Für den Tourismus im Allgäu gehörte er viele Jahre zu den wichtigsten Akteuren: Bernhard Joachim war Chef des Tourismusverbands Allgäu/Bayerisch-Schwaben und einer von zwei Geschäftsführern der Allgäu GmbH, die die politischen und wirtschaftlichen Interessen der Region bündelt.
Am Freitag geht der Wahl-Allgäuer in den Ruhestand. Als Gast unserer Redaktion hat er Bilanz gezogen – und dabei die aktuelle Lage im Tourismus mit der Zeit verglichen, als er vor 21 Jahren ins Allgäu kam. Joachim macht aber auch Vorschläge, wie der Tourismus künftig noch stärker unterstützt werden könnte.
Als Bernhard Joachim vor 21 Jahren im Allgäu anfing...
... sahen die Strukturen für die Vermarktung der Region noch ganz anders aus.
„Ich habe damals Allgäu Marketing gegründet“, erinnert er sich. Die Gesellschaft ging 2011 in die Allgäu GmbH über. Hier habe man eine Qualitätsmarke geschaffen mit dem Tourismus und der übrigen Wirtschaft unter einem Dach. Joachim bezeichnet das als „großen Wurf“, der Vorbild für viele andere Regionen gewesen sei.
Mit dem Tourismus im Allgäu sei es in den vergangenen 20 Jahren „quasi stets bergauf gegangen“. Das betreffe die Übernachtungszahlen, mehr noch aber die Qualität der Angebote, in die viele Anbieter investiert hätten. In Kombination mit dem hohen Bekanntheitsgrad der Region sei dies ein Erfolgsrezept gewesen.
... waren die Begriffe Overtourism und Klimawandel für Tourismus-Manager noch Fremdworte.
Joachim spricht von „vermeintlichem Overtourism“. Dennoch sei aus dieser Diskussion zuletzt das Bewusstsein entstanden, dass man in Lebensräumen denken müsse – Einheimische, Gäste und Natur sollten im Einklang sein. Das gelte fürs Skitourengehen genauso wie etwa fürs Mountainbiken. Die dabei geltenden Regeln müssten alle befolgen. Joachim weiß aber auch: Die „Schmerzgrenze“ bei den Einheimischen sei oft sehr subjektiv: Für manchen seien schon zu viele Touristen unterwegs, wenn sie das morgendliche Gipfelerlebnis mit anderen teilen oder beim Bäcker anstehen müssten.
„Den Klimawandel haben wir natürlich“, sagt Joachim – aber der wahre Feind des Wintersports sei der demographische Wandel, zumal weniger junge Leute als früher zum Skifahren gingen. Für den Klimawandel brauche es „Anpassungsstrategien“. Dann fahre etwa ein Coaster statt eines Lifts. Zudem kann sich Joachim einen Solidaritätsfonds vorstellen: Große Bergbahnen unterstützen die kleinen Lifte: „Denn an den kleinen Anlagen wird der Nachwuchs herangezogen. Man geht nicht am ersten Skitag ans Fellhorn.“
... gab es im Allgäu mehr Fachkräfte und bezahlbare Personal-Wohnungen.
„Es leben inzwischen mehr Menschen in der Region, die zudem mehr Wohnraum als früher beanspruchen“, sagt Joachim. Deshalb gebe es Probleme. Bei den Fachkräften dagegen habe die Region „inzwischen gut nachgesteuert“, gerade in der Hotellerie.
Das liege auch an höheren Löhnen und mehr Freizeit für Beschäftigte. Viele Mitarbeitende aus Osteuropa kämen über den Allgäu Airport hierher. Doch natürlich mache sich der Fachkräfte-Mangel auch in der Region bemerkbar, wenn man etwa verkürzte Öffnungszeiten in der Gastronomie betrachte.
... verbrachte der einzelne Gast mehr Urlaubstage in der Region.
„Die Verweildauer sinkt zumindest nicht weiter“, sagt Joachim. Sie liege im Schnitt bei etwa vier Tagen, vor 21 Jahren waren es noch etwa fünf. Im Vergleich mit anderen Alpendestinationen bewege sich das Allgäu über dem Schnitt. Insgesamt hätten sich die Gäste-Ankünfte im Allgäu in den vergangenen 20 Jahren von knapp zwei auf fast vier Millionen verdoppelt.
... hieß die Konkurrenz des Allgäus nicht Sölden oder Südtirol.
„Früher haben wir uns an solchen Regionen orientiert“, sagt Joachim. „Heute sind wir auf Augenhöhe.“ Im Hinblick auf die Konkurrenz aus dem Ausland bestehe das Problem, dass die Mehrwertsteuer-Sätze in Europa sehr unterschiedlich sind: „Es gibt Länder, die zur Förderung des Tourismus an dieser Schraube drehen“, das mache es schwieriger fürs Allgäu.
Als Booster für den Allgäuer Tourismus kann sich Joachim einen „Heimat-Euro“ vorstellen, den jeder Gast pro Übernachtung zahlt. Mit diesen Erlösen könnte man „etwa für den Nahverkehr etwas tun“. Die eine Hälfte der Einnahmen könnte vor Ort bleiben, die andere in der Region, sagt der Tourismus-Manager. Diese Idee sei auch schon bei der zuständigen Ministerin Michaela Kaniber platziert worden.
... kamen fast genauso viele Menschen wie heute mit dem Auto ins Allgäu und wurde bald eine Charterflug-Verbindung von Dortmund nach Memmingen etabliert.
In Deutschland habe das Auto immer noch eine viel größere Bedeutung als der Öffentliche Verkehr. Das ändere sich viel zu langsam, sagt Joachim. Für eine innerdeutsche Flugverbindung seien dagegen „die Zeiten vorbei“. Joachim verweist hier auf die gesellschaftlichen Diskussionen. Auch er setze sich bei solchen Reisen jetzt in den Zug, berichtet der Tourismus-Manager. Am Allgäu Airport gibt es schon seit Jahren keine innerdeutschen Verbindungen mehr.
... gab es noch keinen Mobilitäts- oder Nachhaltigkeitsmanager und kein Parkraum-Konzept.
Solche Entwicklungen seien heute nötig, um in einer Tourismus-Region „das Zusammenleben so zu organisieren, dass sich Gäste und Einheimische miteinander wohl fühlen“. Bei der Mobilität könne die Allgäu GmbH nur ihre Vorstellungen formulieren, aber die Projekte nicht umsetzen. Bei der Nachhaltigkeit dagegen könne man mehr bewirken. Als Beispiel nennt er die „Clean Up Days“, bei denen in der Natur liegen gebliebener Müll gesammelt wird.
... gab es weder Influencer noch den Selfie-Hype auf Social Media.
Joachim findet, dass der Allgäuer Tourismus in diesen Bereichen auf einem guten Weg ist. Viele Betriebe hätten Social Media für sich entdeckt, auch den extremen Selfie-Trend verurteilt Joachim nicht. Schließlich müsse man auch die jüngere Generation erreichen. Hier profitiere die Region vom „Hype um das Wandern“, der auch junge Menschen erfasst habe.
Allerdings komme heute fast niemand mehr in die Tourist-Informationen, um zu erfahren, was er am Urlaubsort unternehmen kann: „Dafür gibt es andere Kanäle“, sagt Joachim. Vor diesem Hintergrund mache mancher Ort den Fehler, das Personal in der Tourist-Information zu reduzieren. Doch man brauche diese Leute weiter – nicht mehr am Schalter, sondern im Büro, um Inhalte fürs Internet aufzubereiten.
... lieferten Wissenschaftler weit weniger Daten als heute etwa das Bayerische Zentrum für Tourismus in Kempten.
„Da hat sich enorm viel getan. Was ich mir noch wünschen würde, ist ein besseres Monitoring der jeweiligen Entwicklung“, sagt Joachim. „Denn momentan weiß ich nur, wie viele Übernachtungen und Ankünfte wir haben. Aber ich weiß zum Beispiel nicht, wie viele Gäste im Drei-, Vier- oder Fünf-Sterne-Bereich absteigen.“ Interessant wäre für Joachim auch, wie hoch beispielsweise die Quote regionaler Lebensmittel in den touristischen Betrieben ist.