Ein „AfD-Unterstützungsprogramm“ nannte es Jens Spahn (CDU) in der Sendung Markus Lanz, größer „als es jeder Vorsitz in irgendeinem Ausschuss sein könnte.“ Sein Parteifreund, der Bundesvorsitzende der Polizeigewerkschaft DPolG Manuel Ostermann, forderte gar einen Untersuchungsausschuss, in dem sich die Außenministerin verantworten soll. Die Grünen konterten und warfen der Union ihrerseits „Trumpismus“ vor.
Das Bemerkenswerte an diesem Streit: Er dreht sich um ein Vorhaben, das ohnehin so gut wie eingestellt ist – nämlich das Bundesaufnahmeprogramm. Darüber werden seit der Machtübernahme der Taliban Menschen aus Afghanistan evakuiert, die als besonders gefährdet gelten. Journalisten und Anwälte sind darunter, aber auch ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr. Laut der Bundesregierung sind über die verschiedenen Verfahren bisher mehr als 35.000 Menschen eingereist. Davon mehr als 20.000 über das Ortskräfte-Programm.
Vorwurf gegen Afghanistan-Flüge: Einige der Einreisenden hätten falsche Papiere mitgeführt
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD das Aus für das Programm beschlossen. „Wir werden freiwillige Bundesaufnahmeprogramme so weit wie möglich beenden (zum Beispiel Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen“, heißt es dort. Trotzdem gibt es weiter Streit. Warum?
Vergangene Woche kochte die Auseinandersetzung erneut hoch. Da landete ein Flieger mit Menschen aus Afghanistan in Leipzig. Die Union unterstellte dem Außenministerium unter Annalena Baerbock, vor der Amtsübergabe noch möglichst viele Menschen nach Deutschland evakuieren zu wollen und damit Fakten zu schaffen. Das Ministerium verteidigte sich zwar damit, dass man den Menschen zuvor bereits Sicherheitsgarantien ausgesprochen hätte. Diesen käme man nun lediglich nach. Trotzdem gab die Rest-Ampel klein bei. Es würden keine weiteren Flüge mehr stattfinden, hieß es. Man überlasse das Thema der kommenden Regierung. Geplante Flüge wurden gestrichen.
Dann legte am Freitag die Bild-Zeitung nach und wies auf vermeintliche Sicherheitslücken hin. So seien nicht in allen Fällen Sicherheitsinterviews mit den Afghaninnen und Afghanen geführt worden. Die geschäftsführende Bundesregierung stritt das am Freitag zwar nicht ab. Erklärte aber, die Sicherheitsinterviews seien 2023 von der Ampel-Regierung als zusätzliche Maßnahme eingeführt worden. Man habe grundsätzlich dieselben Sicherheitsregeln angewandt, die Union und SPD unter Angela Merkel vereinbart hätten, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. „Und sie danach weiter verfeinert und optimiert.“
Ähnliche Programme gibt es auch für andere Länder, beispielsweise den Sudan
Ein weiterer Vorwurf gegen das Programm: Einige der Einreisenden hätten falsche Papiere mitgeführt. Auch dazu bekannte sich die geschäftsführende Bundesregierung. Hält die Aufregung aber für unbegründet. „Mir ist nicht bekannt, dass es bei den Einreisenden Zweifel an der Identität gegeben hätte“, sagte der Sprecher des Außenministeriums. Die Einreisenden hätten alle nötigen Dokumente vorgezeigt. „Diese sind auch alle geprüft worden.“ Häufig hätten sie aber zusätzliche Dokumente im Gepäck, die Deutschland nicht anerkennt. Dann werde meist standardmäßig ein Verfahren wegen Urkundenfälschung eingeleitet. „Dabei handelt es sich aber um zusätzliche Dokumente“. Die seien für die Einreise gar nicht relevant, sagte er. Und betonte: In kaum einem Verfahren würden so hohe Sicherheitsstandards gelten wie im Bundesaufnahmeprogramm.
Die CSU sieht das anders. „Nur ein Bruchteil der ankommenden Afghanen wurde offenbar umfassend überprüft“, sagte der Fraktionschef im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, unserer Redaktion. „Trotz erheblicher Zweifel an der Echtheit von Pässen, Heirats- und Geburtsurkunden hat Frau Baerbock bis zuletzt an den umstrittenen Aufnahmeprogrammen festgehalten.“ Von einer „Politik der Torschlusspanik“ sprach Holetschek. „Wer jetzt noch zu uns kommt, muss streng überprüft werden. Sicherheit steht an erster Stelle!“ Die Kommunen seien ohnehin bereits überfordert.
Die Bundesregierung darf vor der rechten Hetze gegen das Aufnahmeprogramm nicht einknicken und diese Menschen nicht im Stich lassen.
Wiebke Judith, Rechtspolitische Sprecherin der Organisation Pro Asyl
Geflüchteten-Hilfswerke kritisieren indes die Einstellung des Programms. „Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan ist für zahlreiche Frauen, LGTBIQ-Personen, Journalistinnen, Menschenrechtler und viele andere der letzte Rettungsanker, um der Taliban-Diktatur zu entkommen“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Organisation Pro Asyl, Wiebke Judith. „Die Bundesregierung darf vor der rechten Hetze gegen das Aufnahmeprogramm nicht einknicken und diese Menschen nicht im Stich lassen.“
Ähnliche Programme gibt es auch für andere Länder. So landete kürzlich eine Maschine mit Geflüchteten aus den Kriegsgebieten des Sudan. An Bord befanden sich nach Angaben der Bundesregierung „besonders schutzbedürftige Flüchtlinge“, darunter 77 Minderjährige. Viele hätten Folter und Gewalt erlebt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. In dem Land herrscht seit zwei Jahren Bürgerkrieg, bei dem Schätzungen zufolge 150.000 Menschen getötet wurden. Die von der Bundesregierung eingeflogenen Sudanesinnen und Sudanesen sind über das EU-Resettlement-Programm nach Deutschland gekommen. Auch das könnte unter der kommenden Regierung eingestellt werden. Neue Sicherheitszusagen werden im Moment jedenfalls nicht mehr erteilt.
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