In Deutschland ist der Anteil der Pflegebedürftigen in den vergangenen Jahren weiter angestiegen. Das verdeutlicht der Pflege-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) an verschiedenen Stellen. So stellten die Experten fest, dass von 2013 bis 2022 die Zahl der Pflegebedürftigen um 78,9 Prozent zunahm. Waren 2013 im Durchschnitt 3,7 Prozent der gesetzlich versicherten Bundesbürger pflegebedürftig, entsprach der Wert zehn Jahre später 6,6 Prozent.
Deutlich schwächer fällt der Anstieg aus, wenn die Werte um die fortschreitende Alterung der Gesellschaft bereinigt und für alle Jahre die Alters- und Geschlechtsstruktur der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung des Jahres 2022 zugrunde gelegt werden. Dann beträgt er 63 Prozent.
Pflege in Deutschland: Um wie viel Prozent stieg der Anteil der Pflegebedürftigen?
Daher wird klar, dass sich die Zunahme der Pflegeprävalenz in diesem Zeitraum nur zum Teil auf die Entwicklung der Alters- und Geschlechtsstruktur der Bevölkerung zurückführen lässt. Der Begriff der Pflegeprävalenz steht für den Anteil der durch den Medizinischen Dienst als pflegebedürftig eingestuften Menschen in der Bevölkerung.
Hierzu liefert der Pflege-Report weitere interessante Zahlen. Diese beruhen auf Daten der elf AOK-Pflege- und Krankenkassen aus den Jahren 2017 und 2023 und sind ausdrücklich nicht auf die gesamte Bevölkerung bezogen. Zugrunde liegen Informationen zu rund 1,6 Millionen AOK-versicherten Pflegebedürftigen für das Jahr 2017, rund 2,2 Millionen AOK-versicherten Pflegebedürftigen für das Jahr 2023 und rund 27,7 Millionen Versichertenstamminformationen aller AOK-Versicherten.
Im Bundesdurchschnitt stieg der Anteil der Pflegebedürftigen zwischen den beiden Erhebungszeiträumen um 57 Prozent. Dabei gab es erhebliche regionale Unterschiede. So reichte die Spanne von rund 37 bis hin zu fast 144 Prozent.
Pflege in Deutschland: Wie veränderte sich die Pflegeprävalenz zwischen 2017 und 2023?
2017 wurde für Bayern und Baden-Württemberg sowie weite Teile Nordrhein-Westfalens lediglich eine Pflegeprävalenz von maximal 3,8 Prozent ausgewiesen. Das Gegenstück bildete Mecklenburg-Vorpommern, wo fast flächendeckend 7,9 Prozent und aufsteigend erreicht wurden.
Sechs Jahre später waren dagegen acht Prozent und aufwärts „das neue Normal“. Mit Ausnahme von Sachsen weisen alle ostdeutschen Bundesländer sowie Hessen, das Saarland und weite Regionen Nordrhein-Westfalens an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden Pflegeprävalenzen von 7,9 bis 17,1 Prozent auf. Werte von weniger als vier Prozent für einzelne Regionen sind bundesweit die Ausnahme.
Die Analyse zeigte auch auf, dass sich diese Entwicklung nicht allein durch die Alterung der Gesellschaft erklären lässt. Gerade mal in zwei von 400 Kreisen und kreisfreien Städten stimmte die beobachtete Pflegeprävalenz mit der demographisch zu erwartenden überein. In zwei weiteren wurde das Prognoseniveau unterschritten, in allen anderen fiel der Wert höher aus, als anhand der Demographie zu erwarten wäre.
Bei einer reinen Fortschreibung der Alterung hätte der bundesweite Anstieg durchschnittlich nur bei 21 Prozent liegen sollen und eben nicht bei 57 Prozent.
Pflege in Deutschland: Welche Rolle können die Babyboomer übernehmen?
In einem weiteren Kapitel des Pflege-Reports, der den Untertitel „Ankunft der Babyboomer: Herausforderungen für die Pflege“ trägt, kommen die Experten auch darauf zu sprechen, welche Rolle die nach und nach in Rente gehenden geburtenstarken Jahrgänge bei der Pflege übernehmen könnten. Sie bergen „ein hohes Potenzial an Kraft und Engagement für die Gestaltung des Lebens vor Ort, einschließlich der Übernahme von Sorge- und Pflegeaufgaben“.
Schon jetzt würden ältere und alte Menschen auch nachfolgende Generationen unterstützen, etwa in Form der Betreuung von Enkelkindern. „Es sollten verstärkte Anstrengungen unternommen werden, diese Potenziale zu heben, ohne diejenigen zu vernachlässigen, die solches Engagement nicht leisten können“, schreiben die Autoren.
Zur Sprache kommen innovative Wohnideen und Projekte, „die attraktive Lebensbedingungen bieten, von der Alters-WG bis zum Clusterwohnen“. So genannte Caring Communities würden aufgrund der demographischen Veränderungen an Bedeutung gewinnen. Dafür bedürfe es auch einer finanziellen Stärkung der Kommunen.
Pflege in Deutschland: Wie stehen Babyboomer zu Caring Communities?
In diesem Zusammenhang hat die AOK die Bereitschaft unter Babyboomern zur Übernahme von Sorgeaufgaben im Rahmen solcher Caring Communities ermitteln lassen. Dafür befragte das Meinungsforschungsinstitut Forsa 2000 Personen, darunter 1000 aus der Generation der Babyboomer.
64 Prozent der teilnehmenden Babyboomer können sich demnach grundsätzlich vorstellen, ehrenamtliche Tätigkeiten zur Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen im Alltag in organisierten Netzwerken zu übernehmen. Bereits jetzt engagieren sich 43 Prozent der Babyboomer ehrenamtlich, 22 Prozent aus dieser Gruppe unterstützen schon alte, kranke, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderung im Alltag.
Die Idee der Caring Communities findet laut der Umfrage ebenfalls Anklang. So können sich 86 aller Befragten vorstellen, bei Pflegebedürftigkeit im Alter selbst von Ehrenamtlichen unterstützt zu werden, wenn sie dafür länger in der gewohnten Umgebung bleiben können. 76 Prozent zeigten sich offen dafür, in gemischten Wohnformen zu leben, in denen Nicht-Pflegebedürftige und Pflegebedürftige gemeinsam leben und sich gegenseitig unterstützen.
Carola Reimann, Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, schlussfolgert aus den Ergebnissen der Umfrage: „Diese Zahlen spornen an, das Leitbild von Caring Communities weiter zu verfolgen. Wir haben in Deutschland bereits ein gutes Netz aus Freiwilligen, und es wird für die Zukunft wichtig sein, diese Ressource auch für Sorge und Pflege stärker zu aktivieren.“ Professionelle Pflege solle damit keineswegs ersetzt werden, vielmehr könne so ein echter Unterschied geschaffen werden.
Übrigens: Trotz Arbeitslosigkeit bleiben Stellen in der Pflege oft lange unbesetzt. Für die Pflege von Angehörigen können verschiedene Leistungen bezogen werden. Pflegebedürftigen stehen diverse Hilfsmittel zu. Wer Angehörige pflegt, kann seine Arbeitszeit reduzieren.
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