nicht das Gesamtbild der Spiele trüben – nicht für Florian Porzig. „Es ist und bleibt ein einmaliges Erlebnis, wenn man Olympia begleiten darf“, sagt der 46-Jährige. „Aber ich freue mich dann auch wieder auf die Heimat, auf ein dunkles Holzofenbrot mit Wurstsalat.“ Und auf ein Küsschen von seinen Kindern.