Ständig steigende Todes- und Infektionszahlen und jetzt auch noch eine neue Virusvariante: Die Corona-Situation in Deutschland wird immer bedrohlicher. „Die Lage ist dramatisch ernst. So ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt der Pandemie“, warnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin.
Angesichts der in Südafrika entdeckten neuen Covid-Variante B.1.1.529 "Omikron" schrillen bei der Regierung alle Alarmglocken. Fluggesellschaften dürfen nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern. Es gilt nach Ankunft eine 14-tägige Quarantäne für alle. Der Pharmakonzern Biontech prüft bereits, ob sein Impfstoff dem heftig mutierenden Virus standhalten kann. Derweil wächst der Druck auf die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Die Frage scheint nicht mehr zu sein, ob ein bundesweiter Lockdown kommt. Sondern nur noch, wann er ausgerufen wird.
Die Intensivstationen laufen voll
Die Zahl der Corona-Toten lag am Freitag bei rund 100.500 Menschen. Gleichzeitig kommen tägliche tausende Neuinfizierte hinzu. Spahn und der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, warnten vor einem Kollaps der Intensivstationen. Bereits jetzt müssten Dutzende Patienten bundesweit in andere Kliniken verlegt werden.
In Südafrika ist B.1.1.529 durch eine rasche Ausbreitung aufgefallen. Die Gefährlichkeit besteht darin, dass das Virus viele Mutationen kombiniert, „die wir aus anderen besorgniserregenden Varianten kennen“, wie der Virenforscher Richard Neher von der Uni Basel erklärte. Etwas Trost gibt es immerhin: Die gängigen PCR-Test dürften nach Erwartung des Experten anschlagen. Außerdem gibt es Hoffnung, dass die Impfstoffe gegen die neue Variante wirken.
Biontech prüft seinen Impfstoff auf die neue Variante
Eine Biontech-Sprecherin erklärte, dass sich das Unternehmen die Variante bereits anschaue. Geduld ist gleichwohl vonnöten. „Spätestens in zwei Wochen erwarten wir weiterführende Daten aus den Labortests“, sagte die Sprecherin. Dann werde klar sein, ob die Virus-Variante „eine Anpassung unseres Impfstoffs erforderlich macht, wenn sich diese Variante international ausbreitet“.

Spahn sagte dazu, es müsse alles getan werden, um den Eintrag der Variante zu vermeiden. „Das ist das Letzte, was wir jetzt in unserer momentanen Lage noch brauchen können, dass in die Welle hinein noch eine zusätzliche Variante kommt.“
Schneller noch als Tests und Impfungen könnten Spahn und Wieler zufolge massive Kontaktbeschränkungen die vierte Corona-Welle brechen. Beide nahmen das Wort Lockdown zwar nicht in den Mund, ihre Ausführungen dazu waren aber eindeutig. „Umso stärker wir jetzt auf die Bremse treten, desto besser“, sagte Spahn und regte an, die 2G-Plus-Regel konsequent anzuwenden, sowie Großveranstaltungen und Feiern abzusagen.
Schärfere Corona-Maßnahmen? Wieler und Spahn greifen Scholz scharf an
Spahn forderte eine schnelle Ministerpräsidentenkonferenz bereits in der nächsten Woche und griff die künftige Regierung aus SPD, FDP und Grünen scharf an. „Einige sagen, man wolle jetzt erst einmal zehn Tage schauen“, kritisierte er mit Blick auf Äußerungen aus der Ampel, man werde am 9. Dezember überprüfen, ob es schärfere Corona-Maßnahmen brauche. Das sei viel zu spät. Spahn wies auch den Plan des designierten Kanzlers Olaf Scholz zurück, einen Bund-Länder-Krisenstab einzurichten. Das gebe es so alles schon, machte Spahn deutlich und wurde in dieser Einschätzung von Wielerüberraschend offensiv unterstützt. Die notwendigen Daten könnten in Echtzeit angerufen werden, wies der RKI-Chef den von Scholz erweckten Eindruck zurück, dass dem nicht so sei.
Die Ampel-Parteien drücken sich bislang vor einer Antwort auf die Frage, ob ein bundesweiter Lockdown kommen muss. Der Druck indes wächst. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa forderte eine „einheitliche Bundesnotbremse“. Wie Söder forderte auch sein baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) eine raschere Ministerpräsidentenkonferenz. Es gibt aber auch andere Stimmen aus den Ländern. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) etwa hält ein Vorziehen für überflüssig.
