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Buch „Memminger Geheimnisse“: 50 spannende Geschichten erzählt Autorin Heike Thissen mit Kennern der Regionalgeschichte

Serie: „Memminger Geheimnisse“

Erinnerung an den „Käsebaron“

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    Die filigranen Initialen „B“ und „R“ erinnern an den Memminger Juden und Käseproduzenten Benno Rosenbaum.
    Die filigranen Initialen „B“ und „R“ erinnern an den Memminger Juden und Käseproduzenten Benno Rosenbaum. Foto: Heike Thissen

    50 spannende Relikte der Stadtgeschichte hat Autorin Heike Thissen mit Kennern der Regionalgeschichte im Werk „Memminger Geheimnisse“ zusammengetragen. In einer Serie stellen wir einige Kapitel vor. Heute: Initialen.

    Der Postreiter ist so präsent über dem Portal in der Kalchstraße 11, dass Passanten die verschnörkelten Initialen darunter leicht übersehen. Dabei sind sie es, die hier eine wichtige Geschichte erzählen, die nicht in Vergessenheit geraten darf. Denn die beiden Buchstaben „B“ und „R“ stehen für „Benno Rosenbaum“. Sie erinnern an ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Stadt Memmingen und des ganzen Landes.

    Wer damals in der Kalchstraße eine Käsehandlung führte

    Benno Rosenbaum (1883–1943) kam 1883 als Sohn einer jüdischen Familie in Memmingen zur Welt und war Anfang des 20. Jahrhunderts als sogenannter „Käsejude“ in der ganzen Stadt bekannt. Zusammen mit seiner Frau Martha, einer gebürtigen Frankfurterin, führte er in seinem Anwesen in der Kalchstraße eine Käsehandlung mit großem Lager und war einer der wohlhabendsten Juden in der Stadt.

    Mitte der 1920er-Jahre gehörte er dem Vorstand der jüdischen Gemeinde an, deren erster Vorsitzender er 1932 wurde. Ein Jahr später, nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten und die Stadt von der NSDAP mit dem Bürgermeister Heinrich Berndl (1887–1973) geführt wurde, lebten noch 161 Juden in Memmingen. Am Rathaus wehte die Hakenkreuzflagge, der Weinmarkt hieß Adolf-Hitler-Platz.

    Ausgrenzung, Diffamierung und Entrechtung: Als sich die Lebensbedingungen änderten

    Die Lebensbedingungen der Juden änderten sich damit schlagartig, vor allem auch wegen des Wirtschaftsboykotts, der auch Benno Rosenbaum traf. Ausgrenzung, Diffamierung und Entrechtung hatten massive Auswirkungen auf die jüdischen Familien. Und als ob die Schikanen nicht schon schlimm genug gewesen wären, fanden sie ihren ersten traurigen Höhepunkt in der sogenannten Reichspogromnacht am 9. November 1938 und – im Hinblick auf die Rosenbaums – auch noch am Tag danach.

    Der Betreiber des Internetportals Allgäu rechtsaußen, Sebastian Lipp, hat sich mit dem Schicksal der Rosenbaums intensiv auseinandergesetzt. In einem Beitrag über das Ehepaar zitiert er aus einem Protokoll der Staatsanwaltschaft, die 1946 zu den Vorgängen am 10. November 1938 – dem Tag nach der Reichspogromnacht – ermittelte: „Der Trupp SS-Angehöriger unter Führung von Kreisleiter Schwarz und Josef Veh zog zur Villa Benno Rosenbaums in der Kalchstraße 11 weiter. Josef Veh war wie üblich betrunken. Die Familie Rosenbaum hielt sich zu dieser Zeit in Frankfurt am Main auf.“

    Gestapo-Beamte hätten die Villa um die Mittagszeit versiegelt, gegen 11.30 Uhr sei das Siegel aufgebrochen worden, um wertvolle Bilder, Möbel und Porzellan im Wert von mindestens 20.000 Reichsmark zu zerstören. „Erst nach zwei Stunden verließ die Gruppe wieder das Haus, um weitere jüdische Wohnungen zu traktieren. Schwarz, Wagner und Kleinhaus besichtigten nach Abschluss das Ergebnis. Im Ganzen wurden an diesem Tag 23 Wohnungen jüdischer Bürger Memmingens und drei Geschäfte heimgesucht und zerstört“, steht im Protokoll.

    Das Schicksal der Juden in Memmingen

    Zeitgleich sprengten die Nationalsozialisten die erst 30 Jahre zuvor errichtete Synagoge am Schweizerberg und ließen sie von der Bevölkerung abbrechen. Ab 1940 wurden die jüdischen Einwohner in Memmingen dann zunehmend gettoisiert. Vom 30. Januar bis 13. März 1942 wurden 25 Juden von Memmingen aus über den Bahnhof deportiert.

    Diesem Schicksal versuchte Benno Rosenbaum mit seiner Frau zu entkommen. Unter dem anhaltenden Druck versuchte er 1941, sein Anwesen für 75.000 Reichsmark zu verkaufen. Die Stadt bot ihm lediglich 55.000 Reichsmark. „Der Stadt war bekannt, dass die Rosenbaums unter Zeitdruck standen, weil sie Ende August 1941 auswandern wollten“, schreibt Sebastian Lipp. „Der Landrat genehmigte dann die Transaktion und gestand den Rosenbaums 47.000 zu. Ob er das Geld wirklich bekommen hat, wissen wir nicht. Es ist nicht dokumentiert.“

    Ist der Familie Rosenbaum die Flucht gelungen?

    Zunächst sah es so aus, als sei den Rosenbaums die Flucht gelungen: 1941 reisten sie nach Montevideo in die Hauptstadt Uruguays aus. Doch Benno Rosenbaum konnte die Flucht aus der Heimat und das, was ihm und seiner Familie angetan worden war, nicht ertragen. Am 28. März 1944 beging er Selbstmord, die Spur von Martha verlor sich, über sie ist nichts weiter bekannt.

    In Memmingen sind die beiden dennoch nicht vergessen. Zum einen erinnern die Initialen „Bund „R“ in der Kalchstraße an Benno Rosenbaum. Zum anderen verlegte Ende 2019 Gunter Demnig, der Künstler und Initiator der Installation von sogenannten Stolpersteinen, seinen 75.000. und 75.001. Erinnerungsstein für das Ehepaar.

    Das Buch

    Die „Memminger Geheimnisse“ erscheinen in Kooperation zwischen der Mediengruppe Allgäuer Zeitung und dem Bast Medien Verlag. Das Hardcover hat 192 Seiten, ist durchgehend bebildert und kostet 24 Euro. Erhältlich ist es in den Geschäftsstellen der Allgäuer Zeitung sowie im Buchhandel. ISBN: 978-3-911514-00-2

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