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Kommentar zum Koalitionsvertrag: Merz hat zu viel versprochen

Kommentar

Friedrich Merz hat den Deutschen zu viel versprochen

Michael Stifter
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    Friedrich Merz hat es geschafft: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Damit ist der Weg ins Kanzleramt für ihn frei.
    Friedrich Merz hat es geschafft: Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht. Damit ist der Weg ins Kanzleramt für ihn frei. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Friedrich Merz ist nur noch einen kleinen, einen letzten Schritt vom Kanzleramt entfernt. Vergleichsweise geräuschlos und schnell haben CDU, CSU und SPD ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ zurechtgezimmert — und sich vorher noch ein mächtiges Startkapital via Sondervermögen genehmigt. In normalen Zeiten gute Ausgangsbedingungen für eine neue Regierung. Aber die Zeiten sind eben nicht normal. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen. Merz wird sie kaum erfüllen können.

    Das liegt nicht nur an weltpolitischen Erschütterungen dieser Tage, zu großen Teilen hat sich der 69-Jährige das auch selbst zuzuschreiben. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, muss sich Merz eingestehen, dass er den Deutschen sehenden Auges viel mehr versprochen hatte, als er halten kann.

    Viele Wähler fühlen sich schon jetzt getäuscht vom neuen Kanzler

    Dass der CDU-Chef das tief verunsicherte Land wieder in Ordnung bringen wird, ohne dafür eine Menge frisches Geld (also neue Schulden) in die Hand zu nehmen, schien schon im Wahlkampf nicht besonders glaubwürdig. Schon wenige Tage nach seinem wackeligen Wahlsieg flog ihm dieses Versprechen um die Ohren. Millionen Wählerinnen und Wähler fühlen sich bewusst getäuscht. Und auch an der CDU-Basis rumort es seit Wochen.

    In der Asylpolitik, die der Sauerländer „ohne Kompromisse“ umkrempeln wollte, droht ein ähnliches Szenario. Was tatsächlich rechtlich möglich und mit dem Partner SPD politisch machbar ist, blendete er weitgehend aus. Man kann ihm und seinem künftigen Innenminister — wahrscheinlich wird es Alexander Dobrindt (CSU) sein, mit dem er an der Spitze der Bundestagsfraktion gute Erfahrungen gemacht hat — nur Glück wünschen, dass tatsächlich eine überzeugende Wende in der Migrationspolitik gelingt. Denn nur diese wird den rechtsradikalen Scharfmachern im Bundestag den Wind aus den Segeln nehmen.

    Friedrich Merz muss die Wirtschaft wieder in Schwung bringen

    Ähnliches gilt für die Wirtschaftspolitik, die das erste Kapitel des Koalitionsvertrages bildet. Hier galt Merz für viele Wählerinnen und Wähler als Hoffnungsträger. Er, der Wiedereinsteiger, der sich auf dem freien Markt bewiesen hatte. Doch erstens war er in seinen Jahren außerhalb der Politik mehr in Aufsichtsräten aktiv als im operativen Geschäft und zweitens könnten die Rahmenbedingungen schwieriger kaum sein. Drei Jahre ohne Wachstum treffen auf den beispiellosen Zollkrieg, den Donald Trump weltweit entfesselt hat. Keine gute Kombination. Erst recht dann nicht, wenn der Aufschwung mit horrenden Schulden den nächsten Generationen in Rechnung gestellt wird. Merz kündigte am Mittwoch unter anderem einen „Investitionsbooster“ und eine Reduzierung der Energiepreise an.

    144 Seiten hat der Koalitionsvertrag, den der künftige Kanzler an diesem Mittwoch gemeinsam mit den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sowie CSU-Chef Markus Söder in Berlin vorgestellt hat. Es gibt ja auch viel zu tun. Doch Merz geht nicht nur mit der Hypothek seiner eigenen, von Anfang an unrealistischen Prophezeiungen ins Rennen, sondern auch mit der Bürde, der unpopulärste Politiker zu sein, der je ins Kanzleramt eingezogen ist. Nun kann, nun muss er beweisen, dass er zumindest ein guter Krisenmanager ist. Krisen warten jedenfalls an allen Ecken und Enden: die anhaltende Wirtschaftsflaute, der Höhenflug der Demokratieverächter von Rechtsaußen, der Krieg in der Ukraine, die Abkehr des einstigen großen Bruders USA von Europa.

    Die Enttäuschung über Friedrich Merz kann auch verfliegen

    Die Enttäuschung über gebrochene Versprechen kann verfliegen, wenn Schwarz-Rot am Ende doch abliefert. Wenn die Ministerinnen und Minister von CDU, CSU und SPD schnell in ihre Rollen finden. Wenn es gelingt, einen neuen Geist des Miteinanders in dieser Regierung zu etablieren, der Sozialdemokraten, Grünen und FDP in ihrem unheilvollen Bündnis komplett abhandengekommen war. Wenn sich das Land wirtschaftlich und politisch stabilisiert. Es könnte dem neuen Kanzler persönlich im Übrigen auch Glaubwürdigkeit zurückgeben, würde er die eigenen Fehleinschätzungen der vergangenen Monate offensiv einräumen.

    Sie wollen das Land wieder in Ordnung bringen. Die Spitzen der künftigen Regierungsparteien CSU, CDU und SPD (von links): Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken
    Sie wollen das Land wieder in Ordnung bringen. Die Spitzen der künftigen Regierungsparteien CSU, CDU und SPD (von links): Markus Söder, Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Saskia Esken Foto: Michael Kappeler, dpa

    Friedrich Merz steht kurz davor, sich seinen Traum vom Kanzleramt zu erfüllen. Doch damit fängt die Arbeit, die Bewährungsprobe, der Druck erst an. Der CDU-Vorsitzende geht auf die 70 zu, er wird so oder so ein Übergangskanzler sein. Doch nun ist es an ihm, diesen Übergang in die neue Weltordnung für Deutschland so zu gestalten, dass dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger neuen Mut und neues Selbstvertrauen schöpfen. Eine Aufgabe, wie sie größer kaum sein könnte. „Deutschland steht vor historischen Herausforderungen“ — so steht es in der Präambel des Koalitionsvertrages. Das gilt auch für Friedrich Merz.

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