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Gewinner und Verlierer des Koalitionsvertrags: Wo sich Union oder SPD durchgesetzt haben

Bundesregierung

Gewinner und Verlierer des Koalitionsvertrags: Wo sich Union oder SPD durchgesetzt haben

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    Haben zusammen einen Koalitionsvertrag geschmiedet: Friedrich Merz (links) und Lars Klingbeil.
    Haben zusammen einen Koalitionsvertrag geschmiedet: Friedrich Merz (links) und Lars Klingbeil. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Mehr als 140 Seiten ist der Koalitionsvertrag dick, er ergießt sich in aufwendigen Detailbeschreibungen. Strengere Regeln für die Migration, ein Mindestlohn von 15 Euro, die Abschaffung des Heizungsgesetzes: Was bleibt von den Wahlversprechen der Regierungsparteien übrig? Ein Überblick.

    Was plant die neue Bundesregierung zur Migration?

    „Wir werden einen neuen Kurs einschlagen“, versprach der künftige Kanzler Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags am Mittwochnachmittag. Und tatsächlich wird es die Aufgabe des wahrscheinlichen künftigen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt sein, hier eine spürbare Veränderung herbeizuführen. Der Umgang mit Migration wird strikter. So wird das Wort „Begrenzung“ der Migration ausdrücklich und zusätzlich zur „Steuerung“ wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen. Zurückweisungen direkt an den gemeinsamen Grenzen sollen vorgenommen werden - allerdings in Abstimmung mit den Nachbarländern. Inwieweit die da mitspielen, bleibt offen. Kritiker sehen zudem viele juristische Hürden. So ist unklar, ob sich das Völker- und Europarecht tatsächlich mit nationalen Regeln aushebeln lässt. Spannend wird auch sein, ob sich Merz bei der Zurückweisung an den Grenzen auf einen „Notstand in der Migrationsfrage“ berufen will. Die Migrationszahlen sind unter der Ampel-Regierung deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig möchte Schwarz-Rot, und das geht vor allem auf die SPD zurück, mehr Geld in die Integration investieren. Eine verpflichtende Integrationsvereinbarung soll künftig Rechte und Pflichten der Geflüchteten definieren. Die von der Ampel-Regierung beschleunigte Einbürgerung nach drei Jahren für besonders gut integrierte Zuwanderer soll hingegen wieder abgeschafft werden.

    Was passiert mit dem Bürgergeld, das die Union im Wahlkampf immer wieder so heftig kritisiert hat?

    Friedrich Merz hat die Abschaffung des Bürgergeldes versprochen und am Ende haben CDU und CSU sich damit durchgesetzt. Die neue Regierung wickelt das Bürgergeld gut zwei Jahre nach seiner Einführung schon wieder ab. Statt des Bürgergeldes soll es eine „Neue Grundsicherung“ geben. Wie die genau aussieht, muss im Gesetzgebungsverfahren erst noch geklärt werden. Klar ist aber: Es wird eine neue Berechnungsgrundlage eingeführt, die zu einer Verringerung der Bezüge führt. Gleichzeitig werden die Sanktionen verschärft, wenn Grundsicherungsempfänger nicht arbeiten gehen, obwohl sie es könnten. Vermittlung in Arbeit soll bei arbeitsfähigen Menschen Vorrang haben.

    Welche Veränderungen werden für Arbeitgeber kommen?

    Ein Punkt, der an die Union geht, ist die Einführung einer Wochenhöchstarbeitszeit. Sie soll die tägliche Begrenzung von maximal acht Stunden plus möglicher Verlängerung um zwei Stunden ersetzen. Auch hier darf man auf die konkrete Ausgestaltung gespannt sein, die parlamentarische Auseinandersetzung darüber könnte zum Streitfall zwischen Union und SPD werden. Denn die Lesart der Schwarzen ist, dass eine Wochenhöchstarbeitszeit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. Den Roten schwant hingegen Böses: Sie vermuten, dass die neue Regelung von den Arbeitgebern ausgenutzt wird, weil die ihre Beschäftigten praktisch nach Belieben einsetzen können. Auch die Gewerkschaften haben große Bedenken gegen die mögliche Ausweitung der täglichen Arbeitszeit. Sie befürchten das Ende des üblichen Acht-Stunden-Tags, der seit 1918 in Deutschland gilt. Womöglich entscheidet die neue Regierung aber endlich einmal darüber, wie die Arbeitszeiterfassung gesetzlich umgesetzt wird.

    Die Wirtschaft braucht einen Schub – kommt er?

    Das Thema Wirtschaft steht gleich zu Anfang des Koalitionsvertrags und nimmt erwartungsgemäß großen Raum ein. Auch als Reaktion auf die protektionistische Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump soll es erhebliche Anreize beim Kauf eines E-Autos geben. Geplant ist eine steuerliche Begünstigung von Dienstwagen durch eine Erhöhung der Bruttopreisgrenze bei der steuerlichen Förderung auf 100.000 Euro. Bisher endet die Förderung bei einem Kaufpreis von 65.000 Euro. Das Lieferkettengesetz – es regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten – wird abgeschafft. Die Wirtschaft hatte es wegen zahlreicher Kontrollpflichten immer wieder kritisiert. Um die stromintensiven Branchen zu entlasten, soll es einen Industriestrompreis geben. Das Ziel ist eine Entlastung um mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde. Mit einem Deutschlandfonds will die nächste Bundesregierung außerdem Investitionen ankurbeln. Er soll mindestens zehn Milliarden Euro vom Bund in Garantien oder finanziellen Transaktionen umfassen.

    Gibt es einen Bürokratieabbau unter Union und SPD?

    Der Koalitionsvertrag macht Mittelstand, Handwerk und Selbstständigen Hoffnung auf einen schnellen Bürokratieabbau – den allerdings haben die vorherigen Regierungen regelmäßig auch zugesagt und immer trat das Gegenteil ein. Jedenfalls soll es für die genannten Berufsgruppen flexiblere gesetzliche Rahmenbedingungen, einfachere Vergabeverfahren und schnellere Genehmigungsprozesse geben. Fürs ganze Land gilt: „Wir bauen Bürokratie und Dokumentationspflichten ab, vereinfachen Normen und Standards mittelstandsgerecht, reduzieren die Nachweisführung von Fördermitteln und erleichtern den Zugang zu Innovationsprogrammen.“

    Neue Bundesregierung: Wie sieht es künftig mit der Rente aus?

    Es kommt immer auf die Wortwahl an, das gilt auch für die Rente. Statt von einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist im Koalitionsvertrag hiervon die Rede: „Arbeiten im Alter machen wir mit einer Aktivrente attraktiv“. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei. Ferner werden die Hinzuverdienstmöglichkeiten bei der Hinterbliebenenrente verbessert. Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren wird auch künftig möglich bleiben. Unklar ist noch, ob die Standardrente – es handelt sich um einen Durchschnittswert zur Berechnung der tatsächlichen Rentenhöhe – bald auf der Grundlage von 47 Beitragsjahren ermittelt wird und nicht mehr wie bisher auf der Basis von 45 Jahren. Die Folge dieses Unions-Wunsches wäre, dass Versicherte zwei Jahre länger arbeiten müssten, um auf dieselbe Rente zu kommen wie heute. Grundsätzlich wollen Union und SPD das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent gesetzlich festschreiben. Schon 2026 soll außerdem die „Frühstart-Rente“ ins Leben gerufen werden. Für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, werden pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot eingezahlt. Der angesparte Betrag kann anschließend ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden. Das ist im Prinzip die Fortsetzung der Aktienrente, die bei der Ampel eingeführt wurde.

    Wie sieht es mit Erleichterungen oder Verbesserungen für Ärmere aus?

    Union und SPD peilen für nächstes Jahr einen Mindestlohn von 15 Euro in der Stunde an. Die Entscheidung darüber bleibt jedoch bei der zuständigen Kommission von Experten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro pro Stunde. Von einer Erhöhung des Mindestlohns würden nach Schätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds etwa sechs Millionen Menschen mit sehr schmalem Einkommen profitieren. Ziel ist zudem eine höhere Tarifbindung. „Deswegen werden wir ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg bringen“, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages. Für kleinere Unternehmen soll es Ausnahmen geben. Auch steuerlich sollen kleine und mittlere Einkommen entlastet werden. Wie aus dem Koalitionsvertrag hervorgeht, soll das zur Mitte der Legislatur passieren, also in etwa zwei Jahren. Details nennen die Parteien allerdings nicht.

    Was bedeuten die Pläne von Union und SPD für Patienten?

    Künftig sollen Patienten in der Regel erst zum Hausarzt, um einen Facharzttermin vermittelt zu bekommen. Der Besuch beim Augen- oder Frauenarzt ist davon ausgenommen. Dieses sogenannte „Primärarztsystem“ soll eine bessere Patientensteuerung ermöglichen und damit die Facharztpraxen und Krankenkassenkosten entlasten. Im Gegenzug sollen Patienten schnellere Facharzttermine erhalten. Ausnahmen soll es für chronische Kranke geben, etwa mit Jahresüberweisungen. Auch soll in vielen Fällen etwa bei Verschreibungen der quartalsweise Besuch beim Arzt zum Abrechnen mit der Chipkarte auf jährlich umgestellt werden. Zudem soll die Elektronische Patientenakte soll noch dieses Jahr Pflicht werden. Im Vertrag ist von einer „verpflichtenden sanktionsbewehrten Nutzung“, aber nicht von bisherigen Widerspruchsmöglichkeiten die Rede. Bis zum Sommer soll die von der Ampel-Koalition beschlossene Krankenhausreform überarbeitet werden. So soll es die von Bayern, Baden-Württemberg und anderen Bundesländern geforderten Ausnahmeregelungen zur Sicherstellung der Grund- und Notfallversorgung der Menschen „besonders im ländlichen Raum“ geben.

    Was plant die neue Bundesregierung in der Pflege?

    Die Koalition will zusammen mit den Ländern und Kommunen noch in diesem Jahr ein Konzept für eine große Pflegereform vorlegen, die insbesondere Vorschläge zur Begrenzung der hohen finanziellen Eigenanteile machen soll. Außerdem soll die Situation pflegender Angehöriger gestärkt werden, und es Anreize für eine finanzielle Eigenvorsorge gegen hohe Pflegekosten im Alter geben. „Die Kommission legt ihre Ergebnisse noch 2025 vor“, heißt es im Vertrag.

    Eines der umstrittensten Gesetze der Ampel war das Heizungsgesetz. Bleibt es erhalten?

    Nein, Union und SPD wollen das Heizungsgesetz streichen und durch neue Vorgaben ersetzen. Das neue Gebäudeenergiegesetz solle „technologieoffener, flexibler und einfacher“ werden. Die erreichbare CO2-Vermeidung solle „zur zentralen Steuerungsgröße“ werden.

    Was plant die neue Bundesregierung für Familien?

    Union und SPD wollen die Kinderbetreuung verbessern und dabei auch die Bildungsgerechtigkeit verbessern. „Massive Investitionen in Kitas und Schulen werden die Chancengleichheit in unserem Land deutlich erhöhen“, heißt es in dem Vertrag. Auch könnte es mehr Elterngeld geben: „Wir wollen die Einkommensgrenze sowie den Mindest- und Höchstbetrag spürbar anheben.“ Offenbar wollen Union und SPD damit auch wieder korrigieren, dass Spitzenverdienern das Elterngeld ab 200.000 Euro zu versteuerndem Einkommen von der Ampel-Koalition gestrichen wurde. Familien, aber auch pflegende Angehörige mit kleinen und mittleren Einkommen könnten möglicherweise bald Zuschüsse vom Staat für die Beschäftigung von Haushaltshilfen bekommen, um die Belastung im Alltag besser bewältigen zu können.

    Wird die schwarz-rote Koalition etwas an den Ministerien ändern?

    Die künftige Regierung will die lange vernachlässigte Digitalisierung stärken und richtet deshalb ein Digitalministerium ein. Es entsteht also ein zusätzliches Haus. Das Forschungsministerium wird zudem künftig auch für das Thema Raumfahrt zuständig sein, vor allem Bayern mit seinen vielen Raumfahrtfirmen will diesen Forschungsbereich vorantreiben. Insgesamt gehen sieben Ministerien an die CDU, drei an die CSU und die SPD ebenfalls sieben – trotz des mageren Wahlergebnisses von 16,4 Prozent.

    Wann wird Deutschland einen neuen Kanzler haben?

    Das klappt wohl nicht bis Ostern, wie es Merz einmal als Ziel vorgegeben hat. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rechnet damit, dass der CDU-Chef Anfang Mai im Bundestag zum Kanzler gewählt wird, es könnte auf den 7. Mai hinauslaufen. „Das sind einfach die Zeitabläufe, die jetzt durch einen Mitgliederentscheid der SPD bedingt sind“, sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Nach der Einigung auf einen Koalitionsvertrag müssen die drei Parteien noch zustimmen, bevor er dann unterzeichnet und Merz zum Kanzler gewählt werden kann. Bei der SPD stimmen die Mitglieder darüber ab, bei der CDU soll ein kleiner Parteitag darüber entscheiden, bei der CSU der Vorstand. Das Mitgliedervotum der SPD nimmt mindestens zehn Tage in Anspruch. Wegen der Osterfeiertage nächste Woche dürfte es aber ein paar Tage länger dauern.

    Wie harmonisch kann die Zusammenarbeit zwischen Union und SPD werden?

    Für Merz wird die schwierigste Aufgabe wohl darin bestehen, die eigene Partei zu befrieden. Denn dort rumort es. Auch, weil zum ersten Mal überhaupt die AfD in einer Umfrage die Union überholt hat. Gut sechs Wochen nach der Bundestagswahl kommt die Partei in der Sonntagsfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos auf 25 Prozent. Die Union liegt in der Erhebung knapp dahinter bei 24 Prozent. Sie verliert damit mehrere Punkte im Vergleich zu ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl am 23. Februar (28,5 Prozent). Die AfD gewinnt hingegen deutlich (Wahlergebnis: 20,8). Die SPD kommt bei Ipsos auf 15 Prozent (16,4), die Grünen auf 11 Prozent (11,6) ebenso wie die Linken (8,8). Merz muss also liefern, doch eine Koalition zwingt die Politik immer zu Kompromissen. Die Frage wird sein, ob die Wählerinnen und Wähler einen echten Politikwechsel erkennen. Auch die CSU wird weiterhin Ansprüche geltend machen.

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