Die Terminvergabe beim Arzt soll schneller werden. Das haben sich Union und SPD vorgenommen. Sie wollen dafür ein „verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte“ einführen, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Im Alltag bedeutet dies, dass in der Regel zuerst eine Hausarztpraxis aufgesucht werden soll, bevor es zum Facharzt geht. Während der Bayerische Hausärzteverband dies begrüßt, läuft der Bayerische Facharztverband dagegen Sturm und sieht die Versorgung gefährdet.
Klaus Holetschek war an den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD in Berlin beteiligt. Der CSU-Landtagsfraktionschef sagte unserer Redaktion, man sehe die Hausärzte in einer „Lotsenfunktion“, damit Patienten nicht planlos von Facharzt zu Facharzt wandern, was oft zu unnötigen Doppeluntersuchungen, Kosten und einer schlechter abgestimmten Behandlung führen würde. Außerdem kenne der Hausarzt oder die Hausärztin die Vorgeschichte der Patienten besser, sehe Probleme frühzeitig und könne gezielt zu Spezialisten überweisen. „Im besten Fall führt es dazu, dass sich der Druck auf die Facharztpraxen verringert und deren Kapazitäten zielgerichteter eingesetzt werden können als bisher.“ Patienten, die den vorgesehenen Weg über ihren Hausarzt beziehungsweise ihre Hausärztin gehen, soll im Gegenzug garantiert werden, anschließend bei Bedarf ohne lange Wartezeit einen Termin beim Facharzt oder alternativ zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus zu bekommen.

Das Primärarztmodell könnte wohl frühestens 2026 starten
Wichtig sei aber: Es dürfe keine neue Bürokratie entstehen und es brauche bei der Ausgestaltung des Modells „klare Spielregeln“ für Patienten, Hausärzte und Fachärzte – alle Beteiligten müssten an einen Tisch, „damit das Modell auch den Praxischeck besteht“. Ausnahmen soll es bei der Augenheilkunde und der Gynäkologie geben. Zudem müssten für schwer chronisch kranke Menschen praktikable Lösungen gefunden werden. Sollte das Modell beschlossen werden, sei mit einem gestaffelten Start ab frühestens 2026 zu rechnen.
Auch CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge, der zu den möglichen Kandidaten für das Amt des Bundesgesundheitsministers zählt, sagte unserer Redaktion: „Wir brauchen mehr Steuerung, um schnelle Facharzttermine für diejenigen Patienten freizuhalten, die sie am dringendsten brauchen. Zu oft werden eigenmächtig Facharzttermine gebucht, obwohl das medizinisch nicht immer sinnvoll ist.“ Dennoch werde es auch in Zukunft möglich sein, so Sorge, direkt eine Facharztpraxis aufzusuchen. „Das könnte dann aber mit einer Eigenbeteiligung oder einer längeren Wartezeit verbunden sein, falls man zuvor ohne Grund auf den Rat des Primärarztes verzichtet hat.“
Mit einem Hörsturz mache es keinen Sinn, zuerst zum Hausarzt zu gehen
Der HNO-Arzt und Sprecher des Bayerischen Facharztverbands, Dr. Klaus Stefan Holler, betonte dagegen: „Die Wartezeiten auf einen Facharzttermin sind, außer in der Schweiz, weltweit nirgendwo so kurz wie in Deutschland.“ Auch er spricht sich für eine „strukturierte Patientensteuerung“ aus, „allerdings auf Basis von Eigenverantwortung und Freiwilligkeit. Staatliche Zwangssysteme wie das geplante hausärztliche Primärarztsystem lehnen wir ab. Weder ist dies umsetzbar, noch gewährleistet es die Patientensicherheit“. Es mache einfach keinen Sinn, dass ein Patient beispielsweise mit einem Hörsturz, einer gebrochenen Nase oder einem geschwollenen Knie sich primär beim Hausarzt vorstellt und dann erst zum Facharzt kommt. Viele Patienten wüssten überdies, wo sie mit welchem Problem am besten aufgehoben sind.
Dagegen warnte der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, Dr. Wolfgang Ritter, im Gespräch mit unserer Redaktion vor teils gefährlichen Folgen, wenn Patienten ungesteuert von Facharzt zu Fachärztin laufen: „Wir haben leider ein honorargesteuertes Gesundheitssystem“, was seiner Ansicht nach beispielsweise zu medizinisch unnötigen Operationen in vielen Bereichen führt. Es sei durch viele Studien erwiesen, dass Patientinnen und Patienten von einem Primärarztmodell gesundheitlich stark profitierten. Auch ist sich Ritter sicher: „Ohne eine sinnvolle Patientensteuerung über uns Hausärzte fährt das deutsche Gesundheitssystem mittelfristig an die Wand.“
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