Es ist morgens, kurz vor neun Uhr. Der Kardinaldekan steht an seinem Pult in der Synodenaula im Vatikan, die letzten Kardinäle trudeln zu den täglichen Beratungen ein. Die Südamerikaner sind etwas lauter, die Europäer eher bedächtig. Die Neuankömmlinge, die erst jetzt aus der ganzen Welt nach Rom gereist sind, werden mit einem Handschlag vom 91 Jahre alten Kardinal Giovanni Battista Re begrüßt. Manche, die sich bereits kennen, klopfen sich freundschaftlich auf die Schultern.
Stand jetzt werden am 7. Mai 133 Kardinäle der katholischen Kirche in die Sixtinische Kapelle zur Wahl des Nachfolgers von Papst Franziskus einziehen, es sind so viele wie noch nie. Die meisten kennen sich noch nicht, deshalb tragen sie Namensschilder. Per Powerpoint wird das Thema auf die Leinwand hinter dem Kardinaldekan geworfen: „Apostolica Sedes Vacans“ heißt es dort. Der Stuhl Petri ist vakant. Ein neuer Papst muss gewählt werden. Noch bis zum 6. Mai beraten die Kardinäle, die in Abwesenheit eines Papstes die Kirche leiten, in dieser Aula. Dann ziehen die Unter-80-Jährigen ins Konklave in der Sixtinischen Kapelle. Es wird gesungen, gebetet, der Heilige Geist beschworen. Aber natürlich wird auch taktiert, es werden Netzwerke geknüpft, Kandidaten durchgespielt und aufgebaut, wahrscheinlich wird sogar intrigiert.
Auch die Wahl von Jorge Borgoglio war minutiös vorbereitet worden
Beim letzten Konklave brachte eine Gruppe reformorientierter und von den Jahren unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. frustrierter Kardinäle ihren Kandidaten, Jorge Bergoglio aus Buenos Aires, durch. Die Kandidatur wurde bei Beratungen vorbereitet und während des Konklaves von einflussreichen Kardinälen angeschoben. Das ist nicht illegal, aber eben auch nicht nur Werk des Heiligen Geistes.
Bevor sie morgens die Synodenaula betreten, wartet ein Spießrutenlauf auf die Kardinäle. Journalisten versuchen am Petriano-Tor links vom Petersdom Statements der Prälaten zu erhaschen, um daraus Schlüsse über den Verlauf der Beratungen zu ziehen. Die Erzkonservativen kommen zusammen an, der US-Amerikaner Raymond Leo Burke, 76, mit Robert Sarah, 79, aus Guinea, beides wahrlich keine Franziskus-Freunde. Der Holländer Willem Jacobus Eijk, 71, steigt mit dem Ungarn Peter Erdö, 72, aus der Limousine, beide auch sehr traditionsorientiert. Ist das das Netzwerk, das Erdö, den konservativen Erzbischof von Esztergom-Budapest zum nächsten Papst wählen lassen will?
Die ganz Konservativen dürften es schwer haben
Doch die ganz Konservativen haben im Kollegium keine Mehrheit mehr. Begegnungen sollen im Nordamerikanischen Kolleg am Gianicolo-Hügel stattgefunden haben, die Lateinamerikaner kommen im Spanischen Kolleg zusammen. Auch die nur einen Steinwurf von Sankt Peter entfernt gelegenen Wohnungen in Rom ansässiger Kardinäle wie Sarah und Burke dienen für kleinere, abendliche Runden.
Doch bevor es kommenden Mittwoch ins Konklave geht und die Kardinäle nur noch im Speisesaal des Vatikan-Gästehauses Santa Marta oder auf ihren Zimmern kungeln können, nutzen sie ihre Freiheiten noch genüsslich aus. Die Wirte der Trattorien und Restaurants in Vatikan-Nähe können davon ein Lied singen. Mittags und abends füttern sie Prälaten, am nächsten Tag dann die Presse. Bekannte Kardinal-Restaurants sind das „Tre Pupazzi“ im Borgo Pio zwischen Apostolischem Palast und Engelsburg. Kardinal Georg Ludwig Müller, 77, hat dort in einem Hinterzimmer und in Begleitung eine Flasche Weißwein geleert, erfährt man. Mario Zenari, 79, päpstlicher Nuntius in Syrien, speiste jüngst frittierte Artischocken im „La Taverna“. Die Amerikaner Sean O‘Malley und Donald Wuerl waren im „Al Passetto di Borgo“, einem historischen Ort. Hier soll vor dem Konklave 2005 die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst abgestimmt worden sein.
Die vielleicht entscheidenden Treffen stehen noch aus
Die entscheidenden Treffen für die nächste Papstwahl stehen noch aus. Einflussreiche Modernisierer wie der Luxemburger Jean-Claude Hollerich oder der Malteser Mario Grech nutzten bereits die Weltsynode zum Networking. Vor allem zwei Faktoren bestimmen die kommenden Gespräche: Welches sind die programmatischen Präferenzen der immer größer gewordenen und in sich heterogenen Gruppe der Kardinäle aus Afrika, Asien und Lateinamerika? Und immer noch steht das Kennenlernen weit vorne auf der Agenda.
Als die Kardinäle am Sonntag nach dem Besuch in Santa Maria Maggiore am Grab von Franziskus in den Vatikan zurückfuhren, war vor allem die Neugier aufeinander groß. Der frühere Chef der italienischen Bischöfe, Gualtieri Bassetti, 83, erzählt: „Wir haben mit unseren Sitznachbarn gesprochen“, sagt der Kardinal. „Was machst du? Woher kommst du?“ Es klang noch nicht nach Konklave, sondern eher nach großer Klassenfahrt.
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