Ein Pärchen tanzt eng umschlungen vor der Bühne. Ob sie in den Achtzigern auch schon zu diesem Song geschwoft haben? Damals noch mit toupierter statt grau melierter Mähne? Gut möglich, viele Fans dürften sich an diesem Abend so jung fühlen wie in der Disko vor 40 Jahren. Denn Lionel Richie versetzt seine Fans beim Konzert in der Münchner Olympiahalle in einen gehörigen Nostalgie-Rausch.
Seit mehr als 50 Jahren steht der US-Superstar auf der Bühne, anfangs noch als Sänger, Songwriter und Saxofonist der Commodores, die er mitbegründet hatte, und die als Vorband der Jackson Five bekannt wurden. Einige Hits von damals wie „Brick House“, „Easy“ oder „Fancy Dancer“ spielt Richie auch in München und die Fans feiern den Funk und Disco-Sound der 1970er Jahre.
Lionel Richie weiß, wie er die Fans beim Konzert in der Münchner Olympiahalle umgarnt
Dazu Nebelwolken, Feuerfontänen und Laser, alles wohl dosiert, denn Richie braucht keinen Pomp. Er selbst ist die Show, wirkt dabei aber so nahbar und uneitel, als spiele er gerade vor alten Bekannten. Sein schlichtes, schwarzes Outfit peppt er mit weißem Frack und Lederjacke auf, der Rest läuft von selbst. Denn Richie hat Witz, Charme und eine grandiose Stimme. Jeder Ton sitzt und wirkt so locker rausgesungen und easy like sunday morning.
Er weiß, wie er seine Fans umgarnt. Zum ersten Mal sei er noch als Mitglied der Commodores in München aufgetreten. „Und jetzt, 200 Jahre später, tanzt ihr immer noch wie damals“, kokettiert er. „Ihr liefert eine tolle Show, da muss ich nicht mehr viel machen.“ Aber natürlich liefert Richie ab, begleitet von fünf Bandkollegen, die ebenfalls ein paar fetzige Solos hinlegen - mal am Saxophon, mal an der Gitarre oder Mundharmonika - und sichtlich Freude haben am gemeinsamen Spielen. Als Richie den Fans ein paar Hüftschwünge und Tanzbewegungen vormacht, kichert sein Bandkollege und stimmt zum Spaß die ikonische Synthesizer-Melodie aus Ushers Lied „Yeah“ an. Dem habe er auch schon ein paar Tanztricks gezeigt, scherzt Richie.
„Say Hello To The Hits“ heißt die aktuelle Tour von Lionel Richie und der Name ist Programm
Mehr als 125 Millionen verkaufte Alben, vier Grammys, ein Oscar, Mitglied in der Rock 'n' Roll Hall of Fame, nicht umsonst gehört der US-Sänger zu den erfolgreichsten Künstlern. Nach seinem Durchbruch mit den Commodores verließ er die Band Anfang der Achtziger Jahre und startete seine Solo-Karriere - mit Erfolg. 1984 sang Richie bei den Olympischen Spielen in Los Angeles, Millionen Menschen sahen den Auftritt im Fernsehen, ein Höhepunkt seiner Karriere.
Die letzte Platte liegt nun schon einige Jahre zurück, 2012 veröffentlichte er das Country-Album „Tuskagee“, eine Hommage an seine Heimatstadt im US-Bundesstaat Alabama. Doch Richie war nie ganz weg, hatte einige Fernsehauftritte, saß als Jury-Mitglied in der Casting-Show „American Idol“ und gab dutzende Konzerte. „Say Hello To The Hits“ heißt seine aktuelle Tour und der Name ist Programm.
In München spielt er einen Hit nach dem anderen, Tanzbares wechselt mit Schmalzigem, die Fans feiern jeden Song. Der Stehraum in der fast ausverkauften Olympiahalle ist bestuhlt, aber niemand sitzt, zumindest bei fetzigen Nummern wie „Dancing On The Ceiling“ oder „Running With the Night“. Und auch Richie spaziert quietschfidel über die Bühne und sieht aus, als habe ihm die Zeit so gar nichts anhaben können. Sicher, ein paar Schweißperlen stehen ihm nach zwei Stunden Konzert auf der Stirn und ganz so geschmeidig wie früher ist der Hüftschwung nicht mehr, aber der Mann ist 76 Jahre alt - und trifft noch jeden Ton. Er beklatscht die Fans, verneigt und bedankt sich, echter Charmeur eben.

Mit Michael Jackson schrieb Lionel Richie den Song „We are the world“
Und dann wird es fast andächtig: „Gott hat die Welt nicht geschaffen, damit wir uns bekriegen. Unser Fundament ist die Liebe und wir sind eine Familie, dieser Saal ist das beste Beispiel.“ Ein bisschen Pathos und große Worte dürfen schon sein, bevor Richie seinen vielleicht größten Hit „We are the world“ anstimmt.
Mit seinem Freund Michael Jackson hatte er ihn geschrieben und in wenigen Wochen rund 50 Superstars zusammengetrommelt. Bob Dylan, Ray Charles, Stevie Wonder, Bruce Springsteen, Tina Turner, alle kamen in dieser legendären Nacht vor 40 Jahren zusammen, um das Lied aufzunehmen. Am Ende verließ eine tränenüberströmte, weil überwältigte, Diana Ross das Studio.

Mit ihr hatte Richie vier Jahre zuvor die Liebesballade „Endless Love“ aufgenommen. Auch die spielt er in München, täuscht einen Gastauftritt von seiner Duettpartnerin vor, steht dann aber doch allein da. „Seit 44 Jahren bitte ich Diana, mich zu begleiten, aber sie kommt einfach nicht mit“, sagt er. „Also müsst ihr mir helfen, Ladys.“ Und die Ladys helfen gern, singen, schunkeln und verteilen Küsschen an ihn und ihre Partner. Zum Dahinschmelzen.
Wer allein dasteht, witzelt Richie, hat seine Chance damals vertan. Mit „Truly“ habe er den perfekten Song geliefert, um die Angebetete zu erobern. „Ihr musstet nur den Arm um sie legen, ihr in die Augen schauen und sagen: Ist Lionel nicht großartig?“ So scherzt und singt er sich durch den Abend. „Ich könnte die ganze Nacht spielen“, sagt er. Macht er dann auch. „All night long“, der perfekte Rausschmeißer.
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